Hamburg. Nach einmaligem Vorgang: emotionale Debatte wegen antijüdischer Proteste. Bürgerschaft fordert Schließung des IZH Hamburg.
Das Massaker der palästinensischen Terrororganisation Hamas an mehr als 1400 Jüdinnen und Juden vor einem Monat mit der Folge eines neuen Nahost-Krieges hat den Graben zwischen den demokratischen Fraktionen der Bürgerschaft und der AfD nur noch tiefer werden lassen. In einer zum Teil emotional geführten Debatte der Aktuellen Stunde warf der AfD-Fraktionsvorsitzende Dirk Nockemann den anderen Parteien eine Mitverantwortung für die antisemitischen Proteste von Muslimen in Deutschland vor. Mehrere Abgeordnete von SPD, Grünen, CDU und Linken hielten der AfD vor, alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen, und sprachen von „rechter Hetze“.
Am Anfang stand ein bemerkenswerter Vorgang, der relativ einmalig in der Geschichte der Bürgerschaft sein dürfte. Der Ältestenrat hatte aus der Anmeldung der AfD-Fraktion für die Aktuelle Stunde das Wort „Mob“ als unparlamentarisch gestrichen, sodass nur von „Migranten“ die Rede war. „Schrecklicher Höhepunkt der Migrationspolitik von SPD, Grünen und CDU: Ausschreitungen von Migranten und Hass gegen Juden, Israel und Deutschland – wann wird die Massenmigration gestoppt?“, lautete die bewusst provozierende Fragestellung.
SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf warf der AfD „Nazi-Sprachgebrauch“ vor
„Eine aufgeheizte Menschenmenge, aus der heraus Straftaten begangen werden, wird gemeinhin als ,Mob‘ bezeichnet. Dieser Mob, der sich in den vergangenen Tagen und Wochen mit judenfeindlichen Äußerungen auf unseren deutschen Straßen ausgetobt hat, war ganz überwiegend migrantisch geprägt“, sagte Nockemann. Nur wer „Ross und Reiter“ klar benenne, könne auch die entscheidenden Gegenmaßnahmen ergreifen.
„Mitverantwortung für die offen judenfeindlichen Proteste tragen diejenigen, die es in den letzten Jahren zugelassen haben, dass sich bei uns hunderttausendfach Feinde westlicher Werte und Todfeinde Israels niedergelassen haben – das sind insbesondere Linke, SPD, Grüne und CDU“, rief Nockemann gegen den Protest der anderen Fraktionen.
Die Reaktion folgte prompt. „Dass Sie heute am 8. November den Hamas-Terror, das unendliche Leid des jüdischen Volkes für ihre rechte Hetze missbrauchen, das ist einfach nur widerwärtig“, rief SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Die AfD bediene sich des „Nazi-Sprachgebrauchs“. Rassismus, Antisemitismus und das Infragestellen des Existenzrechts Israels habe „in der Stadt keinen Platz“. Es müsse alles für den Schutz jüdischer Menschen in der Stadt getan werden. „Gerade jetzt: Wir wollen das jüdische Leben fördern“, sagte Kienscherf.
Grünen-Fraktionschefin Jasberg erinnerte daran, dass es Antisemitismus schon vorher gegeben habe
Der Terrorakt der Hamas sei ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gewesen. „Heute muss von hier aus das Signal ausgehen: Es ist kein Platz für Judenhass in der Stadt“, sagte der SPD-Politiker und spielte damit auf propalästinensische Demonstrationen mit antisemitischen Äußerungen an. Mit Blick auf die AfD-Fraktion ergänzte Kienscherf: „Es geht nicht an, 5,5 Millionen in Deutschland lebende Muslime unter Generalverdacht zu stellen.“
„Die Anmeldung der AfD für die Aktuelle Stunde ist entlarvend, aber auch beschämend für das ganze Haus“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Jennifer Jasberg. „Wer auf Terror mit Hass und Hetze reagiert, wer auf Antisemitismus mit Verächtlichmachung von Migranten reagiert, spaltet die Gesellschaft und hat aus unserer Geschichte nichts gelernt“, sagte Jasberg, die darauf hinwies, dass es Antisemitismus bereits vor dem 7. Oktober in Deutschland gegeben habe. Sie erinnerte an Anschläge von Rechtsextremisten auf jüdische Einrichtungen.
