Hamburg. Die Chefin des Hamburger Verkehrsbundes und der Verkehrssenator über Schwarzfahrer und zusätzliche Kosten für Deutschlandticket.

  • HVV-Chefin und Verkehrssenator sprechen über das Deutschlandticket und Schwarzfahrer in Hamburg
  • Was sie über den Zustand der Deutschen Bahn sagen
  • Und wie es mit den Prepaid-Karten im HVV weitergeht

Der HVV schafft das Bargeld ab, die Stadt zahlt mehr als 120 Millionen Euro für das Deutschlandticket, die S-Bahn soll viel besser als ihr Ruf sein – und die Zahl der Schwarzfahrer in Hamburg ist zwar gesunken, aber immer noch erstaunlich hoch.

Über all das spricht Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider in der Reihe „Entscheider treffen Haider“ mit Anna-Theresa Korbutt, der Chefin des Hamburger Verkehrsverbundes, und mit Verkehrssenator Anjes Tjarks von den Grünen. Zu hören ist das komplette Gespräch, das live vor Publikum im Veranstaltungszentrum Hammerbrooklyn aufgenommen wurde, unter ww.abendblatt.de/entscheider.

Das sagen Korbutt und Tjarks über …

… Dienstwagen in der Verkehrsbehörde und angeschlossenen Unternehmen:
Tjarks: „Ich bin in der Regel mit dem Fahrrad unterwegs, damit kommt man nach meiner Erfahrung am schnellsten durch Hamburg, selbst wenn es geschneit haben sollte. Und wenn es mal nicht gehen sollte, fahre ich mit dem Bus. Ich habe keinen Dienstwagen. Die Führungskräfte der großen öffentlichen Mobilitätsunternehmen, also etwa die Hochbahn oder der HVV, haben die Wahl zwischen einem Dienstwagen oder einem Mobilitätspaket. Und ich finde: Wenn man ein öffentliches Mobilitätsunternehmen führen will, das für die Mobilitätswende steht, sollte man sich für Letzteres entscheiden. Auch wenn das früher anders war, als die entsprechenden Chefs mit Autos und Fahrern durch die Stadt unterwegs waren … Das gibt es heute nicht mehr.“

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… die Abschaffung des Bargelds im Bereich des HVV:
Korbutt: „Irgendwann muss man sich aus so einer Welt zurückziehen, auch wenn das in Deutschland immer schwieriger fällt als in anderen Ländern, etwa in Skandinavien. Wenn Busfahrerinnen und Busfahrer mit Bargeld hantieren müssen, hat das viele Nachteile, das beginnt bei längeren Wartezeiten an den Haltestellen, wenn Fahrgäste eine Karte bezahlen wollen, und endet bei der Abrechnung am Ende einer Schicht. Für uns als HVV und damit auch für die Fahrgäste hat der Verzicht auf Bargeld handfeste Vorteile.
Tjarks: „Wir sparen mehr als drei Millionen Euro durch den Verzicht auf Bargeld in den Bussen, und wir sorgen damit dafür, dass sich die Busfahrer und Busfahrerinnen in ihrer Arbeitszeit auf das konzentrieren, was sie am besten können: Bus fahren. Je mehr wir sie von anderen Tätigkeiten entlasten, desto eher werden wir unser Fahrplanangebot in Zeiten aufrechterhalten können, in denen das Personal knapper wird. Grundsätzlich müssen wir dafür sorgen, so viele Prozesse wie möglich beim HVV zu verschlanken und zu digitalisieren, was mit der Einführung des Deutschlandtickets schon sehr gut gelungen ist. Das war schon eine Revolution, die zeigt, dass Bürokratieabbau im großen Stil in Deutschland eben doch möglich ist.“

… das Interesse an Prepaid-Fahrkarten:
Korbutt: „Wir waren nicht überrascht, dass so viele Kunden eine Prepaidkarte haben wollten. Wir hatten vielleicht in der Verteilung der Karten einzelne Engpässe, aber da haben wir schnell nachgebessert. Aktuell stehen 150.000 Karten zur Verfügung, 60.000 werden bereits genutzt, das sollte reichen, damit jeder, der möchte, ein Ticket bekommt.“

… der Erfolg des Deutschlandtickets:
Korbutt: „Wir haben fast 900.000 Deutschlandtickets über den HVV verkauft.“
Tjarks: „In Hamburg haben inzwischen 38 Prozent der Bevölkerung ein Deutschlandticket. In Berlin sind es 31 Prozent, in Bremen 15. Das heißt, wir sind in diesem Bereich klar die Nummer eins in Deutschland, und wir haben damit nahezu das Potenzial ausgeschöpft, das uns von Marktforschern vorhergesagt wurde. Ein paar Zehntausend Tickets gehen vielleicht noch. Ein weiteres Ziel ist es, etwa durch die Einführung von kostenlosen Tickets für Schülerinnen und Schüler dafür zu sorgen, dass noch mehr Menschen günstig Bus und Bahn fahren können, aber das ist eben ein anderes Thema.“
Korbutt: „Wir hatten noch nie so viele Abonnenten wie im Moment, mehr als eine Million. Unser absoluter Spitzenwert vor der Einführung des Deutschlandtickets lag bei 786.000 Abonnenten, daran sieht man, wie gewaltig der Zuwachs ist.“

