Hamburg. Bundesweiter Auftakt zur Europawahl: Das Bündnis Sahra Wagenknecht startet auf dem Fischmarkt mit markigen Aussagen in den Wahlkampf.
Mit scharfen politischen Erklärungen und viel Polemik gegen die Ampel-Regierung in Berlin hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) seinen bundesweiten Auftakt zur Europawahl in Hamburg veranstaltet. Vor geschätzt rund 600 Menschen auf dem Fischmarkt geißelte Wagenknecht unter anderem die Rentenpolitik. „Das ist eine Frage der Menschenwürde.“ Sie nannte Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen Lügner, weil er die Rente mit 63 abschaffen wolle. Dabei gebe es die Rente mit 63 gar nicht, sondern nur im Ausnahmefall.
Gleichzeitig griff sie die Grünen an, bei denen die Bundesvorsitzende Ricarda Lang behauptet habe, die durchschnittliche Rente betrage 2000 Euro pro Monat. In ihrer Schimpftirade gegen die Ampel nannte sie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Versager, der für viele Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen mitverantwortlich gewesen sei - schon vor seiner Zeit im Kabinett. Sie kritisierte, dass man Arztpraxen und Krankenhäuser „auf Rendite trimmt“. Wagenknecht sprach sich für ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitswesen aus, das „besser und billiger“ sei.
Mit leidenschaftlicher Empörung rief Wagenknecht vor Hamburger Hafenkulisse über den Fischmarkt: „Waffen bringen noch mehr Krieg, Waffen bringen Sterben.“ Sie kritisierte die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine und warnte vor einer Eskalationsspirale, die auch mit der Bundeswehr diskutiert werde. „Haben diese Leute vergessen, wie das zweimal ausgegangen ist, wenn deutsche Politiker Waffen nach Russland tragen wollen?“
Sahra Wagenknecht in Hamburg: Attacke auf die Ampel
Wagenknecht sagte zudem, sie werde das Existenzrecht Israels verteidigen. Was aber in Gaza passiere, das sein ein „Rachefeldzug“. Deutschland müsse wieder Friedensmacht werden. „Mein Gott, was diese Ampel jeden Tag auf die Beine stellt. Herr Scholz erzählt uns: Krise, welche Krise?“ Das gelte auch für eine Ungerechtigkeit in Deutschland. „Wer wenig Einkommen hat, hat unter der Ampel den größten Einkommenszuwachs bekommen, sagt Herr Scholz. Er hat Probleme mit der schlichten Wahrnehmung der Realität. Dafür sind wir da: wieder darauf hinzuweisen, was eigentlich los ist in diesem Land.“
Die Idee einer „Leitkultur“ der CDU, so Wagenkecht, finde sie gar nicht schlecht, weil es um Werte gehe, die unsere Gesellschaft zusammenhielten. Es könne aber kein Wert sein, „aus Geld noch mehr Geld zu machen“. Sie beklagte eine Verrohung der Debattenkultur, in der „Sozialbetrug“ zum großen Thema gemacht werde. Man müsse über Finanzbetrug reden. Wagenknecht nannte die Cum-Ex-Affäre und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der die Warburg-Bank geschont habe. „Wenn die Steuerpolitik so wäre wie in der Schweiz, hätten wir 73 Milliarden Euro mehr an Einnahmen.“
Russischer Angriff auf die Ukraine: Deutschland als „Moralweltmeister“?
Wagenknecht nannte die Deutschen „Moralweltmeister“, weil man kein Gas mehr aus Russland beziehe, während andere westliche Länder das täten. Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) sähen dabei zu, wie die deutsche Wirtschaft „den Bach hinuntergeht“. Habeck und die Grünen „leben in der hippen Großstadtblase, im schicken Altstadt-Loft“, polemisierte Wagenknecht. „Das ist gut, wenn man das entsprechende Kleingeld hat. Was sollen die sagen, bei denen es schon bei Aldi nicht für den Einkauf reicht?“
Sie rief die Zuschauer zur Unterstützung ihres Bündnisses auf: „Die Europawahl ist die erste, bei der wir antreten. Da geht es nicht nur um die EU. Da geht es darum, was wir hier in Deutschland verändern können. Es geht um Frieden und Gerechtigkeit hier und auf der ganzen Welt.“
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Elbtower: Wagenknechts Spitzenkandidat spottet über Hamburg und Olaf Scholz
Der BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl, der Hamburger Fabio De Masi, machte sich über den Elbtower lustig, den er „kurzer Olaf“ nannte. Viele Leute in Deutschland hätten das Messer in der Tasche offen, weil Bundeskanzler Scholz 100 Milliarden „in die Rüstung“ stecke, während es Ungerechtigkeiten bei der Bildung gebe und große Unternehmen wenig Steuern zahlten. De Masi, der sich einen Namen gemacht hatte als einer der schärfsten Kritiker in der Cum-Ex-Affäre um die Hamburger Warburg-Bank, spottete über die Erinnerungslücken des Kanzlers und die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die alte SMS nicht mehr finde. Er biete sich an, ihr bei der Suche zu helfen.
De Masi sprach auch den Feldzug der Russen in der Ukraine an. Wer sage, man brauche eine diplomatische Initiative, um den Krieg zu beenden, dürfe nicht als Putin-Freund verunglimpft werden. Er bezeichnete sich als „Vorband für Sahra Wagenknecht“ und appellierte an die Zuschauer, „etwas Neues zu beginnen in Deutschland“. Man solle die Politik nicht jenen überlassen, die „Bomben regnen lassen“.
Sahra Wagenknecht in Hamburg: Neue-Deutsche-Welle-Sänger unter ihren Anhängern
Die Hamburger Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic (früher Linke), die sich dem BSW angeschlossen hatte, sagte, es seien ernste Zeiten, in denen „Politiker angegriffen und diskriminiert werden“. Sie spielte auf die Attacken auf Wahlkämpfer in den vergangenen Wochen an. Am Fischmarkt sicherten eine Handvoll Ordner sowie Polizisten aus vier Mannschaftswagen die Veranstaltung. Zwischenzeitlich waren auch berittene Polizisten zu sehen. Die Zuschauer feierten Wagenknecht wie einen Popstar. Bei ihrer Abfahrt nach Hannover zum zweiten Termin an diesem Abend, zückten etliche ihre Handys für Selfies.
Unter den Zuschauern war der ehemalige Neue-Deutsche-Welle-Musiker Joachim Witt (75; „Goldener Reiter“), der Wagenknecht politisch unterstützt. Nach Nastic‘ Angaben hat die BSW in Hamburg mittlerweile 16 Mitglieder und „Hunderte bis Tausende“ Unterstützer. In verschiedenen Umfragen hat das Bündnis von Wagenknecht bereits zwischen drei und acht Prozent der Stimmen erreicht. Bei der Bezirkswahl 2024 in Hamburg tritt BSW nicht an. Die erste Wahl wird die am selben Tag (9. Juni) stattfindende Europawahl sein.
In Hamburg hatte auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den bundesweiten Wahlkampf auf dem Fischmarkt eröffnet. Er war mit Pfiffen empfangen worden.