Hamburg. 24-Jähriger starb in den Trümmern eines Autos, das sein Bruder fuhr. Landgericht kam zu anderem Urteil als die erste Instanz.

Mehrere Menschen, die wirkten wie unter Schock. Ein regloser Mann auf dem Beifahrersitz eines völlig demolierten Autos: Wenn der Polizeibeamte, der kurz nach einem schweren Verkehrsunfall auf der Köhlbrandbrücke an den Unglücksort kam, das Geschehen beschreiben soll, erinnert sich der Polizist an chaotische Zustände und schwerste Unfallfolgen. „Und überall war Blut“, erzählt der 41-Jährige.

Es war sehr bald klar, dass der Schwerverletzte das Unglück vom 25. März 2019 nicht überleben würde. Mehmet R. (alle Namen geändert) starb noch an der Unfallstelle. Am Steuer des Wagens, in dem der junge Mann zu Tode kam, war der Bruder des 24-Jährigen. Inwieweit ist Ali R., der damals den Audi lenkte, verantwortlich für die Geschehnisse? Und gab es auf der Köhlbrandbrücke vor der folgenschweren Kollision zwischen Ali R. und einem anderen Autofahrer ein Kräftemessen? Nach dem Motto: Wer ist schneller, wer ist der bessere – oder waghalsigere – Fahrer?

Tödlicher Unfall auf der Köhlbrandbrücke: Bruder des Getöteten vor Gericht

Diese Fragen sollten jetzt in einem Prozess vor dem Landgericht geklärt werden, in dem sich der Bruder des damals Getöteten, Ali R., sowie ein weiterer Mann, verantworten mussten. Der Vorwurf lautete auf fahrlässige Tötung sowie Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen. Laut Anklage verfolgten die beiden heute 28 und 31 Jahre alten Männer einander in ihren Wagen vom Typ Audi A7 beziehungsweise BMW mit Geschwindigkeiten von teilweise Tempo 70 bis 100 und bei Abständen von anderthalb bis zwei Metern. Dabei hätten sie andere Fahrzeuge mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit überholt.

Als Ali R. den Konkurrenten im Kreuzungsbereich Finkenwerder Straße/Köhlbrandbrücke überholte, so die Anklage weiter, übersteuerte er sein Fahrzeug auf der Brücke bei einer Geschwindigkeit von mindestens 138 km/h, vielleicht sogar bis zu 164 km/h. Laut Ermittlungen touchierte er einen rechts von ihm fahrenden Sattelzug, kollidierte mit der Mittelleitplanke, geriet ins Schleudern und prallte mit seinem Fahrzeug erneut gegen den Sattelzug. Der Audi wurde hierdurch auf der Beifahrerseite aufgerissen – und der Beifahrer erlitt tödliche Kopfverletzungen.

Köhlbrandbrücke: Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass es ein illegales Rennen gab

Der Fall war schon einmal vor dem Amtsgericht verhandelt worden, das den BMW-Fahrer freigesprochen hatte, Ali R. jedoch zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 60 Euro wegen fahrlässiger Tötung verurteilte. Weil die Staatsanwaltschaft davon überzeugt ist, dass es zwischen den beiden Männern ein illegales Rennen gab, ging der Fall in Berufung.

In dieser zweiten Verhandlung schwiegen beide Angeklagte zu den Vorwürfen. Die Verteidiger des Unfallfahrers argumentierten, ihr Mandant sei schon durch den Tod des eigenen Bruders schwer belastet und bestraft. Mehrere Zeugen von damals berichteten im Prozess, dass die Fahrzeuge sehr schnell unterwegs gewesen seien und immer wieder andere Autos – auch rechts – überholt hätten. Dies gelte insbesondere für den Abschnitt vor der eigentlichen Köhlbrandbrücke. Doch nach einer roten Ampel, an der beide halten mussten, habe es keine Vorkommnisse gegeben, die zwingend auf ein Rennen hindeuteten, so der Eindruck der Zeugen.

Eltern des Getöteten waren verzweifelt. „Es war sehr emotional“

Doch auch so war die Situation verheerend, als der Audi wenig später mit einem Sattelzug kollidierte und schließlich entgegen der Fahrbahnrichtung zum Stehen kam. Ein Polizist berichtete als Zeuge, dass der Beifahrer in dem an der Seite aufgerissenen Wagen keinen Puls mehr hatte. Wenig später seien die Eltern des Verstorbenen und des Unfallfahrers hinzugekommen. „Es war sehr emotional“, erinnerte sich der Polizeibeamte.

„Der Vater sagte, dass das alles keinen Sinn mehr macht. Und er könnte sich von der Brücke stürzen.“ Die Eltern seien schon vor Ort betreut worden, „damit nicht noch mehr Sachen geschehen“. Und jetzt im Prozess erzählte der Angeklagte Ali R., dass er durch den Tod seines Bruders, der auch sein Freund gewesen sei, immer noch extrem belastet sei. „Mein Leben hat sich verändert.“ Nach dem Unfall sei er anderthalb Jahre krankgeschrieben gewesen und bis heute in psychologischer Behandlung.

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Aus Sicht der Staatsanwaltschaft ist nach der erneuten Beweisaufnahme nachgewiesen, dass sich die beiden Fahrer des Audi und des BMW ein Rennen lieferten und Ali R. zudem fahrlässig den Tod seines Bruders verursachte. Der Vertreter der Anklage beantragte für Ali R. eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und für den Mitangeklagten eine Geldstrafe. Die Verteidigung allerdings meinte, dass es keine schlüssigen Indizien für ein Kraftfahrzeugrennen gebe. Auch sei nicht einmal gesichert, dass der 31 Jahre alte Angeklagte, der den BMW gefahren haben soll, wirklich am Steuer saß.

Richter: „Es gab einen Wettbewerb, wer schneller fährt“

Das Landgericht kam indes zu der Überzeugung, dass die Vorwürfe aus der Anklage sich bestätigt haben, und verurteilte Unfallfahrer Ali R. zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen den zweiten Angeklagten wurde eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu 60 Euro verhängt.

Es habe zumindest im Vorfeld des Unglücksgeschehens ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen zwischen den beiden Männern gegeben, ist das Gericht sicher. „Es gab einen Wettbewerb, wer schneller fährt“, sagte der Vorsitzende Richter. Auch nach dem Halt an der roten Ampel sei ein Rennen vermutlich weitergegangen. Jedenfalls sei Ali R. in der Kurve auf der Köhlbrandbrücke viel zu schnell unterwegs gewesen und habe nicht mehr abbremsen können.

Köhlbrandbrücke: Beide Angeklagten seien „grob rücksichtslos gefahren“

Beide Angeklagten waren zeitweise, so hatte es ein Sachverständiger erläutert, mit mindestens Tempo 120 unterwegs, wo 60 erlaubt war. Damit seien sie „grob rücksichtslos gefahren“, betonte der Richter in der Urteilsbegründung. Beim Strafmaß sei unter anderem zu berücksichtigen, dass die Tat mittlerweile fast fünf Jahre zurückliegt und beiden Angeklagten für drei Jahre der Führerschein entzogen war. Und für Unfallfahrer Ali R. gelte, dass sich sein „Leben völlig verändert hat durch den Tod seines Bruders. Er wird an der Schuld sein Leben lang tragen.“