Hamburg. Uni-Präsident Hauke Heekeren über den kommenden Wettbewerb um Fördermillionen, Bauverzögerungen und Digitalisierung in der Lehre.

Es war ein Sensationserfolg: 2019 erhielt die Universität Hamburg den Exzellenztitel. Vor einem Jahr endete die Amtszeit des damaligen Chefs Dieter Lenzen. Als dessen Nachfolger leitet seitdem Hauke Heekeren die größte Hochschule der Hansestadt.

Im Interview mit dem Abendblatt erklärt der 52 Jahre alte Neurowissenschaftler, wie die Uni sich im kommenden Exzellenzwettbewerb behaupten will, wie Digitalisierung und Nachhaltigkeit seine Hochschule und deren Lehre verändern – und warum er noch in Sorge ist wegen Folgeeffekten der Corona-Pandemie.

Uni Hamburg: Ist der Exzellenz-Status in Gefahr?

Wichtige Neubauvorhaben für Ihre Hochschule verzögern sich erheblich: Das Haus der Erde am Schlump für Forschende des Klima-Exzellenzclusters und für die Geowissenschaftler wird wohl erst 2024 an die Uni übergeben, das MIN-Forum und der Neubau für die Informatik an der Bundesstraße sollen erst 2026 fertig sein. Auch mindestens bis 2026 dürfte die Sanierung des Gebäudes für die Sozialwissenschaften am Allende-Platz dauern. Gefährdet all das die Verteidigung des Exzellenztitels?

Hauke Heekeren: Nein. Bei dem Förderprogramm „Exzellenzstrategie“ des Bundes und der Länder beurteilen die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschaftsrat vorrangig wissenschaftliche Spitzenleistungen an den Hochschulen. Es geht zudem um Profilbildung, Kooperationen und Internationalisierung. Die Universität Hamburg ist dabei auf einem sehr guten Weg.

Aber beurteilen die Gutachter des Wissenschaftsrats nicht auch wissenschaftliche Infrastruktur?

Ja, das machen sie, aber unsere vier bestehenden Exzellenzcluster – auch der Klima-Cluster – haben alle Infrastrukturen, die sie brauchen. Im Übrigen sind nicht wir der Bauherr für das Haus der Erde und das MIN-Forum, sondern zuständig sind die Freie und Hansestadt Hamburg und die von der Stadt beauftragten Bauträger. Mit einer gemeinsamen Anstrengung von Stadt, Bauträgern und Universität wird die Forschungsinfrastruktur bei der nächsten Vorortbegehung der Exzellenzgutachter 2025 noch besser sein als sie es 2018 war.

Tut die Stadt genug, um die genannten Uni-Bauprojekte voranzutreiben?

Mein Eindruck ist, dass alle mit vereinten Kräften dabei sind und alles möglich machen, was sie können. Bekanntlich ist das Bauen gerade schwierig, etwa wegen des Rohstoff- und Fachkräftemangels und gestiegener Kosten. Im Interesse der Studierenden und Forschenden wünschen wir uns trotzdem, dass die Neubauten zügig vorankommen.

Der Wettbewerb um Fördermillionen nimmt gerade wieder Fahrt auf: Anfang Februar war der Stichtag für Absichtserklärungen. Womit geht die Uni Hamburg ins Rennen?

Bei den Absichtserklärungen geht es um zusätzliche Exzellenzcluster, also große Forschungsverbünde. Neben unseren vier bestehenden Exzellenzclustern in den Gebieten Physik, Klimaforschung und Manuskriptkulturen haben inzwischen weitere Bereiche unserer Hochschule die Reife, in Rennen um Fördergeld anzutreten. Das betrifft die Infektionsforschung, für die wir u. a. mit dem Uniklinikum Eppendorf und dem Zentrum für strukturelle Systembiologie in Bahrenfeld einen neuen Cluster einrichten möchten, außerdem die Neurowissenschaften und die Nierenforschung. Das heißt, wir wollen uns um drei zusätzliche Exzellenzcluster bewerben. Die Absichtserklärungen müssen wir bis Ende Mai in Antragsskizzen konkretisieren.

Und für die bestehenden vier Exzellenzcluster ...

... werden wir uns um eine Förderverlängerung bewerben. Dazu muss man wissen, dass die für den ExStra-Wettbewerb zuständige Kommission entschieden hat, in der zweiten Runde mehr Exzellenzcluster als bisher zu fördern. Bis zu 70 könnten es rein rechnerisch sein. Derzeit sind es 57.

Deutschlandweit wurden 145 Absichtserklärungen von 54 Einrichtungen eingereicht. DFG-Präsidentin Katja Becker rechnet mit einem „sehr kompetitiven Wettbewerb“.

Diese Einschätzung teilen wir – und planen deshalb Bewerbungen für insgesamt sieben Exzellenzcluster. Nicht etwa, weil wir größenwahnsinnig wären, sondern weil zusätzliche Drittmittel in Aussicht stehen und wir uns behaupten wollen. Zum Vergleich: Einige große deutsche Universitäten haben eine zweistellige Anzahl an Absichtserklärungen an die DFG geschickt. Für uns kann ich sagen: Sollten wir am Ende mit mehr als vier Exzellenzclustern erfolgreich sein, wäre das ein sehr großer Erfolg für die Metropolregion.

Mindestens zwei Exzellenzcluster müsste die Universität Hamburg gewinnen, um sich in einem zweiten Schritt erneut um den Exzellenztitel bewerben zu können.

