Hamburg. Matthias und Tristan Horx gehen fest davon aus, dass auf die aktuelle Hysterie in Deutschland eine „Renaissance der Vernunft“ folgt.

Wie werden wir ihn zehn oder 20 Jahren auf die Zeit schauen, die wir heute erleben? Und, noch wichtiger: Wie werden wir dann leben? Die Zukunftsforscher Matthias und Tristan Horx sind mit dem Blick nach vorn und wieder zurück gar nicht so pessimistisch. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ erzählen sie, dass wir gerade einen Epochenwechsel erleben, wie er immer wieder einmal vorkommt, und erklären, warum abstrakte Gefahren konkret werden müssen, bevor die Vernunft wieder ein Comeback feiert. Zu hören ist das komplette Gespräch unter www.abendblatt.de/entscheider.

Das sagen Matthias (Jahrgang 1955) und Tristan Horx (Jahrgang 1993) über…

… die Angst vor der Zukunft, die im Moment besonders groß ist:
Matthias Horx: „Was wir im Moment vor allem erleben, ist eine Veränderungskrise, die die Zukunft für viele Leute als bedrohlich und gefährlich erscheinen lässt. Diese Furcht kann sich fatal verstärken, weil man aus lauter Angst unsinnige Dinge macht, die die Zukunft dann wirklich schlechter werden lässt – das Prinzip der self fulfilling prophecy. Die Sehnsucht zurück ins Alte und Gewohnte, die wir im Moment überall erleben, ist zutiefst menschlich, aber sie bringt uns nicht weiter. Das Vergangene hat nun einmal keine Zukunft. Krisen weisen uns darauf hin, dass sich etwas Fundamentales ändern mus - wir sollten ihnen zuhören, statt vor ihnen davonzulaufen.“

… den Epochenwechsel, in dem wir uns befinden:

Tristan Horx: „Wir können die Zukunft nicht exakt vorhersagen. Aber es gibt in der Geschichte Muster, die sich erkennen lassen, und mit deren Hilfe wir aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen können. Es gibt den schönen Spruch von Mark Twain: ‘Die Zukunft wiederholt sich nicht, aber sie neigt dazu, sich zu reimen.’ Im Moment befinden wir uns in einem Epochenübergang, dem Wechsel vom Industriezeitalter ins Next Age, das wir vielleicht eines Tages das „humandigitale Zeitalter“ nennen werden. Diese Turbulenz kann zwischen fünf und 20 Jahre dauern. Das ist ein spannender Übergang, der im Moment von etwas geprägt ist, was wir eine Omnikrise nennen, Kriege, Klimawandel, Pandemien. Aber dass wir jetzt diese Herausforderung haben, heißt eben nicht, dass die Welt untergeht. Das Fortschrittsversprechen der Menschheit heißt, dass das Leben auf dieser Welt von Generation zu Generation besser wird, und dafür müssen wir kämpfen. Dafür müssen wir aber ein neues Verständnis davon entwickeln, was „besser“ ist. Im Unterschied zu mehr.“

Matthias Horx: „Die Zukunft fragt uns in dieser Omnikrise nach einer neuen Idee von Fortschritt, bei der es nicht einfach nur darum geht, das Bruttosozialprodukt immer weiter zu steigern. Es geht um die menschlichen Lebensformen, um einen Lebensstil, mit dem wir mit unseren menschlichen Bedürfnissen, nicht nur den materiellen, sondern auch den sozialen, wieder mehr in Einklang geraten. Um die Frage, was Gesellschaften stabil macht, was uns Resilienz verleiht. Wir brauchen wieder eine langfristige Perspektive, die in Generationen und über unsere momentanen Hysterien hinausdenkt. Wir Zukunftsforscher beschäftigen uns sehr viel mit dem Langzeit-Denken, das sich nicht mehr an den Gereiztheiten und Übersteigerungen unserer heutigen Mediengesellschaft festklebt, sondern in längeren Perspektiven denkt.“

… das Informationszeitalter, das kurzfristige Entscheidungen belohnt, langfristige aber nicht:

