Hamburg. Laut interner Untersuchung will nicht einmal jeder dritte Referendar in Vollzeit arbeiten. Was jetzt zu ihrer Entlastung getan wird.

  • Zahlreiche Referendare an Hamburgs Schulen fühlen sich durch ihre Arbeit gesundheitlich beeinträchtigt.
  • Jeder vierte Lehranfänger würde den Beruf nicht wieder wählen.
  • Was jetzt zu ihrer Entlastung getan wird.

Hamburgs Schülerschaft wird in den kommenden Jahren erheblich wachsen: Bis 2030 erwartet der Senat 45.000 zusätzliche Mädchen und Jungen in den Klassenzimmern, ein Viertel mehr als 2019. Um sie gut zu unterrichten, sind viele neue Lehrerinnen und Lehrer nötig. Doch bei der Ausbildung des Lehrernachwuchses liegt in Hamburg offenbar einiges im Argen. Das geht aus der noch unveröffentlichten Auswertung einer Gefährdungsbeurteilung für das Referendariat hervor, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt.

Den Angaben zugrunde liegt eine Befragung, die das Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) im Jahr 2023 durchführte. Daran beteiligten sich 465 von 1231 angeschriebenen Referendarinnen und Referendare, unter ihnen 411 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, 32 Quereinsteiger und 20 Menschen in der sogenannten Anpassungsqualifizierung für ausländische Lehrkräfte. Die Ergebnisse von 2023 verglich das LI mit einer Befragung im Jahr 2017. Dabei zeigen sich zum Teil deutliche Verschlechterungen.

Schule Hamburg: Viele angehende Lehrer fühlen sich gesundheitlich beeinträchtigt

So gaben 19 Prozent der Befragten 2023 an, sie fühlten sich „gesundheitlich stark beeinträchtigt“ – im Jahr 2017 hatten das 15 Prozent der Referendare konstatiert. Knapp mehr als die Hälfte (51 Prozent) fühlten sich 2023 „etwas gesundheitlich beeinträchtigt“ (2017: 53 Prozent). Von den zuletzt Befragten sagten 23 Prozent, ihr physischer Zustand habe sich seit dem Beginn des Vorbereitungsdienstes oder der Anpassungsqualifizierung deutlich verschlechtert; 47 Prozent bekundeten eine leichte Verschlechterung. Dass sich ihr psychischer Zustand deutlich verschlechtert habe, gaben 38 Prozent der Befragten an; 40 Prozent stellten eine leichte Verschlechterung fest. Insgesamt erklärten also 70 Prozent der Nachwuchslehrer, dass sie sich durch die Arbeit gesundheitlich beeinträchtigt fühlen.

Anders als 2023 war bei der Befragung im Jahr 2017 offenbar nicht nach einem physischen und einem psychischen Zustand unterschieden worden, sondern die Referendare sollten Auskunft zu ihrem „Gesundheitszustand“ geben. Damals sagten 20 Prozent der insgesamt 392 Befragten, seit Beginn des Referendariats habe sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechtert, 52 Prozent gingen von einer leichten Verschlechterung aus.

Schule Hamburg: Jeder vierte Referendar würde den Beruf nicht wieder wählen

Von den zuletzt befragten Lehrkräften im Vorbereitungsdienst und in der Anpassungsqualifizierung beabsichtigten der Auswertung zufolge nur 32 Prozent, in Vollzeit in den Beruf zu starten – im Jahr 2017 hatten dies 35 Prozent angestrebt. 72 Prozent der Referendare würden den Beruf wieder wählen – ein deutlich geringerer Wert als fünf Jahre zuvor (87 Prozent). Etwa jeder vierte Referendar würde sich offenbar nicht erneut für den Beruf entscheiden.

Nur 49 Prozent halten die Prüfungsverfahren für transparent, 63 Prozent fühlen sich in diesem Zusammenhang belastet. 44 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, ihre Mentoren seien fachdidaktisch qualifiziert (2017: 47 Prozent). Lediglich 31 Prozent halten die Vorbereitungszeit für Hospitationen im Unterricht für angemessen (2017: 33 Prozent); 81 Prozent fühlen sich in diesem Zusammenhang belastet (2017: 80 Prozent).

Nur elf Prozent der Referendare sagen, dass sie mit ihrem Gehalt auskommen

Für 65 Prozent der Referendare fehlen Erholungspausen, 57 Prozent fühlen sich in diesem Zusammenhang belastet. Nur knapp die Hälfte (49 Prozent) der Referendare gab an, das Thema Gesundheit werde von Seminarleitern angemessen beachtet (2017: 55 Prozent). Allerdings sagten 91 Prozent der Befragten, es gebe ein vertrauensvolles Arbeitsklima in den Seminaren; 81 Prozent sind der Meinung, dass Konflikte konstruktiv thematisiert werden.

