Hamburg. Experte für digitalen Journalismus warnt davor, gedruckte Tageszeitungen von heute auf morgen einzustellen. Das hätte schwere Folgen.

Er müsste qua Amt Antworten auf alle Fragen haben, die sich vielen zur Zukunft des Journalismus in Deutschland stellen. Christopher Buschow ist seit Anfang des Jahres Professor für digitalen Journalismus an der Technischen Universität Hamburg und Leiter des entsprechenden Fachgebiets an der Hamburg Media School. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über den Zusammenhang von Journalismus und einer funktionierenden Demokratie, die Zukunft der gedruckten Tageszeitung und wie man Menschen unter 30 erreicht. Das komplette Gespräch ist unter www.abendblatt.de/entscheider zu hören.

Das sagt Christopher Buschow über …

… die Frage, was eine Technische Universität mit Journalismus zu tun hat: „Es ist entscheidend, dass technologische Entwicklungen, die gerade vieles umkrempeln, für den Journalismus nutzbar gemacht werden. Das ist die Idee hinter meiner Professur, die eine Kooperation von Technischer Universität Hamburg und der Hamburg Media School ist. Wir wollen die technischen Potenziale für den Journalismus heben, und was wir hier jetzt vorhaben, ist in Deutschland ziemlich einzigartig.“

… das größte Problem des Journalismus in Deutschland: „Das ist die Frage, wie künftig das Geschäftsmodell gerade für Lokaljournalismus aussehen kann und wird. Wenn uns der Lokaljournalismus verloren ginge, hätten wir wahnsinnig große Probleme in unserer demokratischen Gesellschaft. Die Forschung hat nachgewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen Lokaljournalismus und dem Funktionieren einer Demokratie gibt. Dort, wo es keinen Lokaljournalismus mehr gibt, sind die Menschen schlechter informiert, gehen seltener zur Wahl, das Wahlverhalten polarisiert sich. Gleichzeit wächst die wirtschaftliche Korruption, weil man nicht mehr befürchten muss, damit aufzufliegen. All das sieht man schon in Regionen in den USA, in denen es keinen Lokaljournalisten mehr gibt. Es besteht die Gefahr, dass wir auch in Deutschland weiße Flecken bei der lokalen Berichterstattung bekommen. Und ein medialer Raum, in dem es keine professionellen Journalisten mehr gibt, wird dann anders gefüllt, etwa von denjenigen, die Interesse daran haben, gezielt Desinformationen zu streuen, und denen an einer funktionierenden Demokratie nicht viel gelegen ist.“

… die Zukunft der gedruckten Tageszeitung: „Man kann die gedruckte Zeitung, auch wenn sie hohe Kosten verursacht, nicht von heute auf morgen abschaffen, weil viele Menschen sie weiterhin jeden Morgen in den Händen halten wollen. Das sind die treuesten Leserinnen und Leser, die man sich als Medienhaus wünschen kann. Das sind Menschen, die ihren Alltag teilweise nach der Zeitung ausrichten. Die Strukturen und Routinen, die sich hier in vielen Jahrzehnten aufgebaut haben, können aber nicht einfach so aufgebrochen werden. Das sehen wir jetzt in Regionen, in denen sich für Verlage eine Zustellung nicht mehr lohnt und in denen sie versuchen, die Abonnenten von der gedruckten Zeitung auf das E-Paper umzustellen. Das gelingt längst nicht bei allen. Bei einem Projekt in Brandenburg sind rund 60 Prozent der betroffenen Abonnenten gewechselt, 40 Prozent nicht. Was die Zukunft der gedruckten Tageszeitung grundsätzlich betrifft, sehe ich es so: Es könnte sich wiederholen, was wir schon in den USA beobachtet haben. Dort sind aus Tageszeitungen zunächst gedruckte Wochenzeitungen geworden, bis auch die verschwunden sind. Das kann relativ schnell auch bei uns in Deutschland geschehen, wenn die Zustellkosten für Zeitungen nicht mehr finanzierbar sind – ein Problem, das sich umso mehr verschärft, je größer das Gebiet ist, in dem die Zeitung verteilt werden muss.“

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… große Unterschiede bei der Nutzung von Medien, die tendenziell mit dem Alter zusammenhängen: „Grundsätzlich ist es so, dass Menschen jenseits der 50 entweder mit der gedruckten Tageszeitung oder dem E-Paper erreicht werden können. Das Medium ist ihnen häufig noch sehr vertraut. Schon bei Menschen, die unter 50 sind, beginnt es schwieriger zu werden. Und bei allen, die jünger als 30 sind, muss man es mit Lokaljournalismus eigentlich gar nicht erst versuchen – wobei das früher nicht anders war. Für lokale Schlüsselthemen wie Kitas, Schulen oder Immobilien wächst das Interesse erst dann, wenn man selbst beginnt eine Familie zu gründen oder ein Haus beziehungsweise eine Wohnung zu kaufen. Trotzdem ist es wichtig, die Menschen unter 30 nicht zu vernachlässigen. Wenn wir es versäumen, ihnen den Wert und die Bedeutung des Journalismus für die Gesellschaft zu vermitteln, besteht die Gefahr, dass wir eine ganze Generation für den Journalismus verlieren.

… Journalisten, die zu Marken werden müssen, auch bei den Zeitungen: „Journalistische Influencer könnten insbesondere junge Leute, die nicht mit Zeitungen aufgewachsen sind, oder Menschen aus bildungsfernen Haushalten erreichen. In der Generation 60 plus sind Medienmarken noch sehr bekannt; das gilt bei den nachwachsenden Generationen kaum. Die verlassen sich eher auf Personenmarken. Das ist eine Entwicklung, die Zeitungen nachvollziehen müssen. Ich würde auch Lokalzeitungen empfehlen, Personen als Marken aufzubauen, zusätzlich etwa Veranstaltungen oder Newsletter anzubieten. Der Journalismus muss Sichtbarkeit in der Region haben, und dabei sind Personenmarken eine gute Option.“

… Kooperationen, um die Medienhäuser in Zukunft nicht herumkommen: „Es geht sehr stark darum, Allianzen und Kooperationen auf den Weg zu bringen, weil Medienhäuser nicht mehr alles allein machen können – dazu sind die Tech-Unternehmen aus den USA einfach zu groß und mächtig. Nehmen wir ein Thema wie künstliche Intelligenz, bei dem die Einflussmöglichkeiten eines einzelnen Verlags sehr begrenzt sind. Wenn man sich zusammenschließt, kann man dagegen sehr wohl eine Art Gegengewicht bilden.“

„Entscheider treffen Haider“

… den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: „Ein gutes, solides Mediensystem basiert auf zwei, wenn nicht sogar auf drei Säulen: einerseits auf einem starken, auskömmlich finanzierten öffentlichen Rundfunk, andererseits auf privatwirtschaftlichen Medien, die die erste Säule auch ein stückweit kontrolliert. Und dann gehört auch eine neue Start-up-Kultur dazu, die zumindest ich mir für den Journalismus in Deutschland wünsche.“

… die Sicherheit von Journalisten in Deutschland: „Es ist besorgniserregend, wie viele Journalisten und Journalistinnen in Deutschland tätlich angegriffen werden, wie sie zum Teil von bestimmten Veranstaltungen, etwa Demonstrationen, nur noch unter Personenschutz berichten können. Das hat es früher so nicht gegeben.“