Hamburg. Zahl der Kinder, die in Hamburg von Tagesmüttern betreut werden, sinkt. Dabei bietet das Modell Vorteile. Ein Besuch.
Im Winterhuder Möwennest duftet es an diesem Montagmorgen Ende Oktober nach frisch gekochtem Gemüse – Zucchini, Paprika und Tomaten. Julia Leuther und ihre Kolleginnen Corinna Fehrmann und Kim Milke haben bereits alles fürs Mittagessen vorbereitet. So wie jeden Tag. Nur noch die Vollkornnudeln müssen aufgesetzt werden.
In der Großtagespflegestelle, so wie die Stadt Hamburg den Zusammenschluss der drei Tagesmütter nennt, krabbeln derweil sieben Kinder mit Rutschesocken im Alter zwischen einem und drei Jahren auf hellgrauem Teppichboden herum.
Wüsste man es nicht besser, kann man kaum glauben, dass sich hier im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses gerade mehrere Kleinkinder in einem Raum befinden und miteinander spielen. So leise ist es bei den „Möwen“, wie Leuther ihre Einrichtung nennt. Auch beim Mittagessen sitzen alle Kinder mit einem Lätzchen um den Hals gebunden artig auf ihrem Stuhl. „Ehrlich gesagt, ist es hier immer so ruhig“, sagt Fehrmann, die gelassen darauf reagiert, als ein Kind seine Hand in ein Schälchen mit Tomatensauce steckt.
Tagesmutter oder Kita? Über die Vorteile der „flexiblen Alternative“ zur Kita
Vielleicht ist es die Tatsache, dass sich Fehrmann und ihre Kolleginnen Zeit nehmen, jedem Kind nach dem Essen liebevoll die Hände abzuwaschen und die Kinder zwischendurch auch mal auf den Schoß zu nehmen. Vielleicht ist es aber auch die Tatsache, dass Leuther, Fehrmann und Milke keinen großen Betrieb leiten, sondern sich als Selbstständige zusammengefunden haben und dabei eine gewisse Ruhe ausstrahlen.
„Persönlich“ und „familiär“, so beschreiben die drei Tagesmütter die Atmosphäre in ihrer kleinen Einrichtung. Ebenso wie das Verhältnis zu den Eltern, mit denen sie Gespräche und Telefonate gerne auch mal während ihres Feierabends um 20 oder 21 Uhr führen – dann, wenn die Eltern von ihrer Arbeit heimgekommen sind und ihre Kleinen ins Bett gebracht haben.
Doch das macht den drei Tagesmüttern nichts, wie sie sagen. Hier in ihrem Möwennest zähle das Miteinander, das Vertrauen zueinander, womit Leuther gleich das hervorhebt, was die Stadt auch als deutlichen Vorteil gegenüber Kindertagesstätten bezeichnet. Alternativ zu Kindertagesstätten und Krippen, können Hamburger ihre Kinder nämlich in die Hände einer geprüften Tagesmutter oder eines Tagesvaters und damit in eine der Stadt zufolge „familiennahe Betreuungsform“ geben. Tagesmütter und -väter, so die Behörde, seien im Gegensatz zu Kitas häufig in der Lage, eine größere zeitliche Flexibilität anzubieten. Mit einem Faltblatt wirbt die Stadt sogar für „die flexible Alternative“, die der Betreuung in Kitas gesetzlich gleichgestellt ist.
Doch nichtsdestotrotz scheint diese Art der Kindertagesbetreuung unter Hamburger Eltern immer unbeliebter zu werden. Zumindest deuten das die Zahlen an: Waren es 2015 noch 3762 Kinder, die von Tagesmüttern und -vätern betreut wurden, so sind es in diesem Jahr mit 2585 Kindern knapp ein Drittel weniger. Zum Vergleich: Allein 2022 waren es knapp 86.000 Kinder, die in Hamburg in einer Kita betreut wurden. Allerdings sinkt zeitgleich auch die Zahl der Tagesmütter: Waren es 2015 noch 1051, sind es 2023 nur noch 631.
