Hamburg. Prominenter Haifa-Förderkreis trotzt dem Terror. Meeresforscherin Prof. Ilana Berman-Frank spricht über Israel im Kriegszustand.
Manfred Lahnstein hatte das schnell hochgerechnet: Wenn in Israel 300.000 Reservisten eingezogen werden, hieße das auf Deutschland übertragen, dass etwa vier Millionen Menschen zur Bundeswehr gingen, während ihre Jobs ruhen. Und, so sagte der frühere Bundesfinanz- und Wirtschaftsminister in deutlichen Worten, es sei nicht klar, wie lange diese Menschen in ihren Aufgaben fehlten. Der Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige, wenn nicht einiger öffentlicher Sektoren wäre programmiert.
Das ist die Lage in Israel, das vom im Wortsinne buchstäblich übergriffigen Terror der Hamas auf sein Staatsgebiet so tief getroffen ist wie die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 von den Anschlägen der al-Qaida.
Angriff auf Israel: Hamburger Förderkreis der Uni Haifa in großer Sorge
Von all dem ist auch die Universität Haifa betroffen, die in Hamburg seit gut 50 Jahren einen prominenten Förderkreis hat. Lahnstein, der im Jahr der Terroranschläge in New York und Washington als erster Deutscher und Nicht-Jude zum Chairman des Uni-Aufsichtsrates gewählt wurde, lauschte am Dienstag im Hamburger Hafen-Klub beim Haifa-Lunch einer Wissenschaftlerin, die über das erste absehbare Ausmaß des Krieges um Israel sprach.
Prof. Ilana Berman-Frank betreibt von Haifa aus internationale Meeresforschung. Sie arbeitet mit dem Geomar in Kiel zusammen, mit einem Institut in den Emiraten, mit Menschen, die zu Studium und Wissenschaft an die Multikulti-Hochschule im Norden Israels kommen.
Jeder kennt mindestens ein Opfer. Einer ihrer Mitarbeiter ist vermisst. Selbst fast 60 Jahre alte Kollegen werden jetzt eingezogen. Der Uni-Betrieb ruht weitgehend. Examen wurden ausgesetzt, größere Menschenansammlungen sollen vermieden werden. Beide Bunkerschutzräume auf dem Campus sind für alle da. Obwohl es auch Beschuss aus dem Norden gibt, ist die Situation im Süden Israels noch brenzliger. Für Binnenflüchtlinge von dort wurden die Studentenwohnheime geöffnet.
Prof. Ilana Berman-Frank: heikle Lage an Israels Küsten
Ilana Berman-Franks Vorfahren flohen vor dem Holocaust der Nazis. Sie selbst erinnert sich an die 1970er-Jahre, an den Jom-Kippur-Krieg, als Kinder wochenlang in Bunkern unterrichtet wurden. Als Meeresforscherin weiß sie, wie heikel die Lage an der kurzen Küste des Landes ist. Israel beziehe sein Trinkwasser zu einem hohen Anteil aus dem Meer und durch Entsalzungsanlagen, sagt sie. Ihre länderübergreifende Arbeit stockt. „Wenn das Kämpfen vorbei ist, geht es weiter“, sagt sie und ahnt: Niemand kann sagen, wann und wie.
Zurzeit fliegen parallel zu den Raketen etliche Cyberangriffe auf israelische Einrichtungen los. Auch die Unis sind betroffen. Dort wird gewarnt, dass die Zugänge von Professoren und Studenten gehackt werden könnten. Von den Hamas-Entführungsopfern wurden Smartphones, Tablets und Laptops einkassiert und Daten abgesaugt.
Traum von einer Multikulti-Uni Haifa droht zu platzen
Mit dem „barbarischen Angriff der Hamas“ (Bundeskanzler Olaf Scholz) droht auch der Traum vom Miteinander der Ethnien und Religionen auf dem Campus in Haifa zu platzen. Wie kann es angehen, dass Studierende in sozialen Netzen Videos von Entführungen und Grausamkeiten „liken“? Muss man sie vom Lehrbetrieb suspendieren? Nirgendwo sonst auf der Welt leben und studieren Muslime und Juden und Christen und Sonstige so eng zusammen wie in Haifa. Die Professorin ist hin- und hergerissen vom Dilemma, so liberal zu sein, wie es nur irgend geht. Doch sieht sie die Attacken der radikalen Palästinenser-Organisation auch als Angriff auf die Humanität schlechthin.
Ihre Tochter in Kiel würde die Mutter am liebsten nicht nach Israel zurückfliegen lassen in diesen Tagen. Denn sie reist in ein Land im Kriegszustand. „Israel“, sagt Ilana Berman-Frank, „kämpft um seine Existenz.“
Antisemitismus auch in Hamburg
Der Hamburger Haifa-Förderkreis kämpft auf seine Art mit. Die Vorsitzende Sonja Lahnstein wollte auf keinen Fall das Treffen im Hafen-Klub absagen: „Jetzt erst recht“, schrieb sie an die prominenten Fördermitglieder und alle, die eine klare Botschaft auch von den Jüdinnen und Juden in Hamburg erwarten. Eine Botschaft, die sich gegen den Antisemitismus richtet, der auch in einer liberalen Hansestadt längst wieder straßenfähig geworden ist. Sonja Lahnstein hat es erlebt, wie an der Spitze des Demonstrationszuges für Israel am Montag Politiker Bekennerreden hielten, während am Ende eine Frau antisemitisch angegangen wurde – nicht nur verbal.
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Sonja Lahnstein kennt die alte Fratze des Judenhasses. Auch deshalb hat sie sich schon bei der Berufung der indonesischen Gastprofessoren der Künstlergruppe Ruangrupa an die Hochschule für Bildende Künste so echauffiert und auf deren Gedankengut aufmerksam gemacht. Deren erste Reaktion auf die Hamas-Attacken auf Israel gaben ihr recht. Doch sie ist weit davon entfernt, Genugtuung zu verspüren. Jetzt geht es um Israel.
Sie schrieb kurz nach dem Überfall an den Freundeskreis: „Ob Hamas in Gaza, Hisbollah im Libanon oder Islamischer Dschihad in Dschenin – sie alle wollen Israel auslöschen. Für immer. Alle in Israel – ob jüdisch, muslimisch oder christlich. Diesen Hintergrund müssen wir sehen, um die Reaktion unserer israelischen Freunde zu verstehen.“ Sich zu verteidigen und sich zu wehren, das sei das Recht Israels. Sonja Lahnstein bat um Solidarität für dieses Wehren „nicht nur in den nächsten drei Tagen“.