Hamburg. Senat beschließt Änderung von Klimagesetz und Klimaplan. Auch neue Bauvorschriften gibt es. Was genau auf die Hamburger zukommt.
Jetzt macht Hamburg ernst beim Klimaschutz. Am Dienstag hat der Senat das neue Klimaschutzgesetz und den neuen Klimaplan für Hamburg beschlossen. Darin sind nicht nur die verschärften Klimaschutzziele festgeschrieben, es werden auch die konkreten Maßnahmen dargestellt, mit denen Hamburg nun bis 2030 bereits 70 Prozent CO2gegenüber dem Basisjahr 1990 einsparen und bis 2045 klimaneutral werden soll. Um diese durchzusetzen wird Hamburg auch seine Bauordnung und das Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung ändern. Um all diese Änderungen in einem Rutsch vorzunehmen, soll die Bürgerschaft ein „Klimaschutzstärkungsgesetz“ beschließen.
Die wichtigsten Neuerungen, die viele Hamburgerinnen und Hamburger betreffen dürften:
Klimaschutz: Pflicht wird deutlich vorgezogen und mit Gründächern kombiniert
Die Photovoltaikpflicht für Bestandsgebäude wird vorgezogen. Hier soll die Installation ab 2024 verpflichtend werden, wenn ein wesentlicher Umbau des Daches ansteht. Mindestens 30 Prozent der Dachfläche müssen dann für Photovoltaik genutzt werden. Reparaturmaßnahmen von sturm- oder unwetterbedingten Elementarschäden sollen die Pflicht jedoch nicht auslösen, so der Senat.
Von 2027 an gilt eine kombinierte Solargründachpflicht. „Ab 2027 werden Neubauten und Bestandsgebäude im Fall eines wesentlichen Umbaus des Daches zur Errichtung eines Solargründachs verpflichtet“, so der Senat. „Das Solargründach verbindet effektiv die Erzeugung erneuerbarer Energie mit Aspekten der Hitzevorsorge, Regenwasserbewirtschaftung und Luftreinhaltung.“ Der Anteil der Dachfläche, die dann für Photovoltaik (PV) und Grün genutzt werden muss, liegt bei 70 Prozent.
Die Nutzung von Dachflächen sowohl zur Erzeugung erneuerbarer Energien als auch für die Klimaanpassung und Förderung der biologischen Vielfalt ist ein multifunktionaler, schnell umsetzbarer und zeitnah wirksamer Beitrag zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung.“ Die Stadt fördert die kombinierte Errichtung von Solargründächern „mit zusätzlichen 3,5 Millionen Euro in der Hamburger Gründachförderung bis Ende 2026, um weitere Anreize für frühzeitiges Tätigwerden zu setzen“.
Gründächer: Das sind die Ausnahmen von der Pflicht
Für Dächer, die sich technisch nicht eignen, gibt es Ausnahmeregelungen. „Bis zu einer Dachneigung von zehn Grad greift die Solargründachpflicht“, so die Umweltbehörde. „Jede höhere Neigung fällt nicht unter die Gründachpflicht, aber sehr wohl unter die Photovoltaik-Pflicht. Das heißt: Sind es mehr als zehn Grad Neigung, ist man von der Solargründachpflicht befreit. Es greift aber weiterhin die PV-Pflicht. Ausnahmen zur PV-Pflicht gibt es bei einer wirtschaftlichen Nicht-Vertretbarkeit, bei einer technischen Unmöglichkeit oder bei unbilliger Härte.
Infrastrukturprojekte für den Ausbau der erneuerbaren Energien sollen beschleunigt werden. Der Ausbau der Netzinfrastruktur für Strom, Wärme und Elektromobilität und eines Wasserstoffnetzes soll bei städtischen Planungen und möglichen Konflikten Vorrang bekommen.