CDU-Fraktionschef Thering nennt die antisemitischen Proteste „ekelhaft“
„Für jeden Toten auf israelischer wie palästinensischer Seite ist die Hamas verantwortlich und niemand sonst. Die Hamas nimmt in Kauf, dass das eigene Volk stirbt“, sagte der CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Es gibt islamistischen Antisemitismus und islamistischen Faschismus. Es kann nicht sein, dass Menschen auf den Straßen den Terror feiern. Das ist ekelhaft.“
Die Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir sagte, die Hamas sei „eine Terrororganisation, keine Befreiungsbewegung“. Zwar müsse Islamisten auch in Deutschland „knallhart die Rote Karte“ gezeigt werden, andererseits dürfe aber „antimuslimischer Rassismus nicht weiter befördert werden“. Wer wie die AfD nur von „importiertem Antisemitismus“ spreche, betreibe eine „gefährliches Reinwaschen von der historischen Verantwortung“.
Aus Sicht von Grote ist die Lage in Hamburg ruhiger als in anderen Städten
Innensenator Andy Grote (SPD) betonte, dass sich die Lage in der Stadt seit dem Terrorangriff am 7. Oktober verändert habe. „Die systematische, organisierte Ermordung von rund 1400 Menschen auf bestialische Weise, allein weil sie Juden waren, ist selbst in der blutigen Geschichte des Nahostkonflikts ohne Beispiel. Sie kann durch kein Ereignis gerechtfertigt oder relativiert werden“, sagte Grote unter starkem Beifall der meisten Abgeordneten.
„Die furchtbaren Ereignisse machen vielen Menschen Angst, rufen aber auch radikale Kräfte auf den Plan. Die höchste Priorität hat für die Hamburger Sicherheitsbehörden seit dem 7. Oktober der Schutz des jüdischen Lebens in unserer Stadt“, sagte der Innensenator. „Die Hamburger Polizei ist seit vier Wochen im Dauereinsatz – und mit Erfolg: Die Lage in Hamburg ist insgesamt deutlich ruhiger als in anderen Städten. Wir haben Angriffe auf jüdische Einrichtungen bisher nicht erlebt“, sagte Grote. Das bedeute nicht, dass die Lage harmlos sei.
Für Demos mit Bezug zur Unterstützung der Hamas gilt „allgemeine Untersagung“
„Wir dulden nicht, dass sich Judenhass und Antisemitismus auf unseren Straßen Bahn bricht. Es ist ein zutiefst beklemmendes Gefühl, dass Jüdinnen und Juden 80 Jahre nach dem Holocaust zum Teil Angst haben, auf die Straße zu gehen“, sagt der SPD-Politiker. Die Sicherheitsbehörden sähen deswegen sehr genau, wenn es um Versammlungen und Proteste gehe.
„Dazu gehört, dass die Versammlungsbehörde für unangemeldete Demonstrationen mit einem Bezug zur Unterstützung der Hamas eine allgemeine Untersagung verfügt hat. Trotzdem kann jeder weiterhin eine Demonstration anmelden, auch eine pro-palästinensische“, sagte Grote. Jede Anmeldung werde genau geprüft. Es gebe eine islamistische Szene in Hamburg, die den Terror für sich zu nutzen versuche. „Gegen die gehen wir mit aller Härte vor. Verbotene Versammlungen werden konsequent aufgelöst“, sagte Grote. Die Stadtgesellschaft müsse darauf achten, sich „nicht von Extremisten auseinandertreiben“ zu lassen.
Am Abend beschloss die Bürgerschaft mit sehr großer Mehrheit einen Antrag der Fraktionen von SPD, Grünen, CDU und den FDP-Abgeordneten, der den Hamas-Terror verurteilt und sich zur Solidarität mit Israel bekennt. Erstmals setzt sich die Bürgerschaft fraktionsübergreifend für die Schließung des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH) ein, das als „verlängerter Arm“ des Mullah-Regimes im Iran gilt.