38 Prozent der Referendare mit Kindern sagten, ihnen gelinge die Balance zwischen Vorbereitungsdienst und Elternschaft. Dieser Wert ist allerdings erheblich höher als 2017: Damals schafften es nur neun Prozent der Referendare mit Kindern nach eigenen Angaben, den Vorbereitungsdienst und ihre Elternschaft zu vereinbaren. Gerade einmal elf Prozent der angehenden Lehrer sagten, dass sie mit der Vergütung auskommen. Referendare erhalten in Hamburg ein monatliches Brutto-Gehalt von 1575,04 Euro.

Gewerkschaft: „Überstunden und Dauerstress“ im Referendariat

Nach Einschätzung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hamburg ist der Alltag von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst geprägt von Überstunden und Dauerstress. „Die Überstunden kommen vor allem dadurch zustande, dass Unterricht aufwendig vorbereitet werden muss und der Aufwand sich erhöht, wenn es Hospitationen durch Seminarleitungen gibt“, erklärt die GEW auf Abendblatt-Anfrage. „Es gelten hohe Anforderungen an den gezeigten Unterricht und der Fokus liegt darauf, perfekten Unterricht statt alltagstauglichen Unterricht vorzubereiten.“

Besonders hoch sei die Belastung für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst mit Hauptfächern und Oberstufenkursen. „Die Ferien werden nur sehr selten mit Freizeit verbracht, in den meisten Fällen werden hier Klausuren korrigiert oder Unterricht vorbereitet.“

„Extreme Belastungen im Umgang mit Mentoren an den Schulen“

Der Dauerstress sei vor allem der anderthalbjährigen „Prüfungssituation“ geschuldet, „mit neun Hospitationen und 15 Kleingruppenhospitationen“, so die GEW. „In 18 Monaten steht man dauerhaft unter Beobachtung. Kontinuierliches Feedback ist elementar für ein Gelingen der Ausbildung, jedoch gibt es kaum bewertungsfreie Räume, in denen dieses stattfinden kann.“

Viele Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst klagten über „fehlende Transparenz bezüglich der Prüfungen“, erklärt die Gewerkschaft. „Einige Erfahrungsberichte zeigen, dass es auch extreme Belastungen im Umgang mit den Mentorinnen und Mentoren an den Schulen gibt. Diese sind nicht ausreichend geschult, was zur Folge hat, dass einige viel zu hohe Erwartungen an Lehrer im Vorbereitungsdienst haben.“

Gewerkschaft: Lehrer im Vorbereitungsdienst „höchst unterbezahlt“

Lehrer im Vorbereitungsdienst seien „für eine Vollzeitbelastung höchst unterbezahlt, trotz der hohen professionalisierten Anforderungen“, so die GEW. Ein Wechsel in Teilzeit sei während der Ausbildung nicht möglich und stelle „besonders für Menschen, deren Lebensumstand sich geändert hat, eine hohe Belastung dar“. Von der Bezahlung für das Referendariat könne „in einer Stadt wie Hamburg im Prinzip niemand leben“. Die Besoldung müsse „dringend erhöht werden“.

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Die Schulbehörde erklärt auf Abendblatt-Anfrage, das „Belastungsempfinden“ bei den zuletzt befragten Referendaren sei „leicht gestiegen“ gegenüber der Untersuchung im Jahr 2017. Dies sei nun „gründlich zu analysieren, und es werden Maßnahmen geprüft und umgesetzt, die den Belastungen und dem Belastungsempfinden weiter entgegenwirken können“. Dabei gehe es vorrangig um Entlastung bei Hospitationen sowie „im Kontext der Prüfungen, Verbindlichkeit der Absprachen und Möglichkeiten der Seminarorganisation“ und um die gemeinsame Gestaltung der Ausbildung durch die Schulen und LI.

Hamburgs Referendare: Was jetzt zu ihrer Entlastung getan wird

Schon jetzt zeigten sich „gute Lösungsansätze zur Verringerung der Belastungen und des Belastungsempfindens, beispielsweise durch eine noch stärkere Integration des Themas „Lehrkräftegesundheit“ in die Ausbildung, durch mehr Transparenz der Bewertungsanforderungen oder durch weitere Verkürzung des Vorbereitungsaufwands bei Hospitationen“, so die Behörde. „Aktuell werden beispielsweise sechs von insgesamt neun schriftlichen Unterrichtsentwürfen zu Hospitationen vollumfänglich verfasst, drei weitere können als verkürzte Entwürfe eingereicht werden.“ Zudem sollten vom LI angebotene Coachings für Referendare ausgeweitet werden.

Ab sofort fällt laut Hamburger Schulbehörde die bisher notwendige schriftliche Arbeit zum Abschluss des Vorbereitungsdienstes weg. Die angehenden Lehrerinnen und Lehrer müssen dann am Ende des Referendariats statt bisher drei Prüfungsteilen noch zwei absolvieren: die obligatorische Unterrichtsprobe und die mündliche Prüfung.

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