Hamburg. „Im Sommer 2022 gemerkt, dass was schiefläuft.“ Mehr Sexualdelikte, mehr Kinderpornografie – und Experten fürchten eine neue Droge.
241.241 Straftaten wurden im Jahr 2023 bei der Polizei Hamburg angezeigt. Das sind 10,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Fokus liegt dabei ganz klar in Hamburg-Mitte. Während in allen anderen Bezirken die Steigerung unterdurchschnittlich war, oder wie in den Bezirken Altona und Eimsbüttel sogar zurückging, sind die Zahlen in Mitte mit einer Steigerung von 25,29 Prozent „explodiert“. Im Stadtteil St. Georg liegt die Steigerung sogar bei 45,3 Prozent.
„Im Sommer 2022 haben wir gemerkt, dass hier etwas schiefläuft“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD). Die Reaktion war: mehr Polizei. Das Ergebnis waren mehr Straftaten. Massenhaft wurden sogenannte Kontrolldelikte – Straftaten, die ohne die Polizeipräsenz nie angezeigt worden wären – zur Anzeige gebracht.
Kriminalstatistik der Polizei Hamburg: Ortsteil 114 in St. Georg ist „Epizentrum“ der Kriminalität
Das „Epizentrum“ ist dabei nicht mal ganz St. Georg. Es ist der Ortsteil 114. Mit einer Größe von nicht einmal 0,2 Prozent des Stadtgebiets, wurden dort rund 11,2 Prozent aller in Hamburg festgestellten Straftaten verübt. Das sind 26.901 Taten. Dabei handelt es sich zu einem nicht unerheblichen Teil um „importierte“ Kriminalität. Nur etwa ein Drittel der ermittelten Tatverdächtigen, so weiß es ein Experte, hat einen Wohnsitz in Hamburg. Es ist die Drogen- und Trinkerszene, von denen viele von den „Angeboten“ angezogen wurden, die dort gemacht werden. Das Problem gibt es seit Jahrzehnten.
Jetzt hat die Droge Crack, die mit einer Verelendung und hohen Aggressivität der Abhängigen einhergeht, das Fass mal wieder zum Überlaufen gebracht. Kriminalisten graust bereits beim Gedanken, dass Fentanyl, ein synthetisches Opiat, den hiesigen Drogenmarkt erreicht. Bislang spielt, so heißt es aus dem Landeskriminalamt, diese Droge noch keine Rolle in Hamburg. Es sei allerdings nur eine Frage der Zeit, wann sie auftaucht.
Zahl der Laden- und Taschendiebstähle deutlich gestiegen
Große Steigerungen gibt es auch in anderen Bereichen. Der Ladendiebstahl ist um 38,5 Prozent auf 20.074 Fälle gestiegen. Das ist der höchste Stand der letzten zehn Jahre. Auch Ladendiebstahl ist ein Kontrolldelikt. Die Polizei macht „Fangprämien“ für Ladendetektive, die Unternehmen aussetzen, mit für die Steigerung verantwortlich.
Erwartet wurde auch ein Anstieg der Taschendiebstähle. Hier gab es eine Steigerung von 22 Prozent auf 13.367 Taten. Die Polizei sieht die Rückkehr von Veranstaltungen und das erste Jahr ohne Corona-Beschränkungen als Grund.
Gestiegen ist auch das Deliktfeld Betrug. 30.446 Fälle wurden 2023 angezeigt. Das ist eine Steigerung von 2,1 Prozent zum Vorjahr. Auffallend: Die Zahl der Betrügereien über das Internet ging leicht zurück. Die Polizei sieht bessere Sicherungsmaßnahmen im Onlinehandel als Grund.
Hamburg: Schockanrufer machten 2,5 Millionen Euro Beute
Ein weiteres Problem bleiben die sogenannten Schockanrufe. Die Zahl stieg deutlich um 438 Taten auf 1522 Fälle. Das ist eine Steigerung von 40 Prozent. In 57 Fällen, sieben mehr als im Vorjahr, wurde Geld erbeutet. Die Schadensumme beträgt 2,5 Millionen Euro und ist um rund 600.000 Euro im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Rückläufig sind dafür sogenannte „Enkeltrickbetrügereien“.
