Hamburg. Mediziner Dirk Heinrich kündigt im Abendblatt Bummelstreik und Viertagewoche an – auch in Hamburg. Es geht um Honorare und Personal.
Die Kassenärzte in Deutschland dürfen eigentlich nicht streiken. Doch sie haben Wege gefunden, ihren Protest gegen die Politik von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in die Praxen zu tragen.
Einer der prominenten Wortführer ist der Hamburger HNO-Arzt Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des Spitzenverbandes der Fachärzte. Er sagt, die Praxen werden zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen sein. Das dürfte dazu führen, dass Patientinnen und Patienten in die Notaufnahmen der Krankenhäuser und in die Notfallambulanzen gehen. Die sind jedoch ohnehin chronisch überfüllt.
Hamburger Abendblatt: Herr Dr. Heinrich, der Protest von Ärzten, Apothekern und auch Krankenhäusern gegen die Gesundheitspolitik von Minister Karl Lauterbach (SPD) war noch nie so laut. Was kommt jetzt auf die Patientinnen und Patienten zu, die einen Termin in einer Praxis brauchen?
Dr. Dirk Heinrich: Karl Lauterbach hat zu Jahresbeginn Geldmittel für die ambulante Versorgung gekürzt, indem er die Neupatientenregelung abgeschafft hat. Wenn weniger Geld da ist, heißt das im Umkehrschluss: Es gibt weniger Leistungen für die Patienten. Entgegen seinem oft wiederholten Versprechen gibt es also Leistungskürzungen. Die drücken sich aktuell in immer länger werdenden Wartelisten aus. Die Wartezeiten auf Termine in den Arztpraxen steigen.
Das ist allerdings in der laufenden Infektsaison ungünstig …
Wir Fachärzte und Hausärzte sind damit überhaupt nicht glücklich. Wir möchten unsere Patienten versorgen können, dafür sind wir Ärzte geworden. Aber die aktuelle Politik macht es uns immer schwerer. Das ist der Grund, warum wir seit über einem Jahr in ganz Deutschland protestieren. Die nächsten Proteste sind schon geplant, zwischen Weihnachten und Neujahr werden in ganz Deutschland Praxen für zehn Tage geschlossen bleiben. Unsere Medizinischen Fachangestellten benötigen dringend Entlastung. Von der Politik kommt keine Hilfe, darum müssen die Praxen sich selbst helfen. Immer mehr Praxen denken auch über eine Viertagewoche nach.
Arzt Hamburg kritisiert starke Arbeitsverdichtung und ausufernde Bürokratie
Halten Sie eine Viertagewoche in den Praxen für geeignet, der Überlastung und dem Personalmangel zu begegnen?
Ja. Die Viertagewoche ist eine Notmaßnahme, um den Beruf der Medizinischen Fachangestellten wieder attraktiver zu machen. Aktuell leiden unsere MFA unter den Arbeitsbedingungen. Erstens die starke Arbeitsverdichtung, zweitens die ausufernde Bürokratie, drittens der Zusatzaufwand durch die digitalen Anwendungen. Diese wurden vom Staat mit Zwang in die Praxen gepresst, obwohl sie schlecht umgesetzt sind und mehr Zeit kosten, als sie einsparen. Viertens treten immer mehr Patienten aggressiv auf und wollen ihre Ansprüche durchsetzen – zuallererst am Tresen bei den MFA. Und last but not least der hohe Aufwand, Termine zu koordinieren, weil viele davon von den Patienten einfach ohne Absage geschwänzt werden und damit die Praxisorganisation gestört wird …
Wie kann eine Viertagewoche konkret aussehen?
Die Belastungen sind hoch, die Arbeitszeiten vielfach nicht mehr attraktiv, und beim Gehalt können Arztpraxen mittlerweile nicht mehr mit der Konkurrenz durch Krankenhäuser und durch die Krankenkassen selbst mithalten. Daher muss man andere Wege finden, um den Beruf attraktiv zu machen, und die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich ist so einer. Das heißt, vier Tage die Woche werden Patienten behandelt. Am fünften Tag ist die Praxis für Patienten geschlossen, die Ärzte kümmern sich an diesem Tag um die Bürokratie. Dafür bleibt an den anderen Tagen mehr Zeit für die Patienten, und Sprechstunden können dort z. B. auch bis abends angeboten werden.
