Hamburg. Pilotprojekt zeigt: Welche Probleme verbreitet sind und zu welchen Hamburger Verwaltungsstellen besonders viele Meldungen vorliegen.

Unterlagen verschwinden, niemand ist erreichbar, und Anträge werden viel zu lange bearbeitet. Kunden stoßen in Ämtern und Behörden auf viele Hürden. Statistisch erfasst wurde das bisher noch nicht. Mit der Initiative „Monitor Verwaltungshandeln“ haben die Hamburger Wohlfahrtsverbände Beschwerden über die Verwaltung in Hamburg über knapp vier Monate gesammelt und ausgewertet. Das Ergebnis des ersten systematischen „Monitors Verwaltungshandeln“: Vor allem das Jobcenter und das Amt für Migration fallen negativ auf.

Fast jede zweite Beschwerde bezieht sich auf das Amt für Migration. 39 Prozent der sogenannten „Problemanzeigen“ stehen im Zusammenhang mit dem Jobcenter. Bei diesen Vorgängen gehe es nicht um die Beantragung eines Personalausweises, sagt Dirk Hauer vom Diakonischen Hilfswerk Hamburg. „Es geht um existenzsichernde Leistungen“.

Hamburger Ämter und Behörden: Fast 2000 Beschwerden in vier Monaten

„Mit dem Monitor haben wir erstmals die Möglichkeit, problematische Vorgänge in Ämtern und Behörden gezielt zu erfassen“, sagt Sandra Berkling, stellvertretende Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW). Mehr als 560 Meldungen mit fast 2000 einzelnen Problemanzeigen wurden registriert. Der Monitor ging am 11. Oktober 2023 an den Start, die Zahlen wurden bis zum 31. Januar erfasst. Die Meldungen gehen über eine Website ein. Aktuell können nur Mitarbeiter von Beratungsstellen Probleme melden, auf die ihre Kunden gestoßen sind.

Inhaltlich beziehen sich die Beschwerden hauptsächlich auf den Umgang mit Unterlagen (41 Prozent), die Erreichbarkeit (27 Prozent) und das Thema „Geldleistungen und Bearbeitungszeit“ (19 Prozent), wie aus dem Bericht hervorgeht. „Wenn Menschen bei Mittellosigkeit länger als eine Woche oder sogar vergeblich auf Vorausleistungen warten, geraten sie in eine existenzielle Notlage“, sagt Sandra Berkling. Etwa drei Prozent der Problemanzeigen beziehen sich auf respektloses Verhalten. Zum Beispiel soll eine Sachbearbeiterin im Amt für Migration einer Kundin unterstellt haben, das Sozialsystem zu unterwandern; diese wäre sowieso nicht bereit zu arbeiten. Die Person hatte keine Arbeitserlaubnis.

Sozialarbeiterin: „Die Behörden wollen Anträge, die wir schon längst eingereicht haben“

Genau diese Fälle erlebt Ute Grütter vom Jugendmigrationsdienst CJD Hamburg hautnah mit. Im letzten Sommer sei ein junger Mann aus Somalia nach Deutschland gekommen, der mittlerweile seit sechs Wochen kein Geld erhalte, sagt die Sozialarbeiterin. „Die Behörden wollen Anträge haben, die wir schon längst eingereicht haben.“ Die Briefe, die ihm zugeschickt werden, könne er ohnehin nicht verstehen. „Die Menschen, die diese Briefe bekommen, können kein Deutsch.“ Für diejenigen, die auf Leistungen angewiesen sind, sei das eine Katastrophe. Bis die Gelder dann ausgezahlt werden, haben sich viele verschuldet; für diejenigen, die hier kein Netzwerk haben, sei nicht mal das möglich.

Vor allem seit der Corona-Pandemie sei es besonders schwer geworden, Behörden und Ämter zu erreichen. Ute Grütter verschickt lieber ein Fax als eine Mail, da sei die Wahrscheinlichkeit höher, eine Antwort zu bekommen. Selbst wenn die Digitalisierung ausreichend umgesetzt würde, bringe dies jedoch weitere Probleme mit sich, sagt Dirk Hauer vom Diakonischen Hilfswerk. Bei vielen Kunden kann kein Smartphone vorausgesetzt werden, „dann müsste man den Leuten auch die Geräte zur Verfügung stellen“.

AGFW: Leistungen müssen unbürokratischer gewährt werden

Die AGFW will die Ergebnisse des Berichts nun mit Verwaltung und Politik besprechen und macht folgende Lösungsvorschläge: Wenn jemand offensichtlich Anspruch auf Leistungen hat, müssen diese auch ohne Prüfung vorübergehend gewährt werden. Wünschenswert wären außerdem Telefon-Hotlines, über die die Behörden und Ämter erreichbar sind. Onlineportale sollten benutzerfreundlich gestaltet werden und in mehreren Sprachen verfügbar sein. Zudem sollten Leistungsberechtigte umfassend von den Behörden und Ämtern informiert werden, diese Aufgabe sei bislang fast komplett den Beratungsstellen überlassen. „Wir haben das Gefühl, dass wir der verlängerte Arm der Verwaltung geworden sind“, sagt Ute Grütter.

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„Es geht uns darum, dass Menschen, die auf die Hamburger Verwaltung angewiesen sind, ihre sozialen Rechte umsetzen können“, sagt Sandra Berkling. Davon weiche die Realität jedoch ab. Die Behörden hätten in der Vergangenheit argumentiert, dass Beschwerden sich auf Einzelfälle beziehen würden. „Uns fehlte eine Datenbasis, um darauf besser reagieren zu können“. Diese Daten werden nun mit dem Monitor erfasst. Das Pilotprojekt ist bislang das einzige dieser Art in Deutschland. Sandra Berkling hofft, dass andere Bundesländer nachziehen.