Und diesen Trend nehmen auch Leuther und ihre beiden Kolleginnen wahr: „Früher haben uns auf jeden Fall mehr Anfragen für einen Betreuungsplatz erreicht. Springt jetzt mal eine Familie ab, weil sie umzieht, ist es schwieriger, spontan einen Platz mit einem Kind neu zu besetzen“, sagt Leuther. Dabei ist eine feste Anzahl von Kindern – im Möwennest sind es insgesamt 12 – für die Tagesmütter von existenzieller Bedeutung, da Leuther und ihre Kolleginnen sich wie die Kitas über ein Gutscheinsystem der Stadt finanzieren und pro Kind ein festgelegtes Entgelt erhalten.
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Aktuell reiche es zwar noch, doch weil die 40-Jährige auf alles gefasst sein will, was kommt, macht sie noch eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin. „Wer weiß, wie die Zukunft verläuft und wie sich das Betreuungssystem künftig in Hamburg entwickeln wird. Da will ich auf alles vorbereitet sein“, sagt Leuther, die ihre Einrichtung zusammen mit Fehrmann vor elf Jahren gegründet hat und befürchtet, dass ihre Art der Betreuung wegen der sinkenden Nachfrage irgendwann womöglich nicht mehr von der Stadt finanziert werde.
Dass der Trend zur Tagesmutter abnimmt, erklären sich die drei unter anderem dadurch, dass die Anzahl der Kitas mit Krippenplätzen steige. Zudem glaubt Leuther, dass viele Eltern „schlichtweg nichts von unserem Angebot wissen oder den Unterschied zu einer Kita nicht kennen“. Das sei schade, denn, obwohl die drei Tagesmütter laut Betreuungsschlüssel offiziell 15 Kinder betreuen könnten – fünf pro Tagesmutter – haben sich die drei dazu entschieden, es bei vier Kindern pro Person zu belassen. „So können wir auch wirklich auf jedes Kind eingehen“, sagt Leuther.
Tagesmutter Hamburg: Sozialpädagogen helfen bei Vermittlung
Doch nicht nur Krippenkinder (1–3 Jahre) haben in Hamburg potenziellen Anspruch auf eine Betreuung durch eine Tagesmutter. Auch über das Einschulungsalter hinaus, bis zum 14. Lebensjahr von der Geburt an kann eine Betreuung durch eine Tagesmutter oder einen Tagesvater in Anspruch genommen werden. Über die Tagespflegebörsen der Bezirksämter können sich interessierte Eltern an Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen wenden und während der Vermittlung und des gesamten Betreuungsverhältnisses Ansprechpartner finden.
Ein Nachteil, den viele Eltern womöglich sehen, so vermutet Leuther, sei der potenzielle Krankheitsfall der Tagesmütter oder -väter und damit die Angst vor fehlender Betreuung. Fällt eine Tagesmutter nämlich aus, so müssten sich die Erzieherin und ihre Kolleginnen für Ersatz an die Behörde wenden. Weil Leuther, Fehrmann und Milke jedoch vermeiden wollen, dass dieser Fall eintritt und sich eine fremde Person um ihre Kleinen kümmert, haben die drei auch hierfür eine Lösung und mit ihrer „Franziska“ eine weitere Tagesmutter, die bei Krankheit einspringt.
Pünktlich um 12 Uhr nach dem Mittagessen ist im Möwennest Schlafenszeit. Wie selbstverständlich begeben sich an diesem Montagmittag alle Kinder in Richtung Schlafraum und kuscheln sich in ihre persönliche Decke auf der eigenen Matratze. Bis auf ein kleiner Junge. Dieser robbt sich mit seinem Schlafsack von seinem Bett und hat offenbar keine Lust auf Mittagsschlaf. Fehrmann setzt ihn geduldig zurück und lacht. „Wie in einer echten Familie eben.“