Hamburg. Ein 26-Jähriger soll einem Rentnerpaar völlig überzogene Rechnungen präsentiert haben. Doch der Prozess endet mit einer Überraschung.

Der Ehemann kam nach Hause, gestützt auf seinen Krückstock. Und dem 89-Jährigen dicht auf den Fersen folgte ein Mann, der mit einem Flyer wedelte und Reparaturen am Dach anbot. Solche seien dringend notwendig, sonst werde es demnächst ins Haus regnen, war die düstere Prognose des jungen Mannes. Das Rentnerpaar war einverstanden, dass spontan Handwerkertätigkeiten ausgeführt werden, und zahlte dafür sehr viel Geld. Doch in Ordnung war später – nichts.

So erinnert sich heute Martha M. (alle Namen geändert) daran. Die 86-Jährige ist Zeugin in einem Prozess vor dem Amtsgericht, in dem es um eine perfide Betrugsmasche geht: Angebliche Dachdecker klingeln an Türen oder sprechen vorzugsweise ältere Menschen in deren Gärten an und behaupten, sie hätten an einem Haus zufällig erheblichen Reparaturbedarf festgestellt und könnten diesen sehr schnell und kundig beheben. Am Ende wird eine horrend hohe Rechnung präsentiert und abkassiert. Hat Dennis G. sich an so einem Betrug beteiligt?

Prozess Hamburg: Wer war der angebliche Handwerker?

So sieht es zumindest die Staatsanwaltschaft. Sie wirft dem 26-Jährigen vor, er habe sich gemeinsam mit einem noch unbekannten Mittäter im Juli 2021 gegenüber einem Ehepaar im Westen Hamburgs wahrheitswidrig als Handwerker ausgegeben. Für Flachdach- und Schornsteinsanierungsarbeiten am Haus in der Heinrich-Plett-Straße präsentierte der 26-Jährige zusammen mit seinem Komplizen laut Anklage ein Angebot über 17.000 Euro und ließ sich 6000 Euro in bar als Anzahlung übergeben.

Zwei Tage später legte er den Ermittlungen zufolge eine Rechnung über weitere 54.000 Euro vor, die das Ehepaar beglich. Doch die Arbeiten wurden, wie von vornherein beabsichtigt, nicht beziehungsweise nicht fachgerecht ausgeführt, so die Staatsanwaltschaft. Und selbst bei professioneller Erledigung wäre der Preis „völlig überzogen“.

Schon während der Handwerkerarbeiten wurde die Frau misstrauisch

Der Angeklagte, ein schmaler Mann mit adrett gestutztem Haar, mag sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Aufmerksam lauscht der 26-Jährige, wie Martha M. ihre Erlebnisse von vor mehr als zwei Jahren schildert. Sie selbst habe die Verhandlungen mit den Handwerkern nur am Rande mitgekommen, so die Rentnerin. „Denn Gelddinge hat sich immer mein Mann vorbehalten“, erzählt die 86-Jährige. Ihr Mann verstarb vergangenen Sommer.

Martha M. erinnert sich im Zusammenhang mit den Dacharbeiten vor allem an einen „freundlichen Handwerker“, der „vertrauenserweckend“ gewesen sei. Und an seinen Kollegen, der sich „als Spiritus Rector“ ums Geschäftliche gekümmert habe. Zweimal hätten sie und ihr Mann den angeblichen Handwerkern Geld übergeben, erzählt die Zeugin, zunächst, als die Anzahlung fällig wurde, und zwei Tage später erneut. Doch schon während die Arbeiten hätten vorgenommen werden sollen, sei sie misstrauisch geworden.

Angeblich sollten acht Männer arbeiten, aber es waren nur drei

„Angeblich sollten acht Leute auf dem Dach tätig sein, aber da waren nur drei. Und die haben lediglich herumgestanden und geraucht und offenbar nicht gearbeitet.“ Wenig später seien die vermeintlichen Handwerker weg gewesen, ebenso wie die Leiter, die am Dach gelehnt hatte. „In Windeseile war alles abgeschlossen.“ Und genauso schnell seien mit einer weiteren Rechnung 54.000 Euro eingefordert worden. Da hätten sie und ihr Mann Geld von der Bank holen müssen.

Das ganze Ausmaß des Schwindels wurde Martha M. bewusst, als ein Nachbar nachschaute, wie die Dachreparaturen ausgeführt wurden, und allenfalls nachlässig vorgenommene Arbeiten vorgefunden habe. Ein anderer Bekannter recherchierte über die auf dem Flyer genannte Firma – die jedoch in keinem offiziellen Register auffindbar war.

Die vermeintliche Firma ließ sich nicht ausfindig machen

Als die 86-Jährige an die angebliche Geschäftsadresse einen Brief absandte, kam das Einschreiben als unzustellbar zurück. Die einzige Spur: ein Name auf der Rechnung. Der Nachbar suchte im Internet nach entsprechenden Personen und fand das Foto eines Mannes, von dem Martha M. glaubte, dass dieser der Täter gewesen sei.

Mehr als zwei Stunden erzählt die betagte Frau vor Gericht. Sie bemüht sich, sich an Details zu erinnern, an einzelne Zahlungen, daran, wie die angeblichen Handwerker aussahen. Von dem, der ihnen den Flyer übergeben und ihnen die Reparaturarbeiten angedient hat, sagt sie, dass sie „sein Gesicht nie vergessen“ werde.

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Doch als sie im Verhandlungssaal gefragt wird, ob sie den Angeklagten als jenen Mann wiedererkennt, wird die Zeugin unsicher. „Man kann sich doch in zwei Jahren verändern“, meint sie. Sie habe vor allem dessen „freundliche Art“ in Erinnerung.

Prozess in Hamburg: Zeugin erkennt den Angeklagten nicht wieder

Das reicht beileibe nicht für eine sichere Identifizierung. So beurteilt es die Staatsanwältin, die Freispruch für Dennis G. beantragt, „nicht, weil ich von Ihrer Unschuld überzeugt bin“, betont die Anklägerin an die Adresse des Angeklagten, „sondern weil die Zeugin Sie nicht wiedererkennt“.

Auch das Urteil der Amtsrichterin lautet auf Freispruch, weil die Tat dem 26-Jährigen nicht nachzuweisen sei. Genau dies sei bei solchen Betrugstaten auch „Teil des Modus Operandi“, sagt die Richterin. Dass nämlich vorzugsweise ältere Opfer ausgewählt werden, von denen die Täter hoffen, dass sie später Schwierigkeiten haben, sie zu identifizieren.