Berlin. Jedes Jahr fließt privates Geld aus Deutschland in ärmere Länder. Das hilft den Menschen vor Ort. Aber schadet es dem deutschen Staat?
Die Zahlen der Weltbank sind enorm: Rund 660 Milliarden Dollar, gut 600 Milliarden Euro, überweisen Migrantinnen und Migranten aus Entwicklungsländern jedes Jahr zurück in ihre Heimat. Der Wert steigt seit Jahren an, hat sich seit 2010 verdoppelt, auch weil mehr Menschen weltweit auswandern und fliehen.
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Die Rücküberweisungen durch Migration, sogenannte „Remittances“, etwa aus Europa in ärmere Länder, sind längst zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Zum Vergleich: Laut Weltbank ist die Summe dieser privaten Überweisungen durch Migranten etwa so hoch wie ausländische Investitionen durch Unternehmen und Entwicklungshilfe – zusammen.
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Und doch ist es auch ein brisantes Thema: Denn Geld, das in Deutschland erwirtschaftet wird, fließt in Investitionen in Rumänien, Ghana oder Syrien. Besonders heikel: wenn der Sozialstaat Geld an Asylsuchende überweist – und die dann Geld ins Ausland weitersenden. Doch wie gravierend ist das Problem? Es lohnt ein genauerer Blick auf die Zahlen.
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Wie viel Geld schicken Migranten von Deutschland ins Ausland?
Die Weltbank schätzt, dass Menschen im Jahr 2022 gut 15 Milliarden Euro aus Deutschland in ihre Heimatländer überwiesen haben. Im vergangenen Jahr ging die Summe zurück, jedoch laut Berechnungen der Weltbank nur leicht. Die Bundesbank schätzt den Wert der Überweisungen von Migranten ins Ausland deutlich geringer ein, knapp sieben Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Die unterschiedlichen Werte machen deutlich: Die Summen der Geldtransfers sind schwer zu analysieren, denn wer privat Geld ins Ausland überweist, muss das erst melden, wenn der Betrag über 12.500 Euro liegt. Das ist selten der Fall.
Wie wird der Faktor der Geldtransfers durch Migration berechnet?
Die Bundesbank erhält monatlich freiwillige Meldungen privater Überweisungen durch die Kreditinstitute. Die Angaben sind anonymisiert. Die Bundesbank zieht Daten über ausländische Beschäftigte in Deutschland hinzu, überprüft damit die freiwilligen Angaben der Banken. Klar ist aber: Die Datenlage ist unsicher. Auch das Bundesfinanzministerium gibt auf Nachfrage an, dass es zur Höhe der Geldtransfers durch Migranten aus Deutschland in die Heimat keine Informationen hat.
Die Weltbank bezieht in ihre Berechnungen auch mit ein, wenn Arbeitsmigranten Vermögen an Familienangehörige im Ausland übertragen. Und sie rechnet auch Angaben von Menschen ein, die nur kurz in Deutschland arbeiten und nach weniger als zwölf Monaten wieder zurückreisen.
Wohin fließt das Geld der Migranten aus Deutschland?
Weltweit ist Indien das Land mit dem größten Volumen an Überweisungen aus dem Ausland. In Deutschland ist das anders: Der größte Teil der Rücküberweisungen von Menschen mit Migrationsgeschichte geht in europäische Staaten. Das überrascht nicht, kommen doch fast die Hälfte aller Zugewanderten nach Deutschland aus anderen europäischen Staaten. Das Geld fließt vor allem nach Rumänien und Polen, aber auch in die Türkei. „Das meiste Geld dürfte von Arbeitsmigranten stammen, die genug verdienen, um einen Teil ihres Lohnes nach Hause zu überweisen“, sagt Matthias Lücke vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel im Gespräch mit dem „Mediendienst Integration“.
Ähnlich schätzen es Fachleute der Weltbank ein, auch der Migrationsforscher Herbert Brücker im Gespräch mit unserer Redaktion. Aus Studien, aber auch aus Befragungen seines Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht hervor, dass etwa 20 bis 25 Prozent der Migranten Geld in die Heimat überweisen, unter den Asylbewerbern sind es deutlich weniger. Und je länger die Menschen hier leben und arbeiten, desto geringer werden die Überweisungen in die Heimat, gibt die Weltbank an.
Die meisten schicken laut IAB unter 1000 Euro pro Jahr zurück. Wenig Geld für deutsche Verhältnisse – und doch viel Kaufkraft für Länder in Nahost und Afrika. Laut Bundesbank gingen 2023 geschätzte 360 Millionen Euro aus Deutschland nach Syrien, immerhin 139 Millionen nach Afghanistan. Zum Vergleich: In die Türkei flossen 2023 mehr als 830 Millionen Euro an Rücküberweisungen. Die Zielländer in Nahost und Asien sind ein Indiz, dass auch Geflüchtete Geld in ihre Heimat überweisen – auch wenn der Anteil gering ist.
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Menschen auf der Flucht berichten Recherchen unserer Redaktion zufolge immer wieder von dem Druck, Geld an ihre Familie in der Heimat zu überweisen. Oftmals haben sich junge Menschen Geld für die Schleppernetzwerke bei Verwandten geliehen, müssen Tausende Dollar zurückzahlen.
