Hamburg. Auch im pädagogischen Bereich ist Leiharbeit verbreitet. Neben gewissen Freiheiten gibt es eine Sache, die besonders reizt.
Ambitionslos, faul und ansonsten arbeitslos: Die Vorurteile, die Ben Strewe wegen seiner Arbeit tagtäglich erfährt, sind vielfältig. Vor allem aber sind sie negativ. Dabei geht es jedoch nicht um das Was und um Strewes Job an sich. Vielmehr geht es um das Wie. Der 26 Jahre alte sozialpädagogische Assistent, kurz SPA, ist nämlich seit mittlerweile acht Jahren als Zeitarbeiter in Kitas tätig – und das ganz bewusst.
Ebenso geht es Jegeneh Adami. Auch sie – 39 Jahre alt, schwarze Locken und markante Brille – arbeitet seit vielen Jahren als SPA in Leiharbeit in Schulen und kennt das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Mehrmals habe die 39-Jährige bereits einen unbefristeten Arbeitsvertrag abgelehnt. Sich monatlich, manchmal auch tageweise in eine neue Kita oder Schule zu begeben, fortlaufend neue Kinder kennenzulernen und sich Monat für Monat neues Vertrauen erarbeiten zu müssen, ist für die beiden kein Stress. Im Gegenteil: „Das ist eigentlich das Beste, was mir hätte passieren können“, sagt Strewe, der seine Haare zu einem Dutt zusammengebunden und eine silberne Kette um den Hals trägt.
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Doch warum genau? Warum setzt sich jemand dieser – mental teilweise belastenden und pädagogisch nicht immer einfachen – Situation aus und arbeitet nicht fest in einer „Einrichtung“, wie Strewe und Adami die Kitas und Schulen nennen, für die sie arbeiten?
Fragt man die beiden SPAs nach ihrer Motivation für die Leiharbeit, so kommt ihnen ein Wort wie aus der Pistole geschossen über die Lippen: Wertschätzung. „Hier bei der Zeitarbeitsfirma geht man verantwortungsvoll mit uns um. Hier kann ich beispielsweise sagen, in welchem Bereich ich gerne arbeiten würde, also ob Krippe, Kita oder Schule und auch wo und wie viele Stunden“, sagt Adami, die 2002 ihre Ausbildung zur SPA abgeschlossen hat und seitdem als Leiharbeiterin in Schulen geht. Hier betreut sie Kinder bei ihren Hausaufgaben am Nachmittag und kümmert sich um alles, was nicht die direkte Lehrtätigkeit umfasst.
Zeitarbeit in Hamburger Kitas bringt mehr Zeit für individuelle Bedürfnisse
Diese Wertschätzung, sagt Adami, sei bei vielen Trägern nicht zu spüren. Dem stimmt auch Strewe zu: „Vielerorts ist die Personallage so dramatisch, dass Leitungen kaum mehr Rücksicht auf den Gesundheitszustand ihrer Mitarbeiter nehmen. Man arbeitet die Grundbedürfnisse der Kinder einfach nur noch ab. Wickelt also nur noch und gibt ihnen Essen.“ So sei es beispielsweise bei seiner ersten Festanstellung gewesen, die der 26-Jährige nach seiner Ausbildung angenommen und wo er übermäßig viele Überstunden geleistet habe. „Man kann so gut wie gar nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingehen. Das konnte ich mit meinen Werten irgendwann nicht mehr vereinbaren und habe mich deshalb dazu entschieden, in die Leiharbeit zu gehen.“
Als Leiharbeiter, so erklärt es der SPA, behandelten ihn die Einrichtungen merklich wertschätzender. „Die Leitungen der Einrichtungen und Erzieher sind meistens einfach nur dankbar, dass man da ist und sie mit der Betreuung der Kinder unterstützt. Außerdem ist man vom Administrativem befreit, wie Entwicklungsberichte schreiben oder Elterngespräche führen“, sagt Strewe. So könne der Hamburger sich während seiner Arbeitszeit voll und ganz auf die Kinder konzentrieren. Außerdem müsse man keine Überstunden machen und wenn doch, so könne sich der SPA entscheiden, ob er sich diese über die Zeitarbeitsfirma auszahlen lasse oder durch freie Zeit ausgleiche.
