Hamburg. FFF unterstützt Initiative „Zukunftsentscheid“. Sprecherin Rittmann erklärt Gründe und warum sie von Greta Thunberg enttäuscht ist.

Einst brachten sie ihren Protest vor allem auf die Straße, jetzt gehen die Klimaschützer von Fridays for Future in Hamburg ganz neue Wege: Mit einer Volksinitiative wollen sie konkret auf die Klimapolitik des rot-grünen Senats in der Hansestadt Einfluss nehmen. Parallel zur Bundestagswahl im Jahr 2025 könnten die Hamburgerinnen und Hamburger aufgefordert sein, in einem Volksentscheid über den richtigen Klimaschutz abzustimmen.

Als Reaktion auf die geplante Novellierung des Hamburger Klimaschutzgesetzes werden ab Januar 2024 in Hamburg Unterschriften für die Volksinitiative namens „Zukunftsentscheid“ gesammelt, wie Annika Rittmann, Sprecherin von Fridays for Future (FFF) Hamburg, dem Abendblatt berichtete. Gemeinsam mit einem breiten Bündnis will Fridays for Future damit den Senat auf einen sozial gerechten, wissenschaftsbasierten und wirtschaftlich ausgewogenen Klimaschutz in Hamburg verpflichten und der Hamburger Klimapolitik einen verlässlichen Rahmen geben. Kernpunkte des Vorschlags sind die gesetzlich verpflichtende Sozialverträglichkeit von Klimaschutzmaßnahmen sowie ein jährliches Maximalbudget für CO₂-Emissionen bis zur Klimaneutralität 2040.

Klimaschutz: Fridays for Future will weiter demonstrieren, aber auch andere Wege gehen

„Viele Hamburgerinnen und Hamburger machen sich Sorgen über die Zukunft unserer Stadt. Die Auswirkungen der Klimakrise sind schon jetzt dramatisch, Preise und Mieten steigen und Arbeitsplätze sind unsicher“, begründete Rittmann die Initiative. Währenddessen versäume es der Senat auch mit der angekündigten Änderung des Klimaschutzgesetzes, einen zuverlässigen Rahmen zu schaffen und eine breite gesellschaftliche Unterstützung zu mobilisieren. „Es reicht nicht aus, alle paar Jahre das Klimaschutzgesetz zu überarbeiten und nur vereinzelt Maßnahmen umzusetzen.“

Mit dem Volksentscheid geht die Klimaschutzbewegung einen ganz neuen Weg, und das nicht ohne Grund: „Wir werden weiter demonstrieren, weil das eine wichtige politische Beteiligungsmöglichkeit ist – auch für Jüngere, die noch nicht wählen oder an einem Volksentscheid teilnehmen können. Doch dieser Protest darf sich nicht ausschließlich auf der Straße widerspiegeln. Häufig demonstrieren zu gehen ist ein Privileg, das muss man sich ja erst mal leisten können.“ Zur Wahrheit gehört auch: Von den Massen von Menschen, die die Klimaschützer noch vor der Corona-Pandemie mobilisieren konnten, sind die Klimaschützer mittlerweile weit entfernt.

Fridays for Future: Sprecherin Rittmann erklärt die Volksinitiative mit Signalwirkung

„Mit unserer Volksinitiative geben wir allen Menschen die Möglichkeit, der Politik zu signalisieren, dass sie die Notwendigkeit dringender Klimaschutzmaßnahmen sehen. Dafür gibt es laut Umfragen eine klare Mehrheit und dieser wollen wir eine Stimme geben“, so Rittmann. „Gemeinsam können wir das immer wieder vorgebrachte Gefühl ,Menschen-finden-das-nicht-gut´aufbrechen, das oftmals gegen Klimaschutzmaßnahmen angeführt wird. Wir werden mit dem Volksentscheid zeigen: Die Menschen wollen mehr Klimaschutz und einen klaren Rahmen zur Überprüfung der Anstrengungen hier in Hamburg.“

Kurz nach der ersten Fridays-for-Future-Demonstration 2019 hat der rot-grüne Senat in Hamburg das Hamburger Klimaschutzgesetz verabschiedet. Laut diesem Gesetz sollte die Stadt bis 2050 klimaneutral werden. Der Senat plant, das Ziel vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Klimakrise nun durch eine Novelle auf 2045 vorzuziehen und ein erstes Zwischenfazit für 2030 zu ziehen. Am aktuellen Entwurf entzündet sich von einigen Seiten Kritik. Von FFF heißt es, der Entwurf sei ein „erster richtiger Schritt, aber es fehlt darin der klare Pfad zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes“, wie Rittmann sagt. Die Volksinitiative will ab 2025 für jedes Jahr eine genaue Begrenzung des CO₂-Ausstoßes festlegen, also ein Budget in jedem Bereich, an dem sich der Senat orientieren muss – bei den Gebäuden, im Gewerbe, in der Industrie und im Bereich Verkehr. Wenn ein Ziel in einem der Bereiche nicht eingehalten wird, muss nachgesteuert werden, heißt es im Gesetzentwurf. „So kann jede Hamburgerin und jeder Hamburger sehen, ob der Senat auf dem richtigen Weg ist und wie der Weg zur Klimaneutralität bis 2040 konkret gestaltet wird“, so Rittmann.

