Hamburg. Immer neue Vorfälle erschüttern das Sicherheitsempfinden. Bei manchen werden schon Erinnerungen wach an die Situation zur Jahrtausendwende.

Schon Karl Marx wusste: Geschichte ereignet sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce. Für die stolze hamburgische Sozialdemokratie waren die Wahlen im Jahr 2001 eine Tragödie. Nicht allein der Machtverlust schockte die Partei, sondern vor allem die Art und Weise. Der hofierte Populist Ronald Schill schaffte aus dem Nichts im vermeintlich so liberalen Hamburg ein Ergebnis von 19,4 Prozent.

Diese Stimmenexplosion ist erklärbar: Am Ende liefen Scharen der Wähler über zu dem Amtsrichter, der allen Ernstes die Halbierung der Kriminalität binnen 100 Tagen versprach. Die gefühlte Sicherheitslage war damals deutlich schlechter als die wirkliche Situation. Aber nach dem Messermord an dem Tonndorfer Gemüsehändler Willi Dabelstein 1998 durch zwei Jugendliche und den Terrorattacken in New York durch Hamburger Islamisten kippte die Stadt nach rechts.

Private Wahrnehmung und öffent­liche Wahrnehmung laufen auseinander

Heute ist die Ausgangslage etwas anders, und doch kann sich Geschichte wiederholen. Viele Hamburgerinnen und Hamburger haben den Eindruck, dass etwas aus dem Ruder läuft. Die Zustände in der Feuerbergstraße sind da nur ein weiteres Schlaglicht. Natürlich sind randalierende Mädchen keine Messerstecher, und es hilft nicht, die Lage zu dramatisieren. Aber private Wahrnehmung und öffent­liche Wahrnehmung laufen wie vor einem Vierteljahrhundert zunehmend auseinander.

Eins kommt zum anderen: Menschen trauen sich am Abend nicht mehr auf den Jungfernstieg, weil dieser von pöbelnden und krawallorientierten Jugendlichen, vor allem mit Migrationshintergrund, in eine Partyzone ohne Regeln verwandelt wurde. Auf dem Steindamm demonstrieren binnen drei Wochen zweimal Hunderte Kalifatsjünger für die Rückkehr ins Mittelalter. Und das Drogenelend am Hauptbahnhof erinnert bald wieder an die Zeiten um die Jahrtausendwende. Die Lösung der Stadt ist symbolisch im doppelten Sinn: Es ist ein Sichtschutz.

Eine echte Problemdebatte ist nicht gewünscht

Es passt zum Umgang mit der wachsenden Herausforderung der inneren Sicherheit. Man möchte das Elend nicht sehen, am liebsten auch nicht darüber sprechen, und verweist dann auf den Datenschutz. Es gibt eine Verweigerung, die Dimension wahrzunehmen, sie zu diskutieren und Ross und Reiter zu benennen. Viele halten es für brandgefährlich, das Thema überhaupt zum Thema zu machen – denn das nütze nur den Falschen.

Diese Sprachlosigkeit aus Angst vor den Rechten ist nachvollziehbar. Aber ein Problem lässt sich nur vorübergehend klein- oder schönreden, verstecken, ausblenden – irgendwann kommt es größer und drohender zurück. Die Frage der inneren Sicherheit darf man nie den Populisten überlassen.

Viele Herausforderungen haben mit der Weltlage zu tun

Anders als in Berlin hat die Hamburger SPD aus ihrer Geschichte gelernt. Sie ist nach ihrem Selbstverständnis liberal, aber nicht doof. Und doch leidet sie zunehmend unter den Verwerfungen, die der Krieg in Europa und falsche Weichenstellungen in Berlin ausgelöst haben.

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Auch wenn es keiner hören will, stößt der Sozialstaat immer häufiger an Grenzen: Die europaweit großzügigen staatlichen Leistungen wirken wie ein Magnet – unter den Obdachlosen etwa hat inzwischen noch jeder Dritte einen deutschen Pass. Die Zuwanderung aus den Krisen­regionen dieser Welt führt zu massiven Unterbringungs- und Integrationsproblemen. Und angesichts der finanziellen Lage im Land schrumpfen die Möglichkeiten.

Bei der äußeren Sicherheit schlief Deutschland über Jahre den Schlaf der Vernunft. Bei der inneren Sicherheit müssen wir schleunigst aufwachen.