Hamburg. Gehhilfen, Rollatoren, Rollstühle – der demografische Wandel macht auch in Hamburgs Gefängnissen nicht halt. Wie die Behörde reagiert.

Langsam und nur mit Trippelschritten geht es für den alten Mann voran. Der Rücken ist leicht gebeugt, eine Hand zittert. Ihr Vater leide an Parkinson, sagt die Tochter des 88-Jährigen. Sie begleitet den gebrechlichen alten Mann – zum Gericht.

Der 88-Jährige ist angeklagt wegen illegalen Handels mit antiken Kunst- und Kulturgütern. Neben ihm sitzt ein Mann auf der Anklagebank, der mit seinen 84 Jahren auch nicht viel jünger ist. Die Rentnergang soll versucht haben, Kunstschätze illegal zu verkaufen. Mit angeklagt ist ein Jungspund von 52. Der Vierte im Bunde ist inzwischen verstorben.

Die Gesellschaft altert – und mit ihr die Kriminellen: die Angeklagten und die Verurteilten.

2165 Frauen und überwiegend Männer saßen Mitte März in den sechs Hamburger Justizvollzugsanstalten in Haft. 67 von ihnen waren älter als 60 Jahre. Von den 67 befanden sich 58 im geschlossenen Strafvollzug, neun saßen in Untersuchungshaft. Straffällig, alt, pflegebedürftig. Die Zahl der Rentner in deutschen Gefängnissen steigt seit Jahren. Und mit ihr steigt die Zahl der Menschen, die hinter Gittern auf Hilfe angewiesen sind. Gehhilfen, Rollatoren, Rollstühle – „der demografische Wandel macht auch vor dem Vollzug nicht halt.“ Das sagt der Hamburger Gefängnisseelsorger Friedrich Kleine.

Rentner hinter Gittern – bundesweit sind 2500 älter als 60

In der JVA Fuhlsbüttel gibt es seit drei Jahren eine behindertengerechte Station mit barrierefreien Hafträumen. „Das ist absolut zu begrüßen. Unter den älteren Insassen sind einige auf den Rollator angewiesen, andere leiden an chronischen Erkrankungen, bei wieder anderen ist der ganze Bewegungsapparat eingeschränkt. Einige kommen die Treppen nicht mehr richtig rauf und runter“, sagt Gefängnisseelsorger Kleine.

Gesonderte Abteilungen nur für Senioren? Fehlanzeige. Es gibt auch keine Planungen, etwas daran zu ändern, informiert die Justizbehörde. Altersunabhängig achte man aber auf die Bedarfe des einzelnen Gefangenen. „Hat jemand krankheits-, alters- oder typbedingt ein gesteigertes Ruhebedürfnis, wird man ihn, wenn möglich, nicht gerade in einem Haftraum neben dem Gruppenraum, sondern in einem weniger belebten Teil der Station unterbringen“, schreibt die Justizbehörde.

Unter den alten Gefangenen in Hamburg waren zuletzt 21 Frauen

Die JVA in Lübeck geht einen anderen Weg als Hamburg. Hier entsteht ein barrierefreier Neubau mit seniorengerechten Wohnungen und Haftplätzen für 30 Rentner. Friedrich Kleine kennt das Lübecker Gefängnis bestens. Fünf Jahre hat er hier gearbeitet und eine Gruppe lebensälterer Gefangener geleitet. „Die Idee war, dass sich die Herren über altersspezifische Themen austauschen können.“ Die älteren Insassen waren uneins, erzählt Kleine, was von einer altengerechten Abteilung zu halten sei. Die Befürworter erhofften sich Ruhe, den Gegnern erschien das langweilig, weil dann der Kontakt zu Jüngeren fehlen würde, sagt der Gefängnisseelsorger.

Zuletzt saßen rund 44.000 Menschen in deutschen Gefängnissen ein. Die mit Abstand größte Gruppe ist mit mehr als 15.000 die der 30- bis 39-Jährigen. Das Statistische Bundesamt wies zum 31. März des vergangenen Jahres aber auch 2000 Häftlinge zwischen 60 und 69 aus. Und 500 Insassen waren sogar 70 Jahre oder älter; unter ihnen: 21 Seniorinnen.

Ein Grund ist die demografische Entwicklung

Die Zahl der Ü-70-Häftlinge hat sich in den vergangenen Jahren bundesweit verdrei- bis vervierfacht. Kriminologen erklären das Phänomen auch mit der demografischen Entwicklung: Die Lebenserwartung steigt und mit ihr die Zahl der Senioren im Knast. Etliche der älteren Häftlinge sitzen seit vielen Jahren ein, wegen besonderer Schwere der Schuld verurteilt zu Sicherungsverwahrung im Anschluss an die reguläre Haft. Daneben gibt es aber auch die Senioren, die es auch im Alter nicht lassen können, neue Straftaten zu begehen. Mal sind es fortgesetzte Betrügereien, mal Beschaffungskriminalität.

Hamburg bringt Menschen mit Mobilitätseinschränkungen – egal welches Alters – in einer der insgesamt 12 barrierefreien Zellen unter, sofern ein Platz frei ist. „Im Zuge von Sanierungen sowie von Um- und Neubauten werden je nach Bedarf barrierefreie Hafträume geplant, so in der derzeit am Standort der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Erstellung befindlichen Jugendanstalt Hamburg“, informiert die Justizbehörde.