Klimaschutz: Sozialverträglichkeit von Maßnahmen soll festgeschrieben werden

Zweiter großer Punkt: Die Sozialverträglichkeit von Klimaschutzmaßnahmen soll verbindlich festgeschrieben werden. Schon jetzt muss der Senat bei jeder Klimaschutzmaßnahme anhand ganz konkreter Kriterien prüfen, ob sie sozial gerecht ist. Da geht es um die Belastungen einer Maßnahme für die Bürger, was an zusätzlichen Kosten auf die Einzelnen zukommt. „Stand jetzt kann der Senat aber sagen: Wir setzen die Maßnahme trotzdem um, auch wenn die Sozialverträglichkeitsprüfung negativ ausgefallen ist. Das finden wir falsch. Wenn die Prüfung anhand der Kriterien ergibt, dass eine Maßnahme nicht sozial gerecht ist oder einzelne Gruppen zu stark belastet, dann wollen wir, dass der Senat nachbessern muss, zum Beispiel durch einen Ausgleich oder eine finanzielle Unterstützung der Betroffenen – weil Klimaschutz eine Gemeinschaftsaufgabe ist.“

Unterstützung für die Volksinitiative erhält FFF von Umweltschutzorganisationen wie BUND und Nabu sowie von der Gewerkschaft Ver.di. „Wir unterstützen die Forderung nach konkreten Einsparplänen für die einzelnen Sektoren und die gesetzliche Verpflichtung zur Sozialverträglichkeit von Maßnahmen”, sagt Sandra Goldschmidt, Landesbezirksleiterin Ver.di Hamburg.

Volksentscheid: Die erste Hürde der Volksinitiative sind 10.000 Unterschriften

Ab Januar wird mit der Sammlung der Unterschriften begonnen, in Stadtteilgruppen organisiert. „Da möchten wir mit möglichst vielen Menschen in Kontakt kommen.“ Die erste Hürde ist vergleichsweise niedrig: Hier müssen 10.000 Unterschriften zusammenkommen. Ist die Volksinitiative zustande gekommen, wird mit den Fraktionen der Bürgerschaft verhandelt. „Wir sind sehr gespannt auf die politischen Reaktionen“, sagt Rittmann, die am Montag auch SPD und Grüne informierte. Man sei sehr offen für Gespräche, „wir haben in dem Gesetzesentwurf zum Volksentscheid aber sehr klar die Minimalforderung aufgeschrieben im Hinblick auf die CO₂-Reduktion, die Hamburg erreichen muss.“

Mehr zum Thema

Kommt keine Einigung zustande, hat die Initiative Ende 2024 im zweiten Schritt die Gelegenheit, binnen drei Wochen (plus Briefwahlfrist) insgesamt rund 67.000 Unterschriften zusammenzubekommen. Zur Bundestagswahl 2025, wenn ohnehin viele Menschen an die Urnen gehen, könnte der Volksentscheid stattfinden. So rechnet man sich eine hohe Beteiligung aus. „Wir sehen die Chance, dass Hamburg mit diesem Volksentscheid vorangehen und bundesweit zum Vorbild werden kann. Wir sind gespannt, ob, die Landesregierung die Vorteile dieses Volksentscheides sieht und werden möglichst viele Akteure einbinden.“

Fridays for Future: Hamburger Sprecherin Rittmann ist enttäuscht von Greta Thunberg

Für den internationalen Ableger von Fridays for Future gilt das allerdings nicht. Nach den umstrittenen pro-palästinensischen Äußerungen der FFF-Galionsfigur Greta Thunberg, die den Terror der Hamas nicht klar verurteilt hatte, „pausiert“ die Zusammenarbeit der deutschen und auch der Hamburger Fridays-for-Future-Gruppen mit der internationalen Bewegung. „Fridays for Future International spricht nicht für FFF Deutschland oder auch FFF Hamburg. Wir haben uns davon mehrfach distanziert und unsere Position sehr deutlich gemacht. Wir führen die internen Gespräche, die notwendig sind“, sagt Rittmann. „Wir haben Abstimmungsprozesse zunächst international ausgesetzt.“ Im Gespräch mit dem Abendblatt pustet Rittmann einmal kräftig durch. „Wir stehen vor der Herausforderung, dass die Klimakrise ein globales Problem ist, das wir nur global lösen können und dafür eine globale Bewegung brauchen.“

Ihren persönlichen Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leistet Rittmann direkt im Anschluss an das Gespräch in der Abendblatt-Redaktion. Mit dem Fahrrad radelt die Studentin aus der Innenstadt zurück in ihre WG-Wohnung in Eimsbüttel. Einen Führerschein habe sie gar nicht – und deswegen sei sie wahrscheinlich auch nicht die beste Ansprechpartnerin auf die Frage, ob die Hamburger Innenstadt bald autofrei sein soll. Eine klare Antwort gibt sie trotzdem: „Jein.“