Berlin. Der Bundespräsident würdigt die prominenten Uni-Förderer. Steinmeier nutzt Empfang für feinsinnige Kritik an israelischer Regierung.

Auf dem Programm stand 50 Jahre Hamburg-Haifa – doch der Bundespräsident wäre nicht der Top-Diplomat, der er als ehemaliger Außenminister irgendwie nach wie vor ist, wenn ihm nicht ein Kunstgriff gelänge. Frank-Walter Steinmeier nutzte am Freitag den Empfang der Hamburger Förderer der Universität Haifa im Schloss Bellevue, um seine Kritik an den umfassenden Reformen der israelischen Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu feinsinnig zu verkleiden.

„Wie gerne denke ich an die Tage in Haifa, hoch oben auf dem Karmelgebirge“, schwärmte das Staatsoberhaupt in seiner Eloge auf die Stadt, ihre Universität und den hanseatischen Förderkreis, der prominent besetzt ist. Steinmeier lobte die „Multiversity“ der Uni, ihren Einsatz für Gleichberechtigung, ja mehr: ihre Friedensförderung zwischen Juden und Arabern und die Programme für Minderheiten.

Hamburg-Haifa: Steinmeiers subtile Botschaft

Und dann wurde Steinmeier düster: Hass und Gewalt bedrohten den Traum vom Frieden im gelobten Land. Und eine Regierung, die einen „Umbau des Rechtsstaates“ plane. Netanjahus Name fiel nicht, aber der des Präsidenten, Steinmeiers Amtskollege in Jerusalem. Mit Isaac Herzog sei er in ständigem Austausch. „Diejenigen, die sich für Verständigung und Entspannung, für Dialog einsetzen, verdienen all unsere Unterstützung“, so Steinmeier. Und die anderen, Netanjahus Kabinett, das unter anderem Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes mit einfacher Knesset-Mehrheit kippen will, die erwähnte der wortstarke Steinmeier nicht.

Da staunte man im festlichen Bellevue. Die israelischen Wissenschaftler um Uni-Präsident Ron Robin waren bewegt. Der deutsche Bundespräsident sehe, dass ihre Freiheit aktuell ernsthaft bedroht sei, sagte eine Professorin dem Abendblatt. Hamburgs Haifa-Helfer wie Aydan Özoğuz (SPD, Bundestags-Vizepräsidentin) oder die Wirtschaftsgrößen wie Michael Otto, Nikolaus W. Schües, Gunther Bonz oder Michael Behrendt waren sicher: Diese Botschaft kommt an.

Bankier Eric M. Warburg gründete den Uni-Förderkreis

Der deutsche Förderkreis der Uni Haifa ist ein einzigartiges Projekt. Der Vater des Bankiers Max Warburg, Eric M. Warburg, hatte vor gut 50 Jahren mit einer Gruppe prominenter Hamburger begonnen, die junge Hochschule des vergleichsweise ebenso jungen Staates zu fördern. Sie tickt mit ihrer tiefschürfenden Idee von der friedlichen Koexistenz der Juden und Araber in Israel so gänzlich anders, als man es erwartet. Diesen Spirit und die aktive Förderung gerade arabischer junger Frauen hat sie sich bis heute bewahrt. Deshalb hat die Uni Haifa auch sofort aus der Ukraine geflüchtete Wissenschaftlerinnen aufgenommen und sie zum Weiterforschen in Israel ermutigt und befähigt.

Dass dazu spontan eine sechsstellige Summe an Soforthilfe aus Hamburg kam, war schon beinahe selbstverständlich. Denn auch das nach Versandhaus-Mogul Werner Otto benannte Stipendium (Arab Women Graduate Program) finanziert die wissenschaftliche Qualifikation von Frauen in Haifa. Die Joachim Herz Stiftung ist gleichfalls engagiert – alles im Sinne des „alten“ Warburg, der 1938 vor den Nazis in die USA floh. Der nach dem Krieg zurückkehrte, in Blankenese zeitweilig 300 Kinder aus Bergen-Belsen aufnahm und die Atlantik-Brücke gründete.

"Der größte Treffpunkt von Juden, Muslimen und Christen auf der Welt"

Sonja Lahnstein-Kandel ist die Vorsitzende der Hamburger Haifa-Förderer.
Sonja Lahnstein-Kandel ist die Vorsitzende der Hamburger Haifa-Förderer. © dpa

Die Uni Haifa versteht sich als ein Labor für ein innovatives, friedliches Miteinander, das nach unserem Verständnis von der realen Gewalt, die tagtäglich den Nahen Osten erschüttert, gar nicht produktiv sein kann. Doch 18.000 Studentinnen und Studenten und Hunderte Wissenschaftler mit ihren bemerkenswerten Forschungen zum Klimawandel, zur Archäologie, Medizin oder den Neurowissenschaften beweisen das Gegenteil.