Seit 2022 ist die zudem zu einem wichtigen Empfängerland von Zahlungen aus Deutschland geworden – weit mehr als eine Million Menschen flohen hierher vor dem russischen Angriffskrieg. Sie schicken nun auch Geld zurück in das Kriegsland.
Welche Folgen hat der Geldtransfer für ärmere Staaten?
Migrationsforscher und Ökonomen sind sich einig: Die Effekte der Rücküberweisungen aus westlichen Staaten in Länder des globalen Südens sind enorm. Menschen investieren das Geld in Arztbesuche, in Medikamente, aber auch in den Aufbau kleiner Unternehmen, berichtet etwa Dilip Ratha, Chefökonom der Weltbank. Erhebungen würden beispielsweise zeigen, dass die Zahl der Schulabbrecher in den Heimatländern sinkt, weil mit Überweisungen aus dem Ausland Schulgeld bezahlt wird. Gerade wenn Angehörige in Not sind, Hunger leiden, krank sind, schicken Menschen aus Deutschland Geld – oft sind es dann nur kleine Summen, die aber akut helfen. So berichten es Migrationsforscher.
Doch es gehe nicht nur ums Geld, sagt Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wenn Menschen im Ausland arbeiten, erwerben sie oft neue berufliche Qualifikationen, lernen eine Sprache, knüpfen Kontakte. Auch damit helfen die Menschen ihren Heimatländern, wenn sie zurückkehren.“
Und doch sehen Forschende auch Gefahren für die Situation in den Heimatländern durch die privaten Zuwendungen aus dem Ausland. „Menschen, die Geld aus Deutschland überwiesen bekommen, sind privilegiert, können sich mehr leisten. Damit kann die soziale Ungleichheit in den Ländern wachsen, das kann zu Spannungen und Konflikten führen“, sagt Forscher Brücker. Einerseits können diese Überweisungen die Wirtschaft in den ärmeren Staaten ankurbeln, die Nachfrage nach Produkten erhöhen – andererseits jedoch inländische Unternehmen schwächen und Exporte reduzieren.
Preise für Güter und Dienstleistungen können steigen und vor allem die Menschen hart treffen, die kein Geld aus dem Ausland bekommen. Zudem leiden Kinder darunter, wenn Eltern im Ausland arbeiten. Das wiederum kann die Leistungen in der Schule hemmen – auch wenn Geld für Hilfe und Bücher da ist.
Migrationsforscher Brücker sagt, dass trotz der Risiken die positiven Effekte der Rücküberweisungen deutlich überwiegen. Jedes Verbot wäre falsch: „Es sollten nur die Anreize gestärkt werden, dass ein Teil des Geldes in Bildung oder Unternehmen investiert wird, um die Entwicklung zu fördern.“
Welche Kosten entstehen dem deutschen Sozialstaat?
Es ist unklar, wie viel Asylsuchende von ihrer Sozialhilfe in ihre Heimat schicken. Die Bundesländer gaben 2022 gut sechs Milliarden Euro an Nettoleistungen für Schutzsuchende aus, knapp 500.000 Geflüchtete bezogen die Hilfe. Gut 400 Euro erhält ein alleinstehender Erwachsener vom Amt. Fachleute gehen davon aus, dass am Ende des Monats wenig übrig bleibt, das in die Heimat überweisen werden kann. Wissenschaftler Brücker vom IAB sagt mit Blick auf Befragungen von Asylsuchenden, dass manche von ihnen oft nur 30 Euro im Monat zurückschicken würden – wenn überhaupt.
Und doch flammt die Debatte über Verbote oder Besteuerung von Überweisungen ins Ausland durch Asylsuchende immer wieder auf. Im Herbst hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) angekündigt, sogar eine Blockade dieser Zahlungen prüfen zu lassen. Lindner befürchtete, dass auch Schleppernetzwerke mit dem Geld aus Deutschland finanziert würden.
Doch auf Nachfrage kommt dazu wenig aus Lindners Ministerium. Zahlen über die Höhe der Überweisungen habe man nicht, auch nicht darüber, wie viel aus Sozialleistungen stamme. „Hierzu liegen uns keine Daten vor“, teilt eine Sprecherin mit. Auch zu der angekündigten Prüfung einer Zahlungsblockade sagt das Ministerium auf Nachfrage nichts.
Mehrere Bundesländer wollen in diesem Jahr eine
Bezahlkarte für Asylsuchende
einführen. Geld wird dann vom Staat direkt auf die Chipkarte überwiesen – und Transfers von der Karte ins Ausland sind nicht möglich. Forschende jedoch warnen: „Wenn man Geflüchteten durch verschärfte Überwachung Überweisungen ins Ausland erschwert, weichen diese möglicherweise auf informelle Bezahl-Netzwerke aus, wie etwa das Hawala-System, die nur teilweise legal sind“, sagt Matthias Lücke vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
Und Schleuser ließen sich mit den Beträgen der Bezahlkarte ohnehin kaum bezahlen, sagt etwa der Migrationsforscher Brücker. Eine Flucht kostet oft mehrere Tausend Euro. Monatlich kann ein Asylsuchender 50 Euro Bargeld abheben mit der neuen Bezahlkarte. Er müsste, so sagt es Forscher Brücker ironisch, also lange sparen.
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