Arzt: „In meiner Hamburger Praxis erhalte ich für jeden dritten Patienten gar kein Geld“
Warum erhalten Ihre Praxis-Mitarbeiterinnen nicht mehr Geld?
Ich persönlich finde es eine Schande, dass die MFA bis heute keinen staatlichen Corona-Bonus erhalten haben. Den Corona-Bonus mussten die Praxen allein stemmen, was viele auch gern getan haben. Aber beim Gehalt der MFA sind aktuell keine großen Sprünge mehr drin, da die Arztpraxen ja ihre Einnahmen nicht erhöhen können. Das ist besonders bitter, da die Krankenkassen sich einerseits weigern, mehr Geld für die MFA bereitzustellen, aber andererseits MFA aus den Arztpraxen mit höheren Gehältern und Prämien abwerben. Ob das Geld der Versicherten auf diese Weise tatsächlich besser eingesetzt ist, darüber kann sich jeder selbst seine Gedanken machen.
Wenn man zum Beispiel die Budgets, also die nach oben begrenzten Ausgaben für Kinderärzte und Hausärzte, komplett abschafft, drohen dann nicht die Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen so zu steigen, dass erhebliche Beitragserhöhungen für die Versicherten die Folge wären?
Die Krankenkassen stemmen sich gegen die Abschaffung der Budgets, weil sie fürchten, dass die Ärzte dann ihre Leistungen ausweiten und die Kosten explodieren. Das war ein Argument während der Ärzteschwemme vor 30 Jahren, aber heutzutage haben wir einen Ärzte- und Fachkräftemangel. Natürlich kann mit Mehrarbeit noch der eine oder andere zusätzliche Patient versorgt werden, aber das ist angesichts der Wartelisten ja notwendig. Für eine Ausweitung von Leistungen am einzelnen Patienten hat niemand Zeit, also wird es diese nicht geben. Das ist eines der vielen Märchen, mit denen die Krankenkassen versuchen, die Mittel zu begrenzen. Dass die Budgets entfallen, führt letztlich nur dazu, dass die Arbeit, die Ärzte tagtäglich erbringen, endlich vollständig bezahlt wird. In meiner Hamburger Praxis z. B. erhalte ich für jeden dritten Patienten gar kein Geld, das muss man sich einmal vorstellen!
- Apotheken schließen aus Protest – Pillen-Gipfel im Rathaus
- So änderte eine krebskranke Frau ein Hamburger Gesetz
- Patienten am UKE: Wir haben euch unser Leben zu verdanken
Hat die Krankenhausreform Folgen für die Arztpraxen?
Die geplante Krankenhausreform von Bund und Ländern wird Auswirkungen auf die gesamte medizinische Versorgung in Deutschland haben. Wenn die Kliniken sich für ambulante Behandlungen öffnen, werden dann nicht auch in Hamburg die niedergelassenen Ärzte entlastet?
Nein, an Entlastung zu glauben wäre ein Missverständnis. Denn die Krankenhäuser werden ja keine Leistungen erbringen, die vorher die niedergelassenen Ärzte erbracht haben. Stattdessen gibt es Leistungen, die bislang stationär erbracht wurden und jetzt ambulant gemacht werden können. Für die Patienten ist das ein großer Vorteil. Für die Krankenhäuser ändert sich nur die Art, wie sie diese Leistung erbringen. Und auch niedergelassene Ärzte dürfen dann ebenfalls dieselben Leistungen erbringen, allerdings sind die Bedingungen dafür aktuell eher so gestrickt, dass die Krankenhäuser einen immensen Wettbewerbsvorteil erhalten. Regelungen für eine echte Verzahnung von niedergelassen Ärztinnen und Ärzten mit den Krankenhäusern haben wir angemahnt, aber bislang fehlen diese in den Plänen.