Hamburg. Erstmals stehen zwei Männer wegen Mitgliedschaft in Terrorgruppe vor deutschem Gericht. Was ihnen vorgeworfen wird, wie sie reagieren.
Der eine Mann wirkt angespannt und verschüchtert. Der andere lächelt breit und winkt locker seinen Angehörigen zu. Einen Gleichklang im Verhalten der beiden Männer, die in diesem Prozess auf der Anklagebank sitzen, gibt es nicht. Dabei sollen der 55-Jährige und der 49-Jährige zwei Brüder im Geiste sein. Beide, so sieht es zumindest die Bundesanwaltschaft, sind Mitglieder der TerrororganisationHisbollah. Jene Gruppierung also, die seit Jahrzehnten gegen Israel kämpft.
Der Prozess in Hamburg gegen den Deutsch-Libanesen und den Angeklagten mit libanesischer Staatsbürgerschaft, der am Freitag vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts begann, ist eine Premiere: Erstmals müssen sich zwei mutmaßliche Mitglieder der Hisbollah vor einem deutschen Gericht verantworten. In Deutschland gilt die Schiiten-Miliz als Terrororganisation. Laut Bundesinnenministerium gilt für sie seit Ende April 2020 ein Betätigungsverbot.
Prozess Hamburg: Erstmals stehen mutmaßliche Mitglieder der Hisbollah vor Gericht
Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft waren beide Angeklagte nahezu ihr gesamtes Erwachsenenleben über für die Hisbollah tätig. Der Vorwurf gegen die beiden Männer lautet auf Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Sie sollen seit vielen Jahren Funktionäre der Terrororganisation sein, für die sie jeweils als Bindeglied zwischen der Vereinigung und den Organisationen der libanesischen Gemeinden in Deutschland tätig gewesen sein sollen.
Bei der Hisbollah („Partei Gottes“) handelt es sich der Anklage des Generalbundesanwalts zufolge um eine Terrororganisation mit militant-islamistischer Ausrichtung, deren Ziele es sind, den Libanon von westlichen Einflüssen zu befreien sowie den Staat Israel zu bekämpfen und zu vernichten. Um dies zu erreichen, befürworte die Hisbollah den militärischen, gewaltsamen Dschihad und sehe neben Anschlägen auf militärische Ziele auch Angriffe auf Zivilisten als legitimes Mittel des Kampfes an. So würden auch getötete Kämpfer als Märtyrer verehrt.
Bundesanwaltschaft: Für diese Anschläge ist die Hisbollah verantwortlich
Ein Vertreter der Bundesanwaltschaft listete aus der Anklage mehrere Terroranschläge auf, für die die Hisbollah nach Überzeugung der Ermittler verantwortlich sind. Unter anderem sind dies ein Attentat am 11. November 1982 unter Einsatz eines mit Sprengstoff beladenen Fahrzeugs, bei dem etwa 120 Menschen, darunter 74 israelische Soldaten, getötet und mehr als 200 verletzt wurden. Ebenfalls der Hisbollah seien Autobombenanschläge vor der US-Botschaft in Beirut im April 1983 mit 66 Toten sowie im Oktober 1983 in Beirut auf das US-Marine-Hauptquartier mit 239 Toten sowie weitere Attentate zuzurechnen. Darüber hinaus unterstütze die Hisbollah offen die Hamas sowie weitere Organisationen in deren Kampf gegen Israel.
Die Zahl der Hisbollah-Kämpfer, die in eigenen Trainingscamps ausgebildet werden, wird demnach auf etwa 20.000 geschätzt. Ferner heißt es in der Anklage, die Vereinigung sei über den Libanon hinaus darauf bedacht, Einfluss auf libanesisch geprägte Organisationen im Ausland zu nehmen und setze hierfür sogenannte Reisescheichs ein, die vor Ort die Interessen der Vereinigung wahrnähmen.
Terrororganisation: Das wird den Angeklagten vorgeworfen
Der Bundesanwaltschaft zufolge schloss sich der 49-jährige Angeklagte Hassan M. bereits vor mehr als 30 Jahren der Hisbollah im Libanon an und war dort zunächst in der Jugendarbeit, später auch im Bereich Außenbeziehungen tätig. Ende 2013 soll er sich bewaffnet und uniformiert als Kader der Hisbollah im syrischen Qusair aufgehalten haben.
2016 sei er nach Deutschland übergesiedelt und habe hier libanesische Vereine vornehmlich in Norddeutschland in organisatorischen und ideologischen Fragen in Abstimmung mit Führungskadern der Hisbollah betreut. Er habe Treffen von Angehörigen zahlreicher libanesischer Vereine in Deutschland organisiert, die er auch selbst besucht habe, um deren Zusammenarbeit nach den Vorstellungen der Hisbollah zu stärken. Dazu habe auch der im Jahr 2022 verbotene Verein „Al-Mustafa Gemeinschaft e.V.“ in Bremen gehört, wo er seit 2017 mehrfach als Prediger aufgetreten sei.
