Hamburg. Die Liberalisierung weicher Drogen ist eher das Resultat der Politarithmetik denn echter Wünsche.

Ich habe nichts gegen das Kiffen. Und um es gleich zu bekennen – ich habe es in jüngeren Jahren selbst getan. Anders als der Hasenfuß namens Bill Clinton habe ich auch inhaliert. Spätestens seit Clinton wissen wir, dass nicht jeder, der Haschisch oder Marihuana konsumiert, kurz darauf als Junkie in der Gosse landet – manche werden sogar US-Präsident oder Kolumnist.

So kann man die Liberalisierung weicher Drogen, die sich die Ampel auf die Fahnen schreibt, durchaus nachvollziehen. Die Droge ist Teil einer Jugendkultur, der Handel in manchen Stadtvierteln gang und gäbe. Ein Verbot aber, das der Staat ignoriert, ist gefährlich: Es unterminiert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Wenn ein Falschparker in der Schanze durch alle Instanzen verfolgt wird, aber der Dealer aus dem Schanzenpark mehr oder minder ungeschoren davonkommt, läuft etwas schief. Zudem soll die Liberalisierung ein gesundheitspolitisches Ziel erreichen – man will das illegal gezüchtete und oftmals verunreinigte oder zu hoch dosierte Suchtmittel kontrollieren.

Kiffen für den Koalitionsfrieden: Ich bin nicht überzeugt

Sind Sie jetzt überzeugt? Ich bin es nicht. Alle drei Parteien wissen, dass Deutschland derzeit ein paar andere Probleme hat als „Legalize it“. Das ahnen auch Scholz & Co. bei ihrem europäischen Alleingang. Dummerweise aber hatten die Parteien die Liberalisierung in ihre Programme geschrieben, vielleicht auch, weil sie nicht an die Umsetzung glaubten. Nun sind sie Getriebene: Die Freigabe ist eine der ganz wenigen gelb-grünen Gemeinsamkeiten.

Doch schon der Zeitpunkt wirkt absurd: In den vergangenen 21 Monaten hat die Gesellschaft aus Gründen des Gesundheitsschutzes bestehende Rechte beschnitten oder ganz ausgesetzt. Nun macht die neue Regierung das genaue Gegenteil: Sie liberalisiert eine Droge, die abseits aller Hippie-Romantik und verklärter Jugenderinnerungen alles andere als gesund ist, eben auch weil der THC-Gehalt längst ein anderer ist.

Ob Drogen die Welt besser machen?

Ob Drogen die Welt besser machen? Der anerkannte Suchtexperte Rainer Thomasius vom UKE zweifelt daran. Er sieht die Folgen, die das vermeintlich harmlose Kiffen anrichtet, alltäglich auf seiner Suchtstation. Kinder und Jugendliche leiden besonders – und von ihnen vor allem solche aus ungünstigen sozialen Verhältnissen. Eine Studie zeigte nun, dass die Entwicklung des Gehirns unter dem Einfluss des Cannabis-Wirkstoffs THC Schaden nimmt. Die Folge sind verminderte Intelligenz, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit. Die Gefahr, an einer Psychose zu erkranken, erhöht sich laut der in „The Lancet Psychiatry“ veröffentlichten Studie um den Faktor 3,2, bei starkem Konsum von Cannabis mit einem sehr hohen Wirkstoffgehalt sogar um den Faktor 4,8.

Zweifel hegt auch die Hamburger Richterin Jessica Koerner: Sie nutzte kürzlich ihre Urteilsverkündung zu einer eindringlichen Warnung vor Haschisch und Marihuana. Langjähriger Konsum berge die Gefahr schwerwiegender psychischer Erkrankungen und könne bei völlig unauffälligen Menschen mit einer bestimmten genetischen Disposition Schizophrenie und Wahnvorstellungen auslösen. „Leider scheint diese Erkenntnis in der Öffentlichkeit kaum verbreitet zu sein“, erklärte sie. Zuletzt gab es in der Stadt gleich drei Fälle, in denen Süchtige zum Messer griffen. Und drei Tote.

Auch die Mehrheit der Ärzte ist skeptisch

Wer zweifelt, sollte sich ruhig einmal in Holland erkundigen: Unser Kifferparadies von einst leidet heute massiv unter einer Explosion der Kriminalität, die mit Drogen zu tun hat: Inzwischen bedrohen die mächtigen Clans sogar das Leben von Ministerpräsident Rutte.

Die Ampel wird den dummen holländischen Fehler nicht wiederholen, den Verkauf zu erlauben, aber den Einkauf zu verbieten – eine schönere Einladung an Kriminelle konnte es kaum geben. Die Bundesregierung will Cannabis nur an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Ge­schäf­ten abgeben. Thomasius aber ist sich sicher, dass eine Legalisierung am Ende auch zum erhöhten Konsum und Missbrauch durch Kinder und Jugendliche führen wird. So war es nach der Freigabe in den USA.

Die Mehrheit der Ärzte ist skeptisch. Der 125. Deutsche Ärzte­tag warnte Anfang November erst vor den Risiken für die Gesundheit der Konsumenten und den möglichen Folgen für die medizinische Versorgung. Aber wer mag schon der Wissenschaft folgen, wenn die Parteiprogramme etwas anderes sagen?