Tristan Horx: „Wir sind als Menschheit in ein rasendes Informationszeitalter gekommen, das von einer deutlichen Beschleunigung von Nachrichten durch die sozialen Medien geprägt ist. Und die Tragödie ist, dass die großen Medienhäuser dieses Rennen mitgemacht haben und weiter mitmachen. Es geht immer nur um die Schlagzeile von morgen, den nächsten Skandal, die moralische Zuspitzung von Missständen, durch die aber nichts mehr gelöst wird. Das prägt natürlich auch Politiker und politische Entscheidungen, es kann die Demokratie zerstören, die ja auch immer gelassene Entscheidungen und Kompromisse braucht. Wir berichten kurzfristig, wir denken kurzfristig, und dabei steht der Klimawandel als ein langfristiges Problem wie ein Monster am Horizont. Politiker können gar kein Interesse an langfristigen Plänen und Investitionen haben, weil sie selbst in der Regel nicht mehr davon profitieren können. Langfristig zu denken, ist fast schon so etwas wie politischer Selbstmord.“

… Politiker:

Matthias Horx: „Ich möchte heute kein Politiker sein, ich finde, das ist ein fast unmöglich gewordener Beruf. Man wird eigentlich nur gehasst und gedisst für das, was man tut, egal, was man tut. Man soll einerseits der große Guru sein, der alle Gruppen zufriedenstellt, nichts verändert, aber das Wichtige managt. Wer heute als Politiker arbeiten will, muss vor allem die Kunst der Ignoranz verstehen, sonst wird er verrückt. Insofern ist Olaf Scholz als stoischer Philosoph eigentlich der richtige Mann. Allerdings kann er diese destruktiven Energien, die derzeit aktiv sind, auch nicht immer bändigen.“

… die Sorge um die Demokratie:

Matthias Horx: „Leider macht sich die Opposition in einem hochgradig medialisierten politischen System wie dem unsrigen die Mechanismen populistischer Erregungskultur zu eigen. Das ist der eigentliche Grund, warum wir Anlass haben, um die Demokratie zu fürchten, nicht die Existenz von einer Gruppe Rechtsradikaler. Populistische Politik wirkt wie ein Virus, gegen das wir kein Impfmittel haben, weil der menschliche Mind eben ein Angst-Mind ist, der auch auf alle mögliche Weise erregen und manipulieren lässt. Allerdings kann man sich in Richtung Zukunft auf etwas verlassen: Jede Kraft erzeugt auch eine Gegenkraft. Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Die spontanen Demokratie-Demonstrationen zeigen das wieder. Es wird nach dieser Hysterie, die wir gerade erleben, auch wieder eine Renaissance der Vernunft geben.“

Tristan Horx: „Die Frage ist immer, wie man auf solche Entwicklungen reagiert. Um beim Beispiel eines AfD-Politikers zu bleiben, der Ministerpräsident wird, was ja so unwahrscheinlich gar nicht mehr ist: Sagen wir, wenn es passieren sollte, dass das der Untergang ist? Oder werden wir feststellen, dass es erst einmal so weit kommen musste, damit wir aufwachen? Die Bedrohung muss einmal ihre abstrakte Form verlassen und real werden, dann dürfte sich der Populismus auch schnell wieder entzaubern. Vielleicht müssen bestimmte Generationen erst wieder lernen, um die Demokratie zu kämpfen, weil sie in ihrer Lebenszeit bisher und zum Glück noch nicht in der Verlegenheit waren, das zu tun. Zuversicht kann uns geben, dass man eine moderne Gesellschaft nicht wieder eine faschistische zurückverwandeln kann. Wie gesagt: die Geschichte wiederholt sich nicht, und die deutsche Gesellschaft ist heute eine ganz andere als die von 1930.“

Entscheider treffen Haider

… die mögliche erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten:

Matthias Horx: Trump wird über irgendetwas Unerwartetes stolpern. Eine Bananenschale. Oder einfach den Überdruss, den die Amerikaner irgendwann mit einem irren Clown entwickeln.“

Tristan Horx: „Ich bin sehr verbunden mit amerikanischer Politik, und ich habe großes Vertrauen, dass Donald Trump nicht noch einmal Präsident wird. Ich glaube an die USA und die Selbsthygiene der dortigen Demokratie.“