Hamburg. Viele Papierausdrucke, weil Praxen und Patienten noch nicht auf das Nutzen von Gesundheitskarte oder Handy-App vorbereitet sind.
Das elektronische Rezept, das ab sofort Pflicht für Ärzte und Apotheker ist, macht den Praxisbesuch zu einer Art Interneteinkauf oder Bestellung – Bezahlung und Abholung per Handy-App. In Hamburg zeichnete sich jedoch schon in den vergangenen Monaten ab, dass es zum Start des eRezeptes an diesem Montag noch erheblich ruckeln würde.
Und so zeigte sich zum Beispiel beim Apothekerkammer-Präsidenten Kai-Peter Siemsen, dass von den Kunden keiner die App aus dem App-Store (iPhones und iPads) oder dem Google Play Store (Android-Betriebssystem) heruntergeladen hatte. Das ist auch nicht notwendig, wenn man eine Gesundheitskarte mit einem NFC-Chip und von der Krankenkasse einmalig eine PIN angefordert hat. Wer das noch nachholen will, kann nach wie vor beim Arzt ein Rezept auf einem Papierausdruck mit einem Code bekommen.
Apotheken in Hamburg: eRezept läuft schleppend an
Am Montag waren zahlreiche Patientinnen und Patienten in Hamburg statt mit rosa oder hellblauen Scheinchen mit bedruckten Arztzetteln unterwegs. „Viele Patienten“, sagt Siemsen, „laufen sofort aus der Praxis in die Apotheke. Die Ärzte können aber oft nicht sofort die eRezepte digital unterschreiben. Wenn wir sie mit der Gesundheitskarte oder dem Code abrufen, sind sie dann möglicherweise noch nicht da.“ Das bedeutet mehr Wartezeit, obwohl das eRezept alles schneller machen sollte.
Siemsens Apotheke war Teil des großen Tests. Er hat bereits Erfahrung mit den Tücken der Technik. Sein Computersystem läuft weiter, wenn mal ein Teil „abstürzt“ oder wenn ein Bagger die Kabel zertrennt. Doch gegen einen Serverausfall bei der Gematik, wo alle digitalen Gesundheitsanwendungen zusammenlaufen, war auch er nicht gefeit. Noch ist nicht klar, ob diese Gesellschaft des Gesundheitsministeriums den künftigen Ansturm bewältigen wird.
Eine Software, die prüfen soll, ob die Verordnung der Ärzte überhaupt plausibel ist, soll erst noch kommen. Manche Zahnärzte haben gar keine ausführliche Arzneimitteldatenbank in ihren Systemen. Betäubungsmittel und Hilfsmittel wie Orthesen und anderes müssen nach wie vor auf Papier verordnet werden. Diabetiker dürften sauer sein, weil ihr Insulin per eRezept kommt, der Blutzucker-Teststreifen jedoch noch auf Papierverordnung.
Medikamente per Handy-App – auch aus der Online-Apotheke
In der Praxis wählt ein Arzt das Medikament im Computer aus, in dem sein elektronischer Heilberufeausweis steckt, ordnet es dem Patienten zu und unterschreibt digital. Das eRezept wird dann auf einem zentralen Server abgelegt. Der Patient lässt in der Apotheke seiner Wahl seine Versichertenkarte auslesen und erhält seine Medikamente. Oder er hat die App auf dem Handy, aus der ein Code gescannt werden kann. In dieser App kann er sogar die Apotheke auswählen, diesen Code aber auch an eine Online-Apotheke schicken, falls ihm das lieber ist. In der App gibt es eine Familienfunktion, mit der man Rezepte für Angehörige verwalten kann.
Dritte Möglichkeit: Die Praxis druckt den Code auf Papier aus. Das wird vorerst vermutlich bei Millionen Privatversicherten geschehen, die gar keine Gesundheitskarte haben. Die Privatversicherer haben sich der e-Card von Anfang an skeptisch gegenüber gezeigt. Sie können aber auch die App der Gematik auf ihrem Handy installieren und der Praxis ihre Versichertennummer mitteilen.