Angeklagte sitzen seit neun Monaten in Untersuchungshaft
Der 55-jährige Abdul W. soll in der Vergangenheit auch einer militärischen Einheit der Hisbollah in Syrien angehört haben, wo die Vereinigung seit 2011 aufseiten der syrischen Armee an Kämpfen teilnehme. Abdul W. hat sich den Ermittlungen zufolge spätestens im Jahr 2004 der Hisbollah angeschlossen und war seitdem als Auslandsfunktionär tätig. Er sei Mitglied und später Vorsitzender des Vereins „Al-Mustafa Gemeinschaft e.V.“ in Bremen gewesen, dessen Tätigkeit er nach den Interessen der Hisbollah ausgerichtet habe. Zudem soll er unter anderem eine der Jugendorganisation der Hisbollah ähnliche Jugendgruppe des Vereins gegründet haben.
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Die beiden Angeklagten waren im Frühjahr vergangenen Jahres in den niedersächsischen Landkreisen Aurich und Cuxhaven festgenommen worden. Seit dem 10. Mai vergangenen Jahres sitzen sie in Untersuchungshaft.
Nach der Anklageverlesung äußerte sich der 49-Jährige, ein zierlicher Mann mit kurz gestutztem Bart, zu den Vorwürfen. Dabei räumte er ein, libanesische Vereine in Norddeutschland besucht und dort auch gepredigt zu haben. Die Vereine stünden allerdings der schiitischen Bewegung Amal näher als der Hisbollah, sagte er.
49-Jähriger will seine „Sache in Gottes Hand legen“
Er sei aufgeregt und brauche einen Moment, um sich zu sammeln, sagte Hassan M. Zudem entschuldigte er sich bei dem „deutschem Staat für die Unannehmlichkeiten, die ich bereitet habe“, übersetzte ein Dolmetscher die Worte des Angeklagten aus dem Arabischen. Der Angeklagte gebe demnach „seine Sache in Gottes Hand“. Ferner verwies Hassan M. auf „Jesus Christus“, der gesagt habe, dass jeder Mensch Fehler begehe. Er wolle, so der Angeklagte, dass die Verfahrensbeteiligten ihn „kennenlernen im Gegensatz zu dem Bild“, das die Anklage von ihm zeichne.
Ausführlich erzählte der Angeklagte aus seinem Leben, von der Armut, die er als Junge erlebt habe, und dem Bürgerkrieg im Libanon. Seit seiner Kindheit sei er „an Leichen, Kämpfe und Zerstörung gewöhnt“. Viele seiner Verwandten seien umgekommen. Überall auf der Straße habe man Waffen gesehen. „Wir waren noch kleine Kinder, fast genau so groß wie die Gewehre.“
Schließlich sei er nach Deutschland übergesiedelt. Zu einem „Aufenthaltsstatus hat mir nur Gott verholfen“, so Hassan M. Hier habe er einen Deutschkursus besucht, den Führerschein gemacht – „alles, damit ich mich in dieser Gesellschaft integriere“. Bekannte hätte ihm geholfen, ein paar Vereine zu besuchen, dort habe er auch unterrichtet, erzählte der Angeklagte. Diese Vereine hätten der Amal, einer libanesischen Partei, nahegestanden, auch wenn sie mit der Hisbollah sympathisierten. Dass er mit einer schiitischen Glaubensgemeinschaft sympathisiere, habe „eher mit Emotionen zu tun“.
Vorsitzende Richterin äußert Zweifel an der Aussage des Angeklagten
Die Einlassung des 49-Jährigen quittierte die Vorsitzende Richterin mit der Bemerkung, dass es „einige Beweismittel“ gebe, „die möglicherweise nicht ganz kompatibel sind mit dem, was Sie hier vorgetragen haben“. Am nächsten Verhandlungstag will auch der zweite Angeklagte zu den Vorwürfen aus der Anklage Stellung nehmen.
In einer Verhandlungspause ging dieser 55-Jährige zu der Scheibe, die den Hauptteil des Verhandlungssaals vom Zuschauerbereich trennt, und drückte seine Faust dagegen. Ein junger Mann auf der anderen Seite vollzog die gleiche Geste, und so standen sie da für einen Moment, Hand an Hand – und doch separiert. Eine größere Nähe wird zumindest für die nächsten drei Monate kaum möglich sein. Das Gericht hat für den Prozess bislang 17 Verhandlungstage anberaumt. Ein Urteil könnte demnach Mitte Mai verkündet werden.