… die Diskussion über einen kostenlosen Nahverkehr:
Tjarks: „Die Diskussion hat sich durch das Deutschlandticket erst einmal erledigt. Es macht jetzt keinen Sinn mehr, in den Ländern noch andere Angebote zu machen – und es wäre auch für die Finanzierung des ÖPNV nicht klug.“

… die Kosten, die Hamburg durch das Deutschlandticket entstehen:
Tjarks: „Wir prognostizieren für das Jahr 2024, dass wir als Stadt für das Deutschlandticket als Basisangebot 120 Millionen Euro dazugeben, der Bund zahlt noch einmal dieselbe Summe. Darauf kommen noch die Kosten für ermäßigte Schüler- und Sozialtickets.“

… die Umstellung bei der S-Bahn:
Tjarks: Im neuen Netz müssen die S-Bahnen nicht mehr vor dem Hauptbahnhof kreuzen. Dadurch fällt Komplexität und Wartezeit weg. Und gleichzeitig haben wir die S-Bahnen, etwa in den Hamburger Süden, mit Langzügen so verlängert, dass wir bis zu 1500 Fahrgäste mit einem Zug befördern können. Das merkt man hoffentlich.“

… die Streiks der Lokomotivführer:
Korbutt: „Jeder hat so seine Verhandlungspolitik, und man kann darüber streiten, ob man die von Herrn Weselsky und der GDL fair, angemessen und auf Augenhöhe findet. Sie merken schon an meinen Worten, dass ich das nicht so sehe. Ich habe selbst sieben Jahre bei der Deutschen Bahn gearbeitet und diese Streiks alle hautnah miterlebt. Am Ende leiden die Kunden.“

… den Zustand der Deutschen Bahn:
Korbutt: „Das System Eisenbahn ist 20-mal komplexer als Fliegen. Man kann nicht ausweichen, man ist auf die Schienen festgelegt, und man muss mit dem Material zurechtkommen, das zur Verfügung steht. Vor allem sind all die Züge, die unterwegs sind und die nicht nur von der Deutschen Bahn kommen, auf ein Schienensystem angewiesen, in das jahrzehntelang nicht ausreichend investiert wurde. Ich beneide keinen Verkehrspolitiker, der sich darum kümmern muss.“

… den Unterschied zwischen der deutschen und der österreichischen Bahn:
Korbutt: „Vor allem wird in Österreich seit 40, 50 Jahren kontinuierlich in die Bahn und ihr Netz investiert, unabhängig davon, wer gerade an der Regierung ist. Und: Die Österreicher sind stolz auf ihre ÖBB, etwas, was man in Deutschland über das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Bahn eher nicht sagen kann. Das betrifft den Fern- genauso wie den Nahverkehr, und das merkt man dann auch.“
Tjarks: „Wenn man ein gutes Bahnsystem will, muss man Geld in die Hand nehmen, um es zu bauen und zu sanieren. Deshalb werde ich nicht müde, den Bundesverkehrsminister der Ampel zu loben, der die Investitionen in die Bahn in den kommenden Jahren verdoppeln wird. Wenn man 20 Jahre nichts gemacht hat, braucht man leider auch 20 Jahre, um das aufzuholen. Und wenn man sieht, wie die Menschen die Bahn nutzen, obwohl sie so ist, wie sie derzeit ist, kann man sich vorstellen, was passieren würde, wenn das Angebot deutlich besser wäre. Wir hätten mit Sicherheit viel mehr Leute, die auf die Bahn umsteigen würden, wenn sie verlässlicher wäre.“

Entscheider treffen Haider

… die Sicherheit im ÖPNV:
Korbutt: „Wenn wir über die Sicherheit in Bussen und Bahnen sprechen, geht es oft um die gefühlte Sicherheit. Es geht um sehr diverse Gruppen von Fahrgästen, um Menschen, die einem komisch vorkommen können, um ungute Gefühle an Haltestellen, vor allem, wenn es dunkel wird. Wir haben dazu eine eigene Runde mit Kundinnen und Kunden im Rahmen unserer Reihe open HVV gemacht. Die Menschen wünschen sich dort zum Beispiel, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt immer eine Sicherheitskraft in einem bestimmten Teil des Zuges mitfährt, etwa im ersten Waggon. Oder sie fragen, ob der Bus nicht entlang seiner Linie auch zwischen zwei Haltestellen halten kann, weil man es von dort nicht mehr so weit nach Hause hat.“

… Schwarzfahrer:
Tjarks: „Wir haben eine Schwarzfahrer-Quote von unter fünf Prozent im Moment. Das ist ein sehr, sehr guter Wert, der aber auch damit zu hat, dass wir nach der Corona-Zeit die Kontrollen deutlich angezogen haben. Während der Pandemie waren die zeitweise ausgesetzt, und es stellte sich dann ein gewisser Schlendrian ein, den wir inzwischen aber wieder gut im Griff haben.“
Korbutt: „Wir befördern am Tag mehr als zwei Millionen Fahrgäste, das heißt, es fahren auch jeden Tag viele Tausend Menschen ohne gültigen Fahrschein. Deshalb ist es wichtig, dass wir weiter viel und flächendeckend kontrollieren. Denn jeder, der ohne Ticket fährt, schadet dem System und den anderen Fahrgästen. Aber, und das ist mir wichtig: Wir sind inzwischen im bundesweiten Vergleich mit dieser Quote in einem verträglichen Bereich.“