Hamburg. Nach Prinz Reuß in Frankfurt steht jetzt der erste mutmaßliche Reichsbürger in Hamburg vor Gericht. Was der Mann über seine Motive sagt.
Überraschung im ersten Hamburger Reichsbürger-Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht. Der Angeklagte aus Bad Bramstedt hat bereits am ersten Verhandlungstag die gegen ihm erhobenen Vorwürfe eingeräumt und eine umfassende Erklärung zu den Vorfällen abgegeben.
Dem 66 Jahre alten Mann aus Bad Bramstedt wird Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen wird. Er soll laut Anklage die „Kaiserreichsgruppe“ unterstützt und Mitglieder angeworben haben, die beim Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands zu einem „Reich“ nach Vorbild der Verfassung von 1871 mitmachen.
Hatten Reichsbürger „Haftbefehl“ für Lauterbach? Angeklagter gesundheitlich angeschlagen
Der Angeklagte räumte nach Verlesen der Anklage ein, nur sagen zu können, was er erlebt habe. Ob es sich bei der Gruppierung um eine terroristische Vereinigung handele, das könne er nicht beurteilen. Das wird die Aufgabe des Gerichtes sein.
Der Angeklagte wirkte körperlich angeschlagen, als er um 11.21 Uhr den Sitzungssaal 237 leicht humpelnd betrat – bekleidet u.a. mit einem Khaki-Hemd und einem Kopftuch, das er vom kurzgeschorenen Kopf zog. Nach Angaben seiner Verteidigerin Ina Franck habe dem 66-Jährigen die monatelange Untersuchungshaft sehr zugesetzt. Er sei gesundheitlich schwer angeschlagen und müsse an der Hüfte operiert werden.
Angeklagter hatte Revolver im Medizinschrank des Wohnmobils versteckt
Der Beschuldigte war Ende November vergangenen Jahres im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Alle Verfahren, auch das jetzt vor dem Oberlandesgericht, finden unter verschärften Sicherheitsbedingungen statt, da sich die Reichsbürger offenbar bewaffnet hatten. Der Angeklagte selbst sprach von „100 Tonnen Waffen“, die man habe beschaffen wollen.
Auch bei ihm selbst wurden ein Revolver und mehr als 100 Schuss Munition gefunden. Er hatte den Revolver Kaliber 38 in einem Medizinschrank in seinem Wohnmobil versteckt, die Munition befand sich in einem doppelten Boden in einem Werkzeugschrank.
Bad Bramstedter wollte laut Anklage Kontakt zu Putin aufnehmen
Die Anklage wirft dem Mann vor, sich auf Telegram in einschlägigen Chatgruppen getummelt und Kontakt zu den in Koblenz angeklagten Reichsbürgern („Vereinte Patrioten“) aufgenommen zu haben. Dort soll er mit weiteren Verschwörern den Plan ersonnen haben, mit einem Schiff in russische Hoheitsgewässer einzudringen und so Kontakt zu Präsident Wladimir Putin zu suchen, um sich seiner militärischen und politischen Unterstützung bei der Gründung eines neuen Staates zu versichern. Sogar einen Brief an Putin hatte die Gruppe bereits verfasst und in Stockholm an den russischen Botschafter übergeben.
Zudem wollte die Gruppierung nach Angaben der Staatsanwaltschaft gezielte Sprengstoffanschläge auf die Energieversorgung verüben und mit einem landesweiten Stromausfall die Sicherheitsbehörden schwächen. Außerdem sollte die Bevölkerung von Rundfunk und Presse abgeschnitten und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor laufenden Kameras entführt werden. Den Tod seiner Personenschützer habe man dafür in Kauf genommen.
Prozess Hamburg: Angeklagter „frustriert“ über Corona-Maßnahmen
Der Angeklagte selbst sagte zu den Anschuldigungen, dass man Lauterbach nicht „entführen“, sondern verhaften wollte. Sogar einen Haftbefehl habe es dazu innerhalb der Gruppe schon gegeben. Man sei davon ausgegangen, dass es in der Bevölkerung großen Zuspruch dafür gegeben hätte. In einem Gefängnis hätte Lauterbach danach auf eine Gerichtsverhandlung warten müssen.
Der Angeklagte begründet seine Motivation damit, nach den Corona-Maßnahmen viel Zeit gehabt zu haben und frustriert gewesen zu sein, weil keine sozialen Kontakte mehr möglich gewesen seien. Aus diesem Grund habe er über Telegram Kontakt zu Gleichgesinnten gesucht. Sein Ziel sei die Wiederherstellung von Preußen gewesen.
Reichsbürger: Karl Lauterbach sollte vor laufender Kamera entführt werden
Als er bei einem persönlichen Treffen jedoch von den radikalen Plänen innerhalb der Gruppe erfahren habe, habe er sich zurückziehen wollen. Vor einem kompletten Bruch mit der Gruppe habe er jedoch Angst gehabt. Aus diesem Grund habe er sich noch in der gleichen Nacht an den Verfassungsschutz gewandt, damit der Staat handelt.
Da man ihn nach eigenen Angaben nicht ernst nahm, habe er am nächsten Morgen noch einmal angerufen und von den Plänen berichtet. Ob er von „Putsch“ oder „Umsturz“ gesprochen habe, daran könne er sich heute nicht mehr erinnern, so der Angeklagte. Die Richterin sprach von einem „halbherzigen“ Vorgehen und warf die Frage auf, ob der Beschuldigte mit seinem Anruf beim Verfassungsschutz die Pläne tatsächlich torpedieren wollte – oder nur so gehandelt habe, um sich bei einer späteren Verhaftung darauf berufen zu können.
Reichsbürger: Auf dem Ipad des Angeklagten befinden sich etliche Fotos mit Hakenkreuzen
Immer wieder zitierte die Richterin aus Telefonmitschnitten und Chatverläufen, die ihrer Meinung nach Zweifel aufkommen lassen, dass sich der Angeklagte nach dem Treffen tatsächlich von der Gruppe distanzierte. Als die Richterin ihn auf ein Bild von Angela Merkel auf seinem iPad ansprach, das die Politikerin mit dem Kopf in einer Guillotine zeigt, gab er an, sich nicht daran erinnern zu können. Er habe 50.000 bis 100.000 Fotos herumfliegen und könne sich nicht an jedes erinnern.
Unter den sichergestellten Fotos sind nach Angaben der Richterin auch etliche mit Hakenkreuzen gewesen. Der Angeklagte begründete dies mit seinem „geschichtlichen Interesse“.
Reichsbürger-Prozess: Angeklagter beschreibt sich als Familienmenschen
Der Angeklagte ließ eine Erklärung durch seine Anwältin verlesen, in der es heißt, dass für ihn nur die Familie zähle. Seine Enkelin hänge sehr an ihm und er leide sehr darunter, sie nicht mehr zu sehen. Die Anwältin selbst beschreibt ihren Mandanten als „Familienmensch“, dessen Familie ihn als guten Vater und Großvater beschreibe.
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Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Bis zum 19. Juli sind 16 Prozesstermine angesetzt. Parallel finden weitere Prozesse gegen Mitglieder der „Reichsbürger“-Vereinigung um Prinz Reuß vor den Oberlandesgerichten in Stuttgart, Frankfurt am Main und ab Juni auch in München statt.