„Der Campus der liberalen Universität ist der größte Treffpunkt von Juden, Muslimen und Christen auf der Welt – jeden Tag“, sagte Sonja Lahnstein-Kandel, die den Förderkreis seit 15 Jahren leitet. Und doch war sie „seit Wochen“ vor dem Termin im Schloss Bellevue aufgeregt. Nein, verzückt war sie, elektrisiert – „thrilled“, wie sie auf Englisch sagte. Und doch zeigte sie sich „verstört“ angesichts der Tendenzen einer israelischen Regierungspolitik unter dem wiedergewählten Netanjahu, der die liberale Gesellschaft gefährde. In den Worten der weltoffenen Jüdin schwang tiefe Betroffenheit mit.

Prof. Mouna Maroun übte den Namen der First Lady

Beim Empfang in der Hamburger Landesvertretung sagte Sonja Lahnstein außerdem: „Hier in der Jägerstraße in Berlin vibrierte einst das jüdische Leben.“ Sie erinnerte an die Familie Mendelssohn, Schriftstellerin Rachel Varnhagen und Bankier Adolf Jarislowsky. „Sie fühlten sich alle komplett integriert in der Stadtgesellschaft – um dann später (in der Nazi-Zeit; die Red.) herauszufinden, dass sie es nicht waren.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrte den von Bankier Eric M. Warburg vor 50 Jahren gegründeten Hamburger Förderkreis der Universität Haifa (Israel) im Schloss Bellevue. Manfred Lahnstein (ehemaliger Aufsichtsratschef der Uni) unterhielt sich angeregt mit First Lady Elke Büdenbender.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ehrte den von Bankier Eric M. Warburg vor 50 Jahren gegründeten Hamburger Förderkreis der Universität Haifa (Israel) im Schloss Bellevue. Manfred Lahnstein (ehemaliger Aufsichtsratschef der Uni) unterhielt sich angeregt mit First Lady Elke Büdenbender. © ryb

Ihr Mann Manfred Lahnstein war der erste Deutsche und Nicht-Jude, der den Aufsichtsrat der Uni leitete. Er weiß wie kein Zweiter, dass es Menschen braucht wie Prof. Mouna Maroun. Sie ist die amtierende Forschungsdekanin in Haifa. Die Neurobiologin ist die erste Araberin in Israel, die eine solche Position in den Naturwissenschaften bekleidet. Ihre Eltern waren nur vier Jahre zur Schule gegangen. Prof. Maroun sagte: „Meine Botschaft an die nächste Generation lautet: Wenn ich es kann, dann könnt ihr das auch! Indem ihr einen höheren Bildungsabschluss anstrebt, fördert ihr nicht nur euch selbst, sondern auch eure Freunde, eure Familie und euer Umfeld.“

Dass der deutsche Bundespräsident ihren Namen in seiner Rede nannte, war für sie überwältigend. Noch nachts hatte sie geübt, den Namen der First Lady korrekt auszusprechen: Elke Büdenbender.

Angela Merkel schickt Botschaft an Haifas Studenten

Für den Sohn von Gründer Eric Warburg ist das alternativlos. Max Warburg teilte in einem Statement mit: „Es gibt keinen anderen Weg aus dem israelischen Konflikt: Arabische und jüdische Israelis müssen lernen, miteinander zu leben.“

Der Begriff „alternativlos“ wird mit einer Frau verbunden, die gegen die Erwartung auch ihren – steinigen, erfolgreichen – Weg gegangen ist. Sie bekam 2018 die Ehrendoktorwürde der Uni Haifa verliehen. Zum Jubiläum sagte sie jetzt: „Diese Institution beweist eindrucksvoll, wie gemeinsames Leben und Lernen von Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft möglich ist und wie bereichernd dies sein kann.“ Sie rief vor allem die Studierenden auf, „insbesondere angesichts der aktuellen weltweiten geopolitischen Spannungen und Konflikte“ neugierig und offen zu bleiben. Die Frau hatte ihren Arbeitsplatz zuletzt in der Nähe des Schloss Bellevue in Berlin. Sie heißt Angela Merkel.