Über die 2000er-Marke stieg auch die Zahl der Sexualdelikte. 2111 Taten wurden angezeigt. Die Mehrheit sind sexuelle Belästigungen. Tatort war oft St. Pauli. Es gab aber auch 270 besonders schwere Fälle wie Vergewaltigungen im vergangenen Jahr. Das sind 36 mehr als im Vorjahr. Bemerkenswert ist die gestiegene Zahl der männlichen Opfer. 2002 waren es 26, im vergangenen Jahr 45.
Kinder und Jugendliche verbreiten oft Kinderpornografie
Ein Höchststand wurde bei der Kinderpornografie erreicht. 1049 Fälle, 35 mehr als im Vorjahr, gab es 2023. „Die Zahl der Taten, bei denen Kinder und Jugendliche selbst Kinderpornografie verbreiten, nimmt immer weiter zu“, sagt LKA-Chef Jan Hieber. Dabei handelt es sich oft um „Spaßvideos“ bei denen sich Jüngere selbst in anzüglichen Posen filmen und die Aufnahmen über soziale Medien verbreiten.
Die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen, die unter 21 Jahre alt sind, nahm innerhalb weniger Jahre von 16 auf mittlerweile fast 40 Prozent zu, die der Kinder von ein Prozent auf mehr als 14 Prozent. Ein offenbar unzureichend formuliertes Gesetz hat auch für sie zur Folge, dass gegen sie wegen eines Verbrechenstatbestandes ermittelt wird. Man hatte offenbar vergessen, den „minderschweren Fall“ in das Gesetz einzuarbeiten, was gerade erst korrigiert wurde.
Autoknacker begehen wieder vermehrt Straftaten
Eine schlechte Nachricht hatte die Polizei für Autobesitzer. Die Zahl der Delikte „rund um das Kfz“, also Autoaufbruch und Teilediebstahl, ist um 13,3 Prozent auf 12.873 Fälle gestiegen. 1582 Autos, 21,2 Prozent mehr als noch 2022, kamen im letzten Jahr gänzlich abhanden.
Die Zahl der Angriffe auf Polizisten ist ebenfalls stark angestiegen. 3401 Beamte wurden Opfer, die meisten im Rahmen von Widerstandshandlungen, beispielsweise Festnahmen. Hier gab es 1953 Fälle. 2002 gab es noch 2597 Angriffe auf Polizisten. Anders sieht es bei den Rettungskräften aus. Hier lag die Zahl der Taten mit 94 unter den Vor-Corona-Jahren.
Hamburg: Fast jeder zweite Tatverdächtige hat keinen deutschen Pass
Einen neuen Höchststand hat der Anteil der ermittelten tatverdächtigen Ausländer erreicht. Er liegt jetzt bei 49,6 Prozent. Das sind 13 Prozent mehr als 2022.
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Die Bewertungen der Kriminalitätsentwicklung fällt unterschiedlich aus. Dennis Thering, Fraktionsvorsitzender der Hamburger CDU, sieht, dass Hamburg „zunehmend unsicher“ werde. „Der rot-grüne Senat hat viel zu lange die Augen vor der steigenden Kriminalität verschlossen“, so Thering. „Die erst spät eingeleiteten Gegenmaßnahmen lassen nur erahnen, wie groß das Dunkelfeld der Delikte in unserer Stadt mittlerweile wirklich ist.“ Dirk Nockemann von der AfD sieht die „Sicherheit zunehmend schwinden“. Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, ist „nicht überrascht“. Die Zustände in St. Georg und die verstärkte Polizeipräsenz dort hätten die Entwicklung vorhersehbar gemacht.
Jan Reinecke vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sieht die Statistik „allenfalls als Arbeitstätigkeitsnachweis der Polizei Hamburg, aber keine fundierte Darstellung und Interpretation der Kriminalitätslage des vergangenen Jahres“.