Hamburg. Prof. André Hajek gilt als führender Wissenschaftler für gesundes Altern. Er empfiehlt Spielplätze für Rentner, Hunde und Social Media.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im vergangenen Jahr einen überraschenden Befund veröffentlicht: Einsamkeit ist das neue Rauchen. Eine eigene hochrangige Kommission mit dem Leiter des nationalen öffentlichen Gesundheitsdienstes in den USA, Dr. Vivek Murthy, wurde eingesetzt. Murthy schrieb in einem erschütternden Bericht zur Lage in seiner Heimat: Etwa jeder zweite Amerikaner habe Einsamkeitserfahrungen gemacht. „Millionen Menschen in den USA kämpfen im Schatten dagegen an.“ Die Gesundheitsrisiken von Einsamkeit, so der Bericht, sind so tödlich wie 15 Zigaretten am Tag. Das koste Jahr für Jahr Milliarden.
Am Hamburg Center for Health Economics (HCHE) und am UKE arbeitet der beste Einsamkeitsforscher hierzulande. André Hajek (40) wurde gerade vom internationalen Wissenschaftler-Ranking Expertscape zum führenden Gelehrten in diesem sehr speziellen Feld gewählt. Das liegt an der großen Zahl seiner Veröffentlichungen, die für gewöhnlich von anderen Experten beurteilt werden, ehe sie erscheinen. Man kann sagen: Die Fachwelt hat Hajek dort oben im Ranking platziert. Hajek beschäftigt sich mit „gesundem Altern“. Darauf haben viele Faktoren einen Einfluss. Zuletzt war das vor allem die Corona-Pandemie, aber auch die Nutzung von sozialen Medien wie Instagram oder TikTok, die Frage nach Haustieren und sogar die Sorge um den Klimawandel, verkürzt „Klimaangst“ genannt.
Hamburger Forscher: Diese Faktoren beeinflussen Einsamkeit
Im Gespräch mit dem Abendblatt war es Hajek beinahe unangenehm, die Auswirkungen von Covid-19 auf seine Arbeit zu schildern. Er sagte: „Corona hat den Forschungszweig stark vorangebracht. Zum Beispiel dachten wir vor der Pandemie, dass es fraglich ist, welchen Einfluss etwa der Hundebesitz auf die Einsamkeit hat. Jetzt gibt es deutlich mehr Evidenz, dass es positiv ist gegen die Einsamkeit. Und eher Hunde als Katzen haben diesen Effekt.“
Aber wer ist eigentlich einsam? Hajek verweist auf eine gängige Definition, ohne die Wissenschaftler nicht auskommen. Einsamkeit ist das „Gefühl einer Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen sozialen Beziehungen“. Es gibt eine „objektive soziale Isolation“. Das heißt, es gibt keine Aktivitäten wie soziales Engagement, Bindungen wie in Vereinen und anderes. Und da ist die „wahrgenommene soziale Isolation“, also das Gefühl, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Schon aus finanziellen Gründen können sich Menschen gegen soziale Aktivitäten wie Theater- oder Restaurantbesuche entscheiden – müssen.
Hikikomori: Das Phänomen aus Japan betrifft auch Ältere weltweit
„Einsame zeichnen sich dadurch aus, dass sie – statistisch betrachtet – schlechter schlafen, seltener in Vereinen sind und Hobbys pflegen, häufiger chronische Krankheiten haben und deutlich früher sterben.“ Das klingt hart für die Betroffenen. Doch Hajek plädiert für einen genauen Blick: „Als Forscher stellen wir uns die Frage: Ist jemand chronisch einsam, oder ist es nur eine Episode?“
Vor allem aus Japan ist seit vielen Jahren von einem Phänomen berichtet worden, das Jugendliche betrifft, die sich aus dem sozialen Leben, aus dem Alltag ihrer Altersgenossen, zurückziehen. Sie verschließen sich ihrer Familie, ihren Freunden und drohen an den oft großen Erwartungen zu zerbrechen, mit denen sie konfrontiert werden. Hajek sagt: „Hikikomori – so hat man zunächst gedacht – war ein Phänomen unter jungen Leuten.“ Mittlerweile seien auch viele Ältere betroffen.
Spielplätze für Rentner im Stadtpark als Mittel gegen Einsamkeit
Und man fragt sich, ob es eine Art Vorbeugung gibt, wenn „objektive“ Faktoren wie etwa der Verlust der Partnerin beziehungsweise des Partners oder fehlende Kinder und Enkel, um die man sich kümmern kann, in Richtung Einsamkeit weisen. „Sportliche Betätigung, ehrenamtliche und freiwillige Arbeit können therapeutisch wirken.“
Für ältere Männer seien Mehrgenerationenhäuser mit Blick auf die Lebenszufriedenheit positiv. „Und nach dem Vorbild beispielsweise aus Südkorea kann man Spielplätze für Senioren einrichten, auf denen sie sich betätigen können. Das kann auch im Hamburger Stadtpark sein. Sie müssen dann auch nur genutzt werden. Es kommt auf jeden Einzelnen an, die vorhandenen Angebote auch zu nutzen“
Gerade für die Älteren können die oft kritisch beäugten Social Media und das verstärkte Kommunizieren über das Smartphone einen Weg entlang der dünnen Linie zwischen Alleinsein und Einsamkeit ebnen. Hajek hat erforscht: „Bei der Nutzung von Social Media wie Instagram, X oder TikTok ist auffällig, dass ältere User weniger isoliert und einsam als Nicht-Nutzer sind, während Jüngere durch diese Medien sich tendenziell eher einsam fühlen.“ Möglicherweise kommt bei den Älteren das gute Gefühl hinzu, dass es ihnen dabei überhaupt gelingt, an zeitgemäßen Formen der Kommunikation rege teilzuhaben.
TikTok und Instagram können positiv auf Senioren wirken
Im Alter lässt die „Funktionalität“ des Körpers nach. Menschen hören schlechter, der Toilettengang wird aufwendiger. Viele fühlen sich schleichend überfordert vom Alltagskram, den Jüngere mit links erledigen. Das könne zu Einsamkeit führen, sagt Hajek. Neben dem ,spousal loss‘, dem Verlust des Partners oder der Partnerin, ist der Funktionsverlust das größte Risiko für Einsamkeit im Alter.“
Wer einsam ist, geht normalerweise häufiger mal zum Arzt. Einsame sind „frequent attender“, wie die Wissenschaft sagt. Auch das hat Corona geändert. Die Sorge vor einer Ansteckung verbreitete sich unter ihnen ebenfalls viral. Hajek sagt: „Basierend auf Ergebnissen der Hamburg City Health Study, hat sich jedoch gezeigt, dass sie Ärzte während der Pandemie eher gemieden haben.“
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Gibt es Hoffnung für Einsame in post-pandemischen Zeiten? Im Prinzip ja. Das Smartphone wird auch für Senioren immer selbstverständlicher. Solange der Handy-Akku voll ist, WhatsApp, Instagram und andere Dienste rege blinken und summen, reißt zumindest die Kommunikation nicht ab. Wer soziale Medien nutzt, sagt die Forschung, nimmt eine soziale Isolation zumindest seltener wahr. Wer lieber zum Spaten greift, muss nicht verzweifeln: Auch Gartenarbeit hilft.