Hamburg. 32-Jähriger legt Leiche des Opfers im Wald ab. Er habe in Notwehr gehandelt, sagt er später im Prozess. Wie das Gericht entscheidet.

„Der Schreck ist das Schlimmste. Das verfolgt mich jetzt noch.“ Mit Schaudern erinnert sich eine 48-Jährige zurück an jenen Morgen, als sie im Wald eine Leiche fand. Erst hielt die Spaziergängerin die Tote für einen Baumstamm, doch dann wurde ihr bewusst, dass dort eine Frau lag, reglos, unbekleidet. Die 35-Jährige war umgebracht worden.

Es war die Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2022, als eine zweifache Mutter Opfer eines Verbrechens wurde. Herauszufinden, wer für den Tod der Hamburgerin verantwortlich ist, wurde den Ermittlern relativ leicht gemacht. Es meldete sich noch am selben Tag eine Zeugin und berichtete, ihr Lebensgefährte habe sich ihr anvertraut und erzählt, dass er mit dem Tod einer Frau zu tun habe. Die Lebensgefährtin rief die Polizei. Es kam zur Festnahme eines 32-Jährigen und später zum Prozess vor dem Landgericht. „Dieser Angeklagte, ein Familienvater, musste sich wegen Totschlags verantworten“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel in „Dem Tod auf der Spur“, dem Crime-Podcast des Abendblatts.

Prozess Hamburg: Mann kontaktierte das spätere Opfer über Internet

Laut Staatsanwaltschaft soll der gelernte Kfz-Mechatroniker die Frau auf einem Parkplatz im Hamburger Stadtgebiet – vermutlich in Billwerder oder Moorfleet – erwürgt haben. Bernhard D. (Name geändert) soll die 35-Jährige über das Internet kontaktiert haben. Dort hat die gelernte Altenpflegerin offenbar sexuelle Dienstleistungen angeboten – um nebenbei etwas dazuzuverdienen.

„Die beiden sollen sich verabredet haben: Sex gegen Geld“, berichtet Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Im Auto seien beide in Streit geraten. Der angeklagte Deutsche habe dann die Frau mit beiden Händen am Hals gepackt und ihr den Mund zugehalten. Sie sei an Sauerstoffmangel gestorben. Danach habe der Mann die unbekleidete Leiche in dem Wald bei Stelle abgelegt.“

Angeklagter behauptet, er habe in Notwehr gehandelt

Der Angeklagte hat selber zu den Vorwürfen nichts gesagt. Aber dafür war ein Brief, den Bernhard D. aus der Untersuchungshaft an seinen Vater geschrieben hat, umso aussagekräftiger. Der Angeklagte hat sich darin dazu bekannt, dass die Frau wahrscheinlich durch seine Hand gestorben ist. „Aber einen Totschlag hat er nicht gestanden“, präzisiert Mittelacher. „Er hat vielmehr eine Art Notwehrsituation dargestellt. Demnach will er sich lediglich gegen einen Angriff des späteren Opfers gewehrt haben.“

In dem Schreiben wird angedeutet, dass es zwischen Bernhard D. und seiner Lebensgefährtin an jenem Tag offenbar heftigen Streit gab. Er selber, schreibt der 32-Jährige, habe sich dann bei einem Kumpel Kokain besorgt. Später hat der 32-Jährige sich über Internet mit der Frau verabredet. Es war klar, dass es bei dem Treffen um Sex ging.

So soll es zum Streit gekommen sein. „Ich schlug sie zurück“

Dann sei es zu einer Eskalation gekommen, schrieb der Mann. Er habe zu der Frau, mit der er eigentlich Sex haben wollte, gesagt, dass er das doch nicht hinkriege. „Ich habe Frau und Kinder“, habe er ihr erzählt. Daraufhin habe die Frau ihn als Schlappschwanz tituliert und gedroht, sie werde seiner Lebensgefährtin brühwarm erzählen, was „er so treibt“. Außerdem habe die 35-Jährige ihn ins Gesicht geschlagen.