Senioren-Sportgruppe in der sozialtherapeutischen Anstalt

Es gibt Gesprächs-, Freizeit- und Sportangebote, die allen Gefangenen, egal wie alt sie sind, offenstehen. Zusätzlich trainiert in der Sozialtherapeutischen Anstalt eine Senioren-Sportgruppe bis zu viermal im Monat. In „Santa Fu“ sind die Sportangebote mehr für die jüngere Generation gedacht. Krafttraining zum Beispiel, sagt Gefängnispastor Kleine. „Aber wir haben mehrere Laufgruppen etabliert. Bei denen geht es nicht darum, leistungsmäßig zu joggen. Dabei macht eine Beamtin zusätzlich zu den Freistunden ein Bewegungsangebot, sodass man einmal die Woche oder sogar zweimal die Woche in der Gruppe gehen, walken oder laufen kann.“

Die Gerontologin Liane Meyer hat sich intensiv mit der Situation älterer Inhaftierter in deutschen Gefängnissen auseinandergesetzt. Sie spricht von „demografischen Strukturen unserer Gesellschaft“, die auch im Strafvollzugssystem zu beobachten seien. „Obwohl die Zahl der Häftlinge seit Jahren abnimmt, vor allem bei den Jüngeren, steigt sie bei den über 50-Jährigen seit über 25 Jahren kontinuierlich an“, hat die Expertin ihre Forschungsergebnisse veröffentlicht. Als einen weiteren Grund macht sie die „Sanktionspraxis, insbesondere die häufigere Verhängung von lebenslangen Freiheitsstrafen und Sicherungsverwahrung“ aus.

Was der Hamburger Fürsorgeverein leistet

Meyer spricht von besonderen Herausforderungen im Strafvollzug. Ein Leben in Unfreiheit, die unklare Perspektive, soziale Isolation und der Bewegungsmangel wirkten sich auf die Gesundheit aus. Ältere Häftlinge litten häufiger unter Depressionen als Gleichaltrige in Freiheit, auch Hepatitis C, Diabetes oder Durchblutungsstörungen seien verbreiteter. „Die Gefahr für gesundheitliche Probleme, körperliche und psychische Erkrankungen und Funktionseinschränkungen ist im Vergleich … um den Faktor 3 bis 4 erhöht“, analysiert Gerontologin Meyer. „Im Haftalltag können sich die Probleme entsprechend weiter verschärfen. Dem Staat fallen eine besondere Fürsorgepflicht und Verantwortung für die davon betroffenen älteren Inhaftierten zu.“

Ehrenamtliche Mitarbeiter des Hamburger Fürsorgevereins besuchen regelmäßig Gefangene ohne Sozialkontakte nach draußen. Davon profitieren gezielt die älteren Gefangenen. Man trifft sich regelmäßig in der Anstalt für Gespräche. Zum Teil begleiten die Ehrenamtlichen in der Phase vor der Haftentlassung die Gefangenen auch bei ihren Ausgängen. Seelsorger Kleine: „Der Fürsorgeverein ist eine klasse Einrichtung. Ich habe hohen Respekt vor den Ehrenamtlichen. Und die Gefangenen sind sehr dankbar dafür.“

Vom Gefängnis direkt ins Altenheim

Bei vielen Insassen von „Santa Fu“ oder anderen Gefängnissen steht in der Akte die Diagnose „dissoziale Persönlichkeitsstörung“. Heißt: Sie sind deutlich aggressiver, halten sich nicht an Gesetze, zeigen keine Reue. „Studien belegen, dass mit zunehmendem Alter die Symptome abnehmen. Die Wiederholungsgefahr bei Älteren ist statistisch geringer als bei Jüngeren“, sagt der Gefängnisseelsorger.

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Wie aber Tätern im Rentenalter eine Chance auf Resozialisierung geben, die die letzten Jahre hinter Gittern gesessen haben? Eine Rückkehr ins Arbeitsleben, über die eine Wiedereingliederung gelingen könnte, fällt aus. Familie? Oft Fehlanzeige. „Bei Rentnern ist es manchmal sinnvoll, gleich eine betreute Einrichtung in einer Seniorenwohnanlage zu finden. Viele haben nur noch die Prognose, wenigstens noch ein paar gute Jahre in Freiheit zu leben“, sagt der Gefängnispastor.

Zurück zur Rentnergang und ihren antiken Kunstschätzen: Die Taten haben sich laut Anklage bereits vor rund zehn Jahren ereignet. Damals soll die Bande versucht haben, Hamburger Museen unter anderem ein antikes goldenes Trinkhorn und einen thrakischen Becher aus dem 3. bis 4. Jahrhundert vor Christus zu verkaufen.

Kunstschätze aus Raubgrabungen von erlesener Qualität. Allein für das Trinkhorn sollen die Männer 1,5 Millionen Euro gefordert haben. Im Juni will das Landgericht Hamburg ein Urteil sprechen, möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich angesichts des Alters der Rentnerbande und den zehn Jahren, die die Tat zurückliegt, sind bis zu zehn Jahre Haft.