Hamburg. Carfentanyl führt in kleinen Mengen zum Tod. Bund Deutscher Kriminalbeamter für bessere Eigensicherung. Prominentes Opfer.

Die Rundmail des Arbeitsschutzes der bayerischen Polizei erreichte am 18. April dieses Jahres Wachen in ganz Deutschland. Alle Beamten seien angehalten, beim Kontakt mit der Droge Carfentanyl „unbedingt auf die Eigensicherung“ zu achten. Schon ein versehentlicher Hautkontakt mit dem Stoff könne „tödlich enden“. Carfentanyl wird in der Tiermedizin zur Betäubung großer Wildtiere wie Löwen oder Eisbären eingesetzt, immer häufiger jedoch als Droge missbraucht – die Sub­stanz ist bis zu 10.000-mal wirksamer als Morphin und 5000-mal wirksamer als Heroin.

Schon die Aufnahme von fünf bis sieben Körnchen über die Haut, Schleimhaut oder durch Einatmen können die Atemwege bis zum Stillstand lähmen und zum Tod führen. Zuvor hatten das Bundeskriminalamt (BKA) und Interpol eindringlich vor dem Stoff gewarnt.

Polizeipräsident Meyer dringt auf Gefahrenprognose

Im Hamburger Polizeiapparat rumorte es, die Sache ging nach ganz oben. Anfang August lag dann eine von Polizeipräsident Ralf Martin Meyer geforderte Gefahrenprognose vor. Die für Rauschgiftkriminalität zuständige Fachabteilung, das LKA 6, soll darin zwar vorsichtig Entwarnung gegeben haben – angesichts der wenigen Fälle bestehe „aktuell“ kein gesonderter Handlungsbedarf. Auf Anfrage teilte das UKE mit, dass bei nur acht Drogentoten in den vergangenen sieben Jahren neben harten Drogen auch Fentanyl nachgewiesen werden konnte.

Trotzdem erstellt der Arbeitschutz der Innenbehörde für die Hamburger Polizei jetzt eine „allgemeine Gefährdungsbeurteilung für potenziell betroffene Mitarbeiter“, um „möglichen künftigen Gefährdungen“ vorzubeugen, so die Behörde.

Wirkstoff wird in der Schmerztherapie eingesetzt

Das synthetische Opioid Fentanyl wird vor allem in der Krebs-Schmerztherapie oder als Narkotikum eingesetzt. Es wirkt rund 100-mal stärker als Morphium und etwa 50-mal stärker als Heroin, Carfentanyl wiederum wirkt noch einmal 100-mal stärker als Fentanyl. Inzwischen werden auch andere Rauschmittel wie Heroin damit gestreckt.

Der Stoff, der als die gefährlichste Droge der Welt gilt, ist so potent, dass er sich kaum dosieren lässt: Schon wenige Nanogramm wirken berauschend, zwei Milligramm tödlich. In Bayern ist er seit Jahren als Killer bekannt: Bei 49 der 2016 erfassten 321 Drogentoten konnte das Opioid im Blut nachgewiesen werden, das entspricht einem Anteil von rund 15 Prozent – bundesweit liegt die Quote bei nur sechs bis acht Prozent.

Proben im Drogenlabor
Proben im Drogenlabor © picture alliance / Scripps News | dpa Picture-Alliance / Matt

In der Regel wird Fentanyl mit einem Pflaster auf die Haut appliziert; benutzte Pflaster enthalten immerhin noch bis zu 70 Prozent des Wirkstoffs. Junkies zerkauen sie, um die Reste herauszulösen, oder kochen sie aus, um sich dann den Sud zu injizieren. Im Vorjahr ermittelte die Hamburger Polizei gegen zwei Hamburger Pfleger, die benutzte Pflaster gestohlen und zum Eigenkonsum verwendet haben sollen.

Der Zoll stellte etliche Pakete Carfentanyl sicher

Auch wenn Hamburg bisher weitgehend verschont geblieben ist – laut BKA befindet sich die hochgiftige Droge in Deutschland auf dem Vormarsch. So stellte der Zoll im Vorjahr etliche Pakete mit Carfentanyl oder ähnlichen Derivaten sicher, hergestellt in chinesischen Drogenküchen. In Hamburg fing der Zoll Ende 2017 zwei Postsendungen aus Hongkong mit insgesamt 250 Gramm Methoxyacetyl-Fentanyl ab.

„Der Umgang mit Gefahrenstoffen und potenziell gesundheitsgefährdenden Substanzen gehört für die Polizei Hamburg zum Arbeitsalltag“, sagt Jan Reinecke, Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). So stoßen Polizisten neben leblosen Junkies immer wieder auf Pulver unbekannter Herkunft. Wie gefährlich die Substanzen sind, lasse sich im Vorwege „nicht immer definieren“, sagt Polizeisprecher Ulf Wundrack. „In der Lebenswirklichkeit werden die Kräfte zumeist unvermittelt mit Derartigem konfrontiert.“

Zur Lagebeurteilung stünden speziell geschulte Beamte der Wasserschutzpolizei und der Feuerwehr zur Verfügung. Zudem seien die Polizisten für den Umgang mit Stoffen wie Car­fentanyl bereits sensibilisiert worden.

Popstar Prince starb an Fentanyl

Üblicherweise streifen sich die Beamten Handschuhe über und sichern den Stoff in Tütchen oder Behältern. Nur was, wenn etwas schiefläuft? Wenn Polizisten die Krümel versehentlich einatmen oder anfassen? Zwar gibt es Atemmasken in jedem Streifenwagen, dazu Schutzanzüge und Überschuhe. Doch welcher Polizist trägt diese Ausrüstung in der Praxis schon?

In den USA grassiert, so das BKA, eine „Fentanyl-Epidemie“ mit jährlich 10.000 Toten (berühmtestes Opfer ist der Sänger Prince). Dutzende US-Cops mussten nach Kontakt mit dem Stoff wiederbelebt werden – meist wird ihnen dabei ein Nasenspray mit dem Opioid-Antagonisten Naloxon verabreicht. Viele Polizisten tragen solche Sprays inzwischen standardmäßig mit sich. Reinecke fordert deshalb, dass sich die Hamburger Polizei auf den Umgang mit (Car-)Fentanyl vorbereitet – und nicht erst handelt, wenn es zu spät ist. „Es fehlt den Einsatzkräften der Schutz- und Kriminalpolizei an Naloxon.“ Das Spray kommt voraussichtlich noch dieses Jahr auf den deutschen Markt.

Noch ist unklar, wie genau die Polizei auf die potenzielle Bedrohung reagieren wird. Es liefen derzeit „intensive Prüfungen“, sagt Wundrack. Diese seien aber noch nicht abgeschlossen und ließen somit „keinerlei Empfehlungen zu Strategien und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen und Ausrüstungen zu“. Insofern seien auch „Betrachtungen einer standardmäßigen Ausstattung der Funkstreifenwagen mit dem Nasenspray Naloxon deutlich verfrüht“.