Hamburg. Teilweise Legalisierung sei „Konjunkturprogramm für die Beschaffungskriminalität“. Hohe Belastung der Hamburger Gerichte erwartet.
Richterinnen und Richter sind von Berufs wegen zur Mäßigung verpflichtet. Doch die Kritik des Hamburgischen Richtervereins an der teilweisen Legalisierung von Cannabis fällt ausgesprochen deutlich aus. Die Richter warnen davor, dass das am 23. Februar vom Bundestag beschlossene Cannabisgesetz der Ampel-Koalition die Funktionsfähigkeit der Strafjustiz gefährde, und fordern Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) auf, bei den anstehenden Beratungen im Bundesrat für „substanzielle Änderungen“ der Bestimmungen zu sorgen.
Es sei das eine, so der Richterverein, wenn der Bundestag beschließe, „einen gefährlichen Stoff wie Cannabis freizugeben, weil er der Ansicht ist, so den Umgang mit Cannabis in der Gesellschaft in bessere Bahnen lenken zu können“, als es mit einem Verbot wie derzeit der Fall sei. „Eine andere Sache ist es aber, wenn das dazu beschlossene Gesetz handwerklich derart schlecht ist, dass dieses Ziel mit den getroffenen Maßnahmen nicht erreicht werden wird“, schreiben die Richterinnen und Richter in einem offenen Brief an die Justizsenatorin.
Hamburgischer Richterverein nennt das Gesetz „handwerklich schlecht“ gemacht
Zwei zentrale Kritikpunkte halten die Juristen dem Gesetzgeber vor. „Der illegale Schwarzmarkt wird durch die Erlaubnis, dass Erwachsene künftig Cannabis zu Hause oder in sogenannten Cannabis-Clubs anbauen dürfen, nicht verschwinden“, heißt es in dem Brief. Besonders Gelegenheitskonsumenten würden auch in Zukunft die Droge auf dem Schwarzmarkt erwerben, weil die jetzt eröffneten Wege zu „hochschwellig“ seien. Erwerb und Besitz von 25 bzw. 50 Gramm Cannabis sollen künftig straffrei sein, egal ob der Stoff aus einer legalen Quelle stammt oder nicht. „Die Ermittlungsmöglichkeiten hingegen werden erheblich eingeschränkt. Das Cannabisgesetz in seiner jetzigen Form ist ein Konjunkturprogramm für die organisierte Beschaffungskriminalität“, schreiben die Richter unmissverständlich.
Der zweite Kritikpunkt betrifft die Justiz unmittelbar. „Die geplante Rückwirkung der teilweisen Straffreiheit für Besitz und Anbau von Cannabis gefährdet die Funktionstüchtigkeit der Strafjustiz“, schreibt der Richterverein. Das bedeute zunächst, dass bereits abgeschlossene Verfahren erneut gesichtet werden müssen. „Hier sei daran erinnert, dass Cannabis nur deshalb zum Konsum freigegeben werden soll, weil die Freigabe in ein umfassendes Schutzkonzept (so zweifelhaft dieses auch ist) eingebettet ist. Zum Zeitpunkt der früheren Verurteilungen gab es ein solches Schutzkonzept nicht; dies sollte Grund genug sein, die früheren Verurteilungen aufrechtzuerhalten“, fordern die Richter.
Die Richter sehen in Gesetz „ein Konjunkturprogramm für die Beschaffungskriminalität“
Die organisierten Juristen und Juristinnen bitten Gallina „dringlich, im Bundesrat den ganzen Einfluss unseres Bundeslandes geltend zu machen, um doch noch substanzielle Änderungen zu bewirken. Damit dürfte der Richterverein bei der Justizsenatorin jedenfalls zum Teil auf offene Ohren stoßen. Zwar hat Gallina als Grünen-Politikerin stets die Legalisierung von Cannabis gefordert, andererseits das im Bundestag beschlossene Gesetz, an dem ihre Berliner Parteifreunde beteiligt waren, deutlich kritisiert.
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„Die Justiz wird durch die rückwirkende Straffreiheit hoch belastet. Es muss eine gewaltige Anzahl von Akten gesichtet werden. Der Aufwand für laufende Vollstreckungsvorgänge lässt sich noch gar nicht final abschätzen“, hatte Gallina in einer ersten Stellungnahme nach dem Beschluss des Bundestages erklärt. Zudem stelle die geplante schnelle Inkraftsetzung viele Behörden der Länder vor große Probleme. „Der Bund hätte das alles besser regeln können, die Länder haben schließlich lang und deutlich auf die großen Herausforderungen bei der Umsetzung hingewiesen“, sagte die Justizsenatorin. Ein Gesetz dürfe kein Selbstzweck sein. „Es muss sich am Ende in der Praxis bewähren. Es braucht mehr Zeit, um das Vorhaben erfolgreich umsetzen zu können“, sagte Gallina, die Auseinandersetzungen im Bundesrat ankündigte.
Auch Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) befürchtet eine hohe Belastung der Justiz
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) steht als Mediziner der teilweisen Legalisierung von Cannabis aus gesundheitlichen Gründen sehr skeptisch gegenüber. Innensenator Andy Grote (SPD) rechnet als eine indirekte Folge der begrenzten Freigabe mit deutlich mehr Verkehrsunfällen unter Drogeneinfluss. Grote kritisierte außerdem, dass in dem Gesetz der Ampel-Koalition ein Grenzwert für den Cannabis-Wirkstoff THC fehle. Nur in der Rechtsprechung gebe es eine Festlegung auf 0,1 Nanogramm pro Milliliter Blut.
CDU-Oppositionschef Dennis Thering fordert Tschentscher auf, den „Cannabis-Blindflug“ der Ampel-Koalition zu stoppen. „Nach Ärzten, Polizeivertretern und allen Innenministern der Länder hat jetzt auch der Hamburgische Richterverein vor einem Konjunkturprogramm für Dealer-Banden gewarnt. Wir fordern Bürgermeister Tschentscher nicht nur auf, das Cannabisgesetz ohne Wenn und Aber abzulehnen, sondern dieses endlich auch aktiv zu verhindern“, sagte Thering. Tschentscher solle unverzüglich den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anrufen. Das Cannabisgesetz reihe sich ein „in eine Reihe von kapitalen Fehlentscheidungen der schlechtesten Bundesregierung aller Zeiten“.