Hamburg. Lehrer bekommen Hinweise zum Umgang mit Kindern, die wegen Herkunft betroffen sind. In welchen Fällen Verweise drohen.
Die Bilder von der Verschleppung israelischer Geiseln, von Raketeneinschlägen, von fliehenden jungen Menschen nach den terroristischen Angriffen auf ein Musikfestival, die täglichen Meldungen über Tote in Israel und dem Gazastreifen: Die Nachrichten aus dem Nahen Osten sind schon erschreckend und verstörend, für Erwachsene, für Kinder und Jugendliche aber noch umso mehr. Wie spricht man das Thema am besten mit ihnen an? Was müssen sie wissen, um den Konflikt zu verstehen? Und vor allem: Wie kann verhindert werden, dass dieser Konflikt stellvertretend gewissermaßen auf dem Schulhof ausgetragen wird, weil Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Herkunft aufeinandertreffen?
Antworten auf diese Fragen bietet das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) in Hamburg. Es hat aus aktuellem Anlass einen Newsletter mit pädagogischen Hinweisen für den Umgang mit dem Thema Gewalteskalation in Israel in Schule und Unterricht an Hamburgs Lehrkräfte verschickt, das diesen nach den Ferien Hilfestellungen bieten soll.
Hamburgs Schulen: „Dämonisierung der israelischen Politik verhindern“
„Die aktuelle kriegerische Gewalteskalation beschäftigt uns und macht alle, selbstverständlich auch unsere Schülerinnen und Schüler, betroffen und unsicher“, heißt es in dem Newsletter des Landesinstituts. Die Ereignisse im Nahostkonflikt, ohnehin ein herausforderndes Thema, seien sicher Teil der Gespräche in der Schulgemeinschaft. „Einmal mehr gilt es jetzt, im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern zu sein. Denn dieser Konflikt bringt es mit sich, dass unterschiedliche Formen der Betroffenheit und der emotionalen Involviertheit zum Tragen kommen.“ Will heißen: Muslimische Kinder könnten mit jüdischen Kindern oder anderen persönlich aneinandergeraten.
Die Lehrer und Lehrerinnen sollten bedenken: „Kritik an der (aktuellen) Politik eines demokratischen Landes ist legitim, auch in Zeiten schwerster Krisen. Das gilt auch für die kritische Auseinandersetzung mit der politischen Lage in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten und auch dann, wenn Äußerungen antizionistisch sind. Aber: Das Existenzrecht des Staates Israel ist nicht infrage zu stellen! Greifen Sie klar ein, wenn es zu Dämonisierungen der israelischen Politik kommt.“
Antisemitische Vorfälle an Hamburger Schulen unbedingt ernst nehmen
Eine Differenzierung sei bei dem Thema nicht leicht, heißt es in der Handreichung des LI – es bestehe die Gefahr, Pauschalurteile zu fällen. „Vielleicht fragen Ihre Schülerinnen und Schüler Sie direkt nach der Lage in Israel, vielleicht finden subtile oder offene Solidaritätsbekundungen statt, vielleicht gibt es auch an Ihrer Schule oder im privaten Umfeld der Schülerinnen und Schüler Vorfälle oder Konflikte“, heißt es vom LI. „Unser Rat: Sprechen Sie das Thema auf jeden Fall an und nicht erst, wenn es Vorfälle gibt. Bieten Sie Zeit und Raum für Fragen und für das gemeinsame Nachdenken.“
Die Schülerinnen und Schüler müssten aus ihrer jeweiligen Perspektive verstanden werden. Das bedeute jedoch nicht, Denkweisen oder sogar Taten zu rechtfertigen. „Es gilt jetzt, sowohl Raum für Gespräche anzubieten, um den Jugendlichen beim Verstehen zu helfen, als auch bei Grenzüberschreitungen einzuschreiten. Antisemitische Vorfälle müssen unbedingt ernst genommen und konsequent bearbeitet werden.“
Antisemitismus an Hamburger Schulen: Maßnahmen bis hin zu Verweis drohen
Jüdische Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte müssten vor Antisemitismus in jeder Form geschützt werden. „Wenn Äußerungen auf dem Schulhof, im Klassenzimmer oder gegenüber Betroffenen fallen, die die Menschenwürde verletzen oder menschenrechtsfeindlich sind, gilt es, die bekannten pädagogischen und rechtlichen Maßnahmen anzuwenden (Klassenkonferenz, Elterngespräche, Schulverweis, etc.).“ Das LI unterstütze die Lehrkräfte gern bei der Abwägung, welche Maßnahmen passend sind.
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Gerade in Krisen- und Kriegszeiten sei Informationspolitik oftmals von Interessen geleitet. „Zudem beziehen viele Jugendliche ihre Informationen aus Plattformen wie TikTok, YouTube und Instagram.“ Die Kommentarspalten seien voll widerstreitender Informationen, Provokationen und schnellen Urteilen. „Besprechen Sie den Zweck von gewaltvollen Darstellungen, den die Verfasser solcher Videos verfolgen“, so der Appell an die Lehrkräfte. „Hierbei gilt es auch, nicht den Terror oder die gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu verharmlosen.“
Herkunft und Migrationsgeschichte kann an Hamburger Schulen zu Druck führen
Besonders machen die Pädagogen vom LI auf Schülerinnen und Schüler aufmerksam, die aufgrund ihrer familiären Herkunft und Migrationsgeschichte „besonders emotional am Thema sind, und das schließt alle Positionen ein“. Es gelte „zu verhindern, dass Jüdinnen und Juden beziehungsweise Muslima und Muslime stellvertretend für politische Entscheidungen verantwortlich gemacht werden“.
Die Lehrkräfte sollten Jugendlichen vor allem dann helfen, wenn sie den Eindruck haben, diese müssten sich aufgrund von Peer-Druck oder familiärem Zusammenhalt für „eine Seite“ entscheiden. „Fordern Sie bitte auch selbst niemanden aufgrund seiner (vermeintlichen) Zugehörigkeit auf, sich zu positionieren. Gleichzeitig gilt: Wer sich für eine friedliche Lösung für ALLE einsetzt, darf sich auch mit einer einzelnen Konfliktpartei solidarisch(er) zeigen! Nutzen Sie hier auch Einzelgespräche nach der Stunde, in denen Sie die pädagogische Beziehung suchen, nehmen Sie dadurch auch den Peer-Druck und seien Sie gleichzeitig Vorbild mit ernst gemeintem Interesse.“
An Hamburgs Schulen keine Verherrlichung von Gewalt dulden
Lehrer sollten berücksichtigen, dass Jugendliche sich manchmal impulsiv und nicht immer differenziert äußerten. Das müsse man ein Stück weit aushalten, anstatt zu belehren. Aber: „Sie als Lehrkraft repräsentieren unser menschenrechtsbasierte Grundgesetz und stehen für diese Werte ein. Fehlende Empathie mit den Opfern der Gewalt, Verherrlichung des Terrors oder Gefühllosigkeit gegenüber den Zurschaustellungen von Opfern in sozialen Medien stehen im krassen Gegensatz zu diesen Werten. Weisen Sie darauf hin. Stehen Sie für diese Werte ein“, so das LI. „Achten Sie aber auch darauf, dass Ohnmachtsgefühle oder die Wahrnehmung, bestimmte Opfergruppen seien in der Vergangenheit weniger wichtig genommen worden, ihren Platz im Klassenraum haben.“