Richtig. Wobei meine Haltung ist: Titel werden nicht verteidigt, sondern man muss sie jedes Mal neu gewinnen. Wir machen uns jetzt auf den Weg, unter Beweis zu stellen, dass wir noch besser geworden sind.

Hinter Ihnen liegt Ihr erstes Jahr als Präsident der Universität. Gab es Momente, in denen Sie es bereut haben, aus Berlin nach Hamburg gewechselt zu sein?

Nein – im Gegenteil. Es gefällt mir sehr gut an dieser Hochschule. Ich habe schon viele spannende Menschen getroffen, tolle Begegnungen gehabt und stoße an der Uni, aber auch in der Hamburger Stadtgesellschaft, auf sehr viel Offenheit. Es gibt eine große Neugierde auf das, was wir machen. Vor Kurzem hat unsere Universitätsgesellschaft mit der Handelskammer eine Zukunftskonferenz veranstaltet, dort kamen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zusammen. Gerade für Hamburgs wirtschaftliche Entwicklung ist die Universität ein wichtiger Motor. Am 27. Februar bin ich eingeladen worden vor dem Übersee-Club zu sprechen.

Bei Ihrem Amtsantritt hatten Sie angekündigt, Studierende und Lehrende miteinzubeziehen, ihnen „auf Augenhöhe und mit viel Respekt“ zu begegnen.

So sehen und gestalten wir unser Miteinander: Zum Beispiel mit der Aktion „Coffee-Bike“, die drei- bis viermal pro Jahr stattfindet. Ein Barista schenkt Kaffee aus, daneben stehe ich auf dem Campus bereit zum Gespräch über Sorgen, Ideen und Erwartungen – für den Hausmeister, Studierende, für die Juniorprofessorin, für Spitzenforschende. Das haben wir schon auf dem Campus Von-Melle-Park gemacht, in der Science City Bahrenfeld und der City Nord. Gemeinschaft zu stiften, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen ist unsere Aufgabe und unser Anliegen für eine so große Institution wie die Universität mit mehr als 40.000 Studierenden und mehreren Tausend Mitarbeitenden – zumal nach drei Jahren Pandemie. Deshalb haben wir viele Gelegenheiten geschaffen, die Hochschule wieder zu erleben, etwa mit einem Campusfest im vergangenen Sommer.

Die Landes-Asten-Konferenz beklagte Ende 2022, durch eine unzureichende Finanzierung seien Studienangebote an den Hamburger Hochschulen gestrichen und Stellen nicht besetzt worden. Hat sich die Lehre an der Universität Hamburg verschlechtert?

Dafür habe ich keinen Anhaltspunkt. Aber ich bin auch in Sorge, weil wir immer noch Folgeeffekte der Pandemie sehen. Wir arbeiten sehr hart daran, alle Studierenden wieder an die Uni zu bringen, also in die Präsenzveranstaltungen.

Die Zukunftsverträge der Stadt mit den Hamburger Hochschulen sehen vor, dass Tarif- und Inflationssteigerungen bis zu einer Höhe von zwei Prozent übernommen werden sollen. Nun liegt die Inflationsrate sehr viel höher, hinzu kommen gestiegene Energiekosten. Bringt das die Universität in Schwierigkeiten?

Bei der Inflation müssen wir uns genau anschauen, inwieweit das die Universität betrifft. Tariferhöhungen werden erst von 2024 an ein Thema für uns sein, aber dann werden wir darüber mit der Stadt sprechen müssen. Zu den gestiegenen Energiekosten stehen wir jetzt schon in einem guten Austausch mit der Stadt und haben die Zusage, dass man uns nicht hängen lassen wird. Darauf vertraue ich. Es gibt von Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und von der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) ein klares Bekenntnis, dass Wissenschaft in Hamburg eine entscheidende Rolle spielt, als Motor der Innovation und damit als Beitrag zum Wohlstand.

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    Das halte ich für einen sehr guten Vorschlag. Denn Wissenschaft gehört natürlich dazu, wenn man Innovationen in Hamburg fördern will.

    Wie wollen Sie die Universität weiterentwickeln?

    Ich möchte, dass wir als Universität der sogenannten Twin-Transformation wahrgenommen werden, also für Nachhaltigkeit stehen und dafür, dass wir Vorteile der Digitalisierung nutzen. Wir haben nun eine Chef-Beauftragte für Nachhaltigkeit: Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere für nachhaltiges Wirtschaften. Sie wird eine Nachhaltigkeitsstrategie erarbeiten. Die Uni soll einen Klimaplan bekommen, Energie sparen und ihre Emissionen reduzieren. Nachhaltigkeit prägt aber auch zunehmend unsere Lehre: Wir bilden Studierende so aus, dass sie sich beruflich und privat für Umwelt- und Klimaschutz engagieren können.

    Und welche Rolle soll die Digitalisierung spielen?

    Das betrifft viele Aspekte. Zum Beispiel wollen wir an der Uni vorhandene Daten nutzen, um nachhaltig zu werden. Es tangiert aber auch Studium und Lehre. Corona hat uns einen Innovationsschub gebracht, einen erzwungenen Sprung ins Digitale. Wir sind froh, dass die Präsenzlehre zurück ist, aber es wird zukünftig mehr hybride Lehrveranstaltungen und reine Online-Lehre geben als vor der Pandemie. Wir schauen uns sehr sorgfältig an, wo digitale Formate didaktisch dauerhaft sinnvoll sein können. Wenn Studierende allerdings an der Uni zwischen Online-Vorlesungen und Präsenzseminaren wechseln können sollen, ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Einen Teil unserer Lehr- und Lernräume werden wir dafür anders gestalten müssen.