In dem Brief des Angeklagten heißt es: „Ich schlug sie zurück.“ Die Frau habe geschrien, „Ich bring dich um.“ „Sie schlug auf mich ein, ich habe versucht, die Schläge abzuwehren“. Er sei in dem engen Auto und unter dem Einfluss von Kokain in Panik geraten. Er habe sie festgehalten und sich „gefangen und hilflos“ gefühlt. „Ich habe intensiv Angst gefühlt“, so der 32. „Ich habe sie noch mal geschlagen und an den Hals gefasst. Dann war sie ruhig. Ich habe sie gerüttelt, aber sie hat sich nicht bewegt.“

Die Frau starb durch massive Gewalt gegen den Hals

„So kann es nicht gewesen sein“, sagt Püschel. „Allein davon, dass jemand den Hals eines anderen berührt, stirbt niemand.“ Bei der Obduktion sei vielmehr festgestellt worden, dass massive Gewalt gegen den Hals ausgeübt wurde, unter anderem wurde die Frau über längere Zeit gewürgt.

Danach muss der Täter mit der Leiche im Auto umhergefahren und die Tote schließlich im Wald südlich von Hamburg abgelegt haben. Nachts stand er dann plötzlich am Bett seiner Lebensgefährtin. Bernhard D. sei völlig aufgelöst gewesen, schilderte seine Freundin als Zeugin vor Gericht. „Schatz“, sagte er demnach zu seiner Lebensgefährtin, „ich habe eine Frau umgebracht.“ Darauf meldete sie sich bei der Polizei.

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Im Prozess argumentierte die Verteidigerin von Bernhard D., ihr Mandant sei in einer Notwehrsituation gewesen. Er habe sich gegen den Angriff der Frau nur gewehrt und sei freizusprechen. Das Gericht folgt indes im Wesentlichen der Staatsanwaltschaft und verhängt neun Jahre Haft wegen Totschlags.

Der Vorsitzende Richter sagt in der Urteilsbegründung, ursprünglich sei es bei der Verabredung zwischen dem 32-Jährigen und dem späteren Opfer um Sex gegangen. Bernhard D. habe „zwischen Kindersitzen, Fahrersitz und Heckklappe seine sexuellen Bedürfnisse befriedigen wollen“.

Richter: Es handele sich um eine „furchtbare Tat. Sie kam aus dem Nichts“

Es handele sich um eine „furchtbare Tat“. Sie sei Folge eines „fatalen, durch nichts zu rechtfertigenden Gewaltausbruchs. Die Tat kam aus dem Nichts.“ Das Gericht war davon überzeugt, dass es im Auto zwischen Bernhard D. und der 35-Jährigen zum Streit über die Sexualpraktiken kam. Bernhard D. habe sich in Wut hineingesteigert und mit einem unkontrollierbaren, schlimmen Gewaltausbruch reagiert.

Die Frau müsse sich „verzweifelt gewehrt“ haben, sei dem 1,88 Meter großen und damals 140 Kilogramm schweren Mann aber körperlich weit unterlegen gewesen. Mit dem Würgen und mit der Massivität der Einwirkung auf Kopf und Mund habe er ihren Tod „billigend in Kauf genommen“, so das Gericht, also einen Totschlag begangen. „Der Angeklagte handelte nicht in Notwehr“, betont der Richter. „Sein Handeln war durch nichts zu rechtfertigen.“

Prozess Hamburg: Täter war mit Corona infiziert, hätte nicht das Haus verlassen dürfen

„Über ein Detail haben wir noch gar nicht gesprochen“, merkt Püschel an. „Wir reden über das Jahr 2022. Die Corona-Epidemie hatte damals noch ihre Hoch-Zeit. Und der Angeklagte war zur Tatzeit infiziert, hätte also eigentlich zu Hause in Quarantäne sein müssen!“

„Stimmt“, bestätigt Mittelacher. „Auch dazu hat der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung Stellung genommen. Dass er seine Mitmenschen mit dem Coronavirus habe anstecken können, habe Bernhard D. nicht interessiert, sondern vielmehr habe er eine Gefährdung anderer in Kauf genommen, „um seinen Wunsch nach Sex zu befriedigen“, sagt der Richter. Die Tat sei von „Eigensucht und Rücksichtslosigkeit geprägt gewesen. Hätte er sich an die Regeln gehalten, die für alle gelten“, nämlich die Corona-Bestimmungen, wäre es nicht zu dem Tod der Frau gekommen. „Das ist bitter.“

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