Apotheke Hamburg: Abstürze bei Servern verlängern Wartezeit auf Arzneien
Das eRezept ist seit dem 1. Januar 2024 Pflicht – auch wenn der Bundesrat dem Gesetz dazu erst noch zustimmen muss. Es ist über Jahre getestet und in vielen Arztpraxen und Apotheken bereits probeweise eingeführt worden. Dabei wurde allerdings klar: Es funktioniert bei Weitem nicht so, wie es soll. Fehler und Falsch-Codierungen in Programmen (Bugs), Abstürze von einzelnen Computern und Servern sowie extrem lange Lade- und damit Wartezeiten belasteten die Einführung seit jeher.
Das eRezept ordnet sich damit in die unselige Reihe von Telematik-Projekten in Deutschland ein, die mit der elektronischen Gesundheitskarte von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihres damaligen Beraters Karl Lauterbach (beide SPD) vor rund 20 Jahren begannen. Die Karte ist längst nicht mehr zeitgemäß, weil es moderne Anwendungen (Apps) gibt. Sie kann nicht das, was sie verspricht, und sorgt immer wieder für Ärger in Praxen.
eRezept nicht auf App und Gesundheitskarte gespeichert
Das eRezept ist nicht auf der Karte gespeichert, wie man annehmen könnte, auch nicht in der App. Gesundheitskarte oder App dienen nur als „Schlüssel“, um auf den Servern bei der Gematik, der Gesellschaft für die Telematik-Infrastruktur (TI) im Gesundheitswesen, ein Rezept abzurufen. Diese Server sind schon mal ausgefallen, haben gehakt oder waren aus anderen Gründen nicht erreichbar. Das nervt nicht nur Ärzte und Apotheker, sondern auch Patienten, die auf Blutdruck-Tabletten oder Fiebersaft warten. Wegen Computer-Abstürzen dieser Technologie wurden in Hamburg zuletzt zahlreiche Praxen lahmgelegt. Doch die Ärzte sind gezwungen, die neueste Software zu haben und eRezepte auszustellen, sonst drohen ihnen Kürzungen ihres Honorars.
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Der Hamburger HNO-Arzt Dr. Dirk Heinrich erklärte als Vorsitzender des Virchowbundes, dass jede vierte Praxis jede Woche einen Systemabsturz erlebe. Während die Praxen digitalisiert seien, gebe es außerhalb „weder ausreichend Glasfaserleitungen noch schnelle Anwendungen noch die notwendige Sicherheit und schon gar keine faire und ausreichende Finanzierung“. Heinrich schimpfte über Lauterbachs Gesundheitspolitik: „Nun soll auch noch der Support der Patienten bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens auf die Praxen abgewälzt werden. Das ist Wahnsinn. Denn die Praxen sind nicht der Helpdesk für die Versicherten der Krankenkassen.“
Arzt Hamburg: Patienten müssen trotzdem einmal pro Quartal in die Praxis
Dass die Abläufe in den Praxen sich ändern, glaubt auch Dr. Jana Husemann, Vorsitzende des Hamburger Hausärzteverbandes. Sie hält die aktuelle Infektsaison als Zeitpunkt für „nicht ganz glücklich“, um die neue Technik einzuführen. Das Ausstellen eines eRezeptes dauere noch länger als das herkömmliche. Nur in der Theorie müssten Patienten nicht mehr in eine Praxis kommen, wenn sie immer dieselben Medikamente brauchen. Sie könnten ja per Telefon das eRezept anfordern, das eine Ärztin oder ein Arzt sogar „stapelweise“ digital unterschreiben kann. Praktisch jedoch sollten sie einmal im Quartal ihre Versichertenkarte einlesen lassen. Sonst funktioniert das System nicht richtig.