Parkplätze Hamburg: Künftig müssen sie mit Photovoltaik überdacht werden
Für neue Stellplatzanlagen wird eine Photovoltaikpflicht eingeführt. „Für den Fall der Neuerrichtung oder Erweiterung größerer Stellplatzanlagen für Fahrzeuge soll eine Pflicht zur Installation von Photovoltaik-Anlagen oberhalb der Stellplätze eingeführt werden, wenn mehr als 35 Stellplätze neu entstehen“, so die Umweltbehörde. „Dadurch können versiegelte Flächen zur Erzeugung erneuerbarer Energie nutzbar gemacht und Potenziale solcher Flächen ausgeschöpft werden. Zugleich wird in Kombination mit Anpflanzungen ein wirksamer Sonnenschutz ermöglicht.“
Mindestabstände für Wärmepumpen und Photovoltaikanlagen werden reduziert. Dafür wird die Bauordnung geändert. Ziel ist es laut Umweltbehörde, „Flächen möglichst ausschöpfend für die Erzeugung erneuerbarer Energien zu nutzen“.
Die Errichtung von Windkraftanlagen soll beschleunigt werden, indem das Widerspruchsverfahren in Verwaltungsverfahren abgeschafft wird. Dafür wird das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung geändert. Ziel ist es laut Umweltbehörde, „die Errichtung von Windenergieanlagen an Land zu vereinfachen und zu beschleunigen“.
Regelungen zum Heizungstausch wird es zusätzlich geben – allerdings richtet sich auch Hamburg dabei nach dem umkämpften bundesweit gültigen Gebäudeenergiegesetz (GEG), das der Bundestag nun im September beschließen soll. Danach müssen neue Heizungen von 2024 an mit mindestens zu 65 Prozent mit Erneuerbarer Energie betrieben werden.
Jens Kerstan: „Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif“
„Wir setzen auf den schnellen Ausbau der Photovoltaik (PV) auf Dächern und Fassaden, auf emissionsfreien öffentlichen Nahverkehr, steigen bei der Fernwärme vollständig aus der Kohle aus, setzen mit unseren öffentlichen Unternehmen konsequent auf die Dekarbonisierung, investieren in den Landstrom im Hafen – der klimafreundliche Umbau der Stadt nimmt weiter zügig an Fahrt auf“, sagte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) bei der Vorstellung der Pläne.
„Hamburg leistet damit als moderne Metropole und großer Industriestandort in Deutschland einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens und unterstützt die Ziele der Bundesregierung.“ Ein besonderes Augenmerk lege der Senat auch „auf den zügigen Aufbau einer umfangreichen Hamburger Wasserstoffwirtschaft inklusive Import über den Hafen“, so Kerstan. „Dabei ist mir wichtig, dass wir alle – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Bürgerinnen und Bürger – gemeinsam mit aller Kraft am gleichen Strang ziehen. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif, aber wir werden auf eine gerechte und sozial ausgewogene Verteilung der Lasten achten und die Chancen auch für unsere Wirtschaft nutzen“, sagte der Grünenpolitiker. Dabei sei es ganz zentral, dass die Bundesregierung ambitionierte Rahmenbedingungen setze.
Klimaschutz: Es wird genau festgelegt, welche Bereiche wie viel CO2 einsparen müssen
„Mit der vorgelegten Novellierung des Klimaschutzgesetzes setzen wir den rechtlichen Rahmen, sie ist ausgewogen und technologieoffen“, so Kerstan. „Nachdem wir als erstes Bundesland die Solardachpflicht festgeschrieben haben sowie den Kohleausstieg, schreiben wir nun erneut ein Stück Rechtsgeschichte mit der bundesweit erstmaligen Einführung einer kombinierten Solargründachpflicht.“
Im Klimaplan sind die Ziele und Maßnahmen der einzelnen Sektoren festgelegt. Danach müssen die privaten Haushalte ihren CO2-Ausstoß bis 2030 um weitere 1,8 Millionen Tonnen senken. Im Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen muss er um weitere 1,9 Millionen Tonnen sinken, in der Industrie um 2,4 Millionen Tonnen und im Verkehr um eine Million Tonnen (jeweils ausgehend vom Basisjahr 2021). Weitere 600.000 Tonnen CO2-Einsparung sollen laut dieser Planung bis 2030 als Gemeinschaftsleistung erbracht werden.
Verkehr Hamburg: 80 Prozent alle Wege sollen klimafreundlich zurückgelegt werden
Noch zentraler als das Erreichen der eigenen Ziele ist auch für Hamburg der Umbau der Energieversorgung auf Bundesebene. „Das 80-Prozent-Ausbauziel für erneuerbare Energien ist elementar für das Erreichen der Hamburger Klimaschutzziele“, schreibt die Umweltbehörde. „Die größten in Hamburger Zuständigkeit liegenden Stellschrauben sind eine möglichst vollständige Dekarbonisierung der Fernwärme, die energetische Sanierung von Gebäuden und ein hoher Anteil des Umweltverbundes, also des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), des Rad- und Fußverkehrs.
