Hamburg. Vier Männer sollen im Mai 2022 einen 31-Jährigen lebensgefährlich verletzt haben. CDU kritisiert späte Freigabe der Fotos.

Mehr als eineinhalb Jahre benötigten die Strafverfolgungsbehörden in Hamburg, um eine Öffentlichkeitsfahndung nach vier Männern umzusetzen, die im Mai 2022 in der Talstraße auf St. Pauli einen 31 Jahre alten Mann beinahe getötet haben. Das Opfer war damals laut Ermittlungen der Polizei einem 21-Jährigen zu Hilfe gekommen, der überfallen wurde.

Die lange Zeitspanne bis zur Veröffentlichung von Bildern, die die Gesuchten zeigen, hat nun auch ein politisches Nachspiel. Die CDU will durch eine Kleine Anfrage (SKA) klären lassen, wie viel Zeit zwischen der Beschaffung der Bilder und dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Öffentlichkeitsfahndung verging. Auf eine Anfrage des Abendblattes, wann die Polizei eine öffentliche Fahndung anregte, gab die Staatsanwaltschaft zunächst keine Antwort.

Polizei Hamburg: Öffentlichkeitsfahndung nach Tat auf St. Pauli – CDU hat Fragen

Mit dem Hinweis, dass man sich widersprechende Auskünfte vermeiden möchte, will man erst antworten, wenn auch die Kleine Anfrage der CDU beantwortet ist. Dabei ist die Frage nach der Anregung einer Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei nicht Gegenstand der SKA 22/14184 der CDU. Die Antwort könnte weitere Fragen aufwerfen. Nach Informationen des Abendblatts wurde bereits im September 2022, also rund vier Monate nach der Tat, von der Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung angeregt.

Was die Ermittler dafür in den Händen hatten, ist in dem Fall von guter Qualität. Die Farbaufnahmen, die aus Überwachungskameras stammen, zeigen die vier Männer, die im Zusammenhang mit dem versuchten Tötungsdelikt gesucht werden, offenbar kurz nach der Tat. Am 15. Mai 2022 soll es „nach bisherigen Erkenntnissen in der Talstraße aus einer Gruppe
mutmaßlich arabisch sprechender Männer heraus zu einem schweren Raub zum Nachteil eines 21-Jährigen gekommen sein“, hieß es damals von der Polizei.

Der 31-Jährige „bis dahin Unbeteiligte“ sei auf die Tat aufmerksam geworden und habe eingegriffen. Daraufhin sei er „aus der Gruppe heraus mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt worden“. Die Täter flüchteten mit ihrer Beute, einem Smartphone. Im Umfeld des Tatortes wurden Männer, die der Gruppe zugeordnet werden, von Überwachungskameras erfasst. Auf den Bildern sind sie ungewöhnlich gut zu erkennen.

Hamburgs Justiz legt Strafprozessordnung anders aus

Dass die die Bilder nicht schnell genutzt wurden, liegt an der Auslegung des Paragrafen 131b der bundesweiten Strafprozessordnung durch die Hamburger Justiz. In der Hansestadt wird die Öffentlichkeitsfahndung nach gesuchten Beschuldigten als „allerletztes Mittel“ angesehen.

Der Wortlaut der Regelung in der Strafprozessordnung: „Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters, auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“, heißt es. Diese Formulierung ließe vermutlich eine andere, weitergehende Interpretation als die in der Hamburger Justiz verbreitete zu.

Bei Bedrohungslage gegen Bürgermeister kam die Öffentlichkeitsfahndung flott

Wie groß der Spielraum auch in Hamburg ist, zeigte sich an einem Fall, der sich Anfang 2023 ereignete. Damals war eine Bedrohungslage gegen Hamburgs Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) angenommen worden, nachdem eine Mitarbeiterin von einem Mann berichtet hatte, der zum Bürgermeister vordringen wollte und der möglicherweise eine Pistole gehabt haben soll. Es dauerte damals nicht einmal eine Woche, bis es eine Öffentlichkeitsfahndung nach dem Gesuchten in Form einer Phantomskizze gab, für die die gleichen rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

„Wir sind hier auf einem falschen Weg“, sagte schon damals Thomas Jungfer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. „In anderen Bundesländern wird eine Öffentlichkeitsfahndung, die ja in sehr vielen Fällen erfolgreich ist, deutlich schneller angewandt.“ Es sei eine Abwägung der Interessen eines Gesuchten in Hinblick auf seine Persönlichkeitsrechte und den Interessen eines Opfers. Jungfer: „Leider wird hier in Hamburg viel zu oft das Interesse eines offensichtlichen Täters höher bewertet.“ Dass eineinhalb Jahre vergehen, bis bei einem Tötungsdelikt trotz vorliegender Fotos der Verdächtigen gefahndet werde, habe aber eine neue Qualität.

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Das sieht auch Jan Reinecke, Landesvorsitzender des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), so. „Ist tatsächlich ein so langer Zeitraum vergangen, bis trotz deutlich früherer Anregung durch die Polizei eine Öffentlichkeitsfahndung durchgeführt wurde, bedarf das der Aufklärung.“

Die CDU nutzt den neuen Fall, um gleich bei einer einer älteren Öffentlichkeitsfahndung nachzuhaken. Es geht ebenfalls um eine Tat, die im 2002 passierte. Im Oktober hatten vier junge Männer in der U1 einen 34-Jährigen attackiert und schwer verletzt. Eine Öffentlichkeitsfahndung erfolgte erst zehn Monate später. Auch das hatte damals Kritik ausgelöst.