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Das ist es, was auch Adami an der Leiharbeit so schätzt. Sie war bereits mehrere Male in Festanstellung, hat sich dann jedoch bewusst erneut für die Leiharbeit entschieden. Beim letzten Mal, als Adami ein Festvertrag angeboten worden sei, ging es etwa um die Anzahl der Stunden: „Als die Schule, bei der ich stundenweise gearbeitet habe, gefragt hat, ob ich fest dort arbeiten will, wollte ich das unbedingt. Als die Schulleitung mir aber einen Vertrag über 20 anstatt 22 Stunden angeboten hat, habe ich abgelehnt, weil das Gehalt für 20 Stunden nicht ausreichte, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren.“
Und das klingt erst einmal paradox, wenn man bedenkt, dass Leiharbeiter wegen der Vermittlungspauschale an die Zeitarbeitsfirma im Schnitt viel teurer für Kitas und Schulen sind als Festangestellte. Ein Aspekt, der vielen kleineren Trägern, wie berichtet, zu schaffen macht.
Leiharbeit in Hamburger Kitas: Mehr Geld für weniger Stress
„Viele Einrichtungen bezahlen die Leiharbeiter aus Rücklagen, die sie über die Jahre erwirtschaftet haben“, erklärt Katja Westphal, Geschäftsführerin der Zeitarbeitsfirma Westermann. Westphal, selbst Erzieherin und ehemalige Kitaleitung, beschäftigt aktuell 60 Leiharbeiter aus dem pädagogischen Bereich mit einer unbefristeten Festanstellung. Meldet eine Einrichtung Bedarf, sucht die Pädagogin nach einer geeigneten Fachkraft in ihrem Pool aus Pädagogen.
„Mir ist wichtig, dass der Mensch, den wir entsenden, auch zur jeweiligen Einrichtung passt und die Art der Arbeit zur Qualifikation der Fachkraft passt. Ich möchte, dass unsere Angestellten gesund bleiben und auf sich Acht geben“, sagt Westphal. Dadurch, dass ihre Zeitarbeiter fortlaufend unterschiedliche Einrichtungen besuchten, sei die Gefahr der Überarbeitung zudem ihrem Eindruck nach auch nicht so hoch. „Unsere pädagogischen Fachkräfte können sich womöglich etwas besser von den Einrichtungen abgrenzen, sich nicht persönlich verantwortlich fühlen bei einem großen Krankenstand und das Ganze etwas nüchterner betrachten als jemand, der etwa seit 20 Jahren in einer bestimmten Einrichtung arbeitet.“
Bei großer Einsatzbereitschaft in der Kita gibt es Zulagen
Je nachdem, wie viel Einsatzbereitschaft jemand zeige, etwa ob er oder sie weite Wege auf sich nimmt oder zuverlässig ist, zahle die Geschäftsführerin auch Zulagen auf das Tarifgehalt ihrer Leiharbeiter – ebenfalls ein Faktor, der Strewe und Adami zusagt. Mehr Geld für weniger Stress und mehr Individualität.
„Besser geht es kaum“, sagt Strewe. Außerdem, so der SPA, könne man durch Leiharbeit in verschiedenen Einrichtungen auch herausfinden, was für ein „pädagogischer Typ“ man überhaupt sei und welche Art von Pädagogik man anwenden wolle. „Ich rate deshalb allen Berufsanfängern, erst einmal in die Leiharbeit zu gehen“, sagt Strewe.
Hamburger Leiharbeiter sieht pädagogische Arbeit kritisch
Komme es dazu, wie bei Adami nun mehrfach zu dem Fall, dass Träger und Leiharbeitskraft so gut zusammenarbeiten, dass der Träger den Leiharbeiter dauerhaft beschäftigen will, kann dies durch eine Ablösesumme an Westphal und ihre Kollegen erfolgen. Dadurch und die Vermittlungspauschalen, die Westphal von den Trägern erhält, finanziert sich die Zeitarbeitsfirma Westermann etwa seit nun 21 Jahren.
Doch trotz aller Vorteile: Strewe sieht das Thema Leiharbeit im pädagogischen Bereich auch kritisch und kann Bedenken nachvollziehen. „Kinder brauchen Bezugspersonen und Kontinuität in Beziehungen. Monatlich wechselnde Erzieher sind da natürlich nicht optimal.“ Da sich der SPA inzwischen jedoch einen festen Pool an Kitas aufgebaut habe, in denen er immer wieder aushilft, herrsche in vielen Kitas bereits ein Vertrauensverhältnis zwischen Strewe und den Kindern. „Auch für mich als Betreuer ist das nicht unbedingt einfach, weil auch ich ein Mensch bin, der eine gewisse Kontinuität braucht.“ Für den Moment aber, so der Pädagoge, sei es genau das Richtige.