Mithin: Der Autoverkehr (zumindest der mit Verbrennern betriebenen Pkw) muss deutlich zugunsten der klimafreundlichen Mobilität reduziert werden. Die wichtigsten Kennzahlen des fortgeschriebenen Klimaplans für das Jahr 2030 sind laut Umweltbehörde: Hamburg steigert die Sanierungsrate bei den Gebäuden um 50 Prozent, so dass künftig in jedem Jahr 1,5 Prozent der bestehenden Gebäude in Hamburg saniert werden sollen, bisher sollten es rund ein Prozent sein. Zudem soll „der Umweltverbund soll 80 Prozent der Verkehrswege in Hamburg übernehmen, und der Kohleausstieg in der Fernwärme kommt zu 100 Prozent“.
Klimaschutz: Diese Maßnahmen sollen am meisten CO2 einsparen
Zu den vier Maßnahmen, die am meisten CO2 bis 2030 einsparen, gehört laut Umweltbehörde weiterhin die Dekarbonisierung der städtischen Fernwärme – also der Verzicht auf Kohleverfeuerung zur Wärmegewinnung. Ebenso wichtig sind die energetische Sanierung von Gebäuden, die Stärkung des Umweltverbunds (HVV, Rad, Zufußgehen) und der Ausbau der Elektromobilität. „Deutlich konkreter als noch im Klimaplan vor vier Jahren sind die Ansatzpunkte für eine Hamburger Wasserstoffwirtschaft dargestellt“, so die Umweltbehörde.
Mit dem Projekt Wärmeversorgungsplan schaffe Hamburg „schon jetzt grundlegende Voraussetzungen, um die von der Bundesebene zukünftig vorgeschriebene kommunale Wärmeplanung zügig umzusetzen, beispielsweise Eignungsgebiete für eine leitungsgebundene Wärmeversorgung aufzuzeigen“, so die Behörde von Umweltsenator Jens Kerstan. „Dies schafft Klarheit und Planungssicherheit für Hausbesitzer, Unternehmen und Investoren.“ Der damit verbundene Wärmenetzausbau sei eine wesentliche Maßnahme, um Hamburgs Klimaschutzziele im Gebäudebereich zu erreichen.
Demokratie und Klimaschutz: Bürger sollen überzeugt und mitgenommen werden
Stolz ist man im Senat auch auf die geplante Errichtung von „Europas größter Flusswasserwärmepumpe für den Energiepark Tiefstack“ und der „Nutzung von Industrie- und Gewerbegebieten, insbesondere im Hafen, für Windenergieanlagen“. Damit setze Hamburg „bundesweit beachtete Maßstäbe“.
Der Senat wolle „möglichst viele Menschen in der Stadt erreichen und bei der klimafreundlichen Umgestaltung der Stadt mitnehmen“, so die Umweltbehörde. Auch das Ziel einer bis 2030 CO2- neutralen Verwaltung werde weiterverfolgt. „Zusammen mit den Bezirken setzt der Senat auf eine klimagerechte Stadtwicklung schon bei den Quartiers- und Fachplanungen“, so die Behörde. Flankiert würden die Maßnahmen des Klimaplans durch eine Reihe von Förderprogrammen, etwa für leitungsgebundene Wärme, für erneuerbare Wärme und für mehr Energieeffizienz.
Klimaschutz: HVV-Milliarden für den Ausbau sollen Klima schützen
Natürlich kostet Klimaschutz auch Geld. Hamburg werde „gemeinsam mit privaten und öffentlichen Partnern in den nächsten Jahren hohe Summen in den Klimaschutz und in den Ausbau des klimafreundlichen ÖPNV investieren“, so der Senat. „Dazu gehören etwa zwei Milliarden Euro private und öffentliche Mittel für die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft, rund 1,5 Milliarden Euro für den Ausbau des ÖPNV und 1,9 Milliarden Euro für den Kohleausstieg sowie den Umbau der Wärmeversorgung.“ Außerdem würden bis 2026 die Fördermittel für die Modernisierungsförderung von privaten Wohngebäuden um zusätzliche 210 Millionen Euro aufgestockt.
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Bei alldem gibt man sich im Senat optimistisch, dass die Anstrengungen nicht nur eine Belastung, sondern auch eine große Chance für Hamburg sind. „Klimaschutz, Energiewende und grüne Technologie bieten große Chancen für die Wirtschaftsmetropole Hamburg“, so das Fazit der Umweltbehörde. „Die konkrete Wärmewende und die nötige Modernisierung von Gebäuden, Kraftwerken und Industrie kann zum Jobmotor und Innovationstreiber für Hamburg werden.“
Jens Kerstan: Umweltsenator erntet viel Kritik und etwas Lob
Die Umweltverbände kritisierten das neue Klimaschutzgesetz und den neuen Klimaplan als nicht ambitioniert genug. Es gebe eine „gewaltige Kluft zwischen den ehrgeizigen Klimazielen des Hamburger Senats und der tatsächlichen Anstrengung, diese auch zu erreichen“, sagte Sabine Sommer, die Vorsitzende des Naturschutzverbandes BUND. Nabu-Chef Malte Siegert sagte: „Ehrgeizige Ziele sind gut, aber die geplanten Maßnahmen sind in Teilen eine Wette auf die Zukunft und scheinen in der Summe kaum geeignet, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.“
Für die Hamburger Sprecherin von Fridays for Future, Annika Rittmann, sind die neuen Ziele „zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber ohne Zwischenziele und einen konkreten Fahrplan bestenfalls lückenhaft“. Für die Klimaschutzorganisation GermanZero sind die Ziele nicht ehrgeizig genug.
Miete Hamburg: Müssen am Ende die Mieter den Klimaschutz bezahlen?
Die Grüne Jugend wies darauf hin, dass bisher nicht abschließend gerichtlich geklärt sei, ob möglicherweise Mieterinnen und Mieter die Kosten für PV- und Gründächer mittragen müssten – durch Umlagen auf die Mieten. Der Verband der norddeutschen Wohnungsunternehmen (VNW) warnte ebenfalls vor steigenden Mieten durch die neuen Vorgaben. „Deshalb sehe ich das Vorziehen der Photovoltaikpflicht im Bestand bei Erneuerung eines wesentlichen Teils des Dachs um ein Jahr auf Anfang 2024 kritisch“, sagte VNW-Chef Andreas Breitner. „Auch die Gründachpflicht, die von 2027 an gelten soll, und die Pflicht zur Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Stellplatzanlagen werden den Bau von Wohnungen verteuern und damit für einen weiteren Anstieg der Mieten sorgen.“
Die CDU-Abgeordneten Stephan Gamm und Sandro Kappe warfen Kerstan vor, “das geschwurbelt vorgetragene neue Klimagesetz für Hamburg“ sei „alter Wein in neuen Schläuchen“. Obwohl der „minimale Effekt des PV-Ausbaus für die CO2-Bilanz mittlerweile klar“ sei, werde hierauf ein Schwerpunkt gelegt. „Wie die Erhöhung der energetischen Sanierungsquote von einem auf 1,5 Prozent erreicht werden soll, bleibt ebenso unklar, wie vielen andere Fragen der Menschen in unserer Stadt.“ Die Linke bezeichnete Kerstans neues Gesetz als „Mogelpackung des Jahres“.
Klimaschutz: Jetzt hat die Hamburgische Bürgerschaft das Wort
Eherzurückhaltendes Lob gab es von den Koalitionsparteien SPD und Grüne. „Mit dem Senatsbeschluss ist der Weg zu einem konkreten und sozial verantwortungsvollen Klimaschutz in Hamburg noch nicht zu Ende“, betonte allerdings SPD-Klimapolitiker Alexander Mohrenberg. Grünen-Klimapolitikerin Rosa Domm betonte: „Die Klimakrise macht weitere Maßnahmen erforderlich.“
In den kommenden Wochen und Monaten wird sich nun die Bürgerschaft mit dem „Klimaschutzstärkungsgesetz“ befassen – dazu soll es auch weitere Expertenanhörungen geben. Ziel ist es, zumindest wenn es nach Senator Kerstan geht, das Gesetz dann noch in diesem Jahr zu beschließen.