Hamburg. In Duvenstedt macht man mobil gegen noch mehr Flüchtlinge. Fünf Kilometer weiter kennt man die Probleme – und hat sie gelöst.
Die zwei Frauen reden ohne Punkt und Komma. Roz Fajr, rosa Gewand, weißes Kopftuch und ein rosarotes Gesicht, das die ganze Zeit strahlt. Und Monira Hussin, graues Kopftuch, blauer Kapuzenpullover, auf dem vorne „Love is all you need“ steht. „Natürlich sind wir Deutschland sehr dankbar. Vor allem Poppenbüttel“, sagt Roz, die gerne schnell redet und dabei meist auf Pausen verzichtet. „Ich kann aber auch verstehen“, sagt sie – und macht ausnahmsweise doch eine kurze Pause, „dass man als Nachbar Sorge hat, wenn plötzlich fremde Menschen kommen. So viele Flüchtlinge auf einmal.“
Fremde Menschen waren auch Monira (38) und Roz (45), als sie 2015 beziehungsweise 2016 in Hamburg angekommen sind. Jetzt sitzen sie im sogenannten Ohle-Begegnungshaus in Poppenbüttel am gedeckten Kaffeetisch mit Freunden und Nachbarn und sagen in fließendem Deutsch, dass sie sich hier, im Norden Hamburgs, sehr wohl und sehr willkommen fühlen. „Syrien ist und bleibt meine Heimat“, sagt Roz, die anbietet, dass man sie Rosi nennt. „Aber Poppenbüttel ist mein Zuhause“.
Flüchtlingskrise: In Poppenbüttel klappt die Integration von Flüchtlingen gut
Monira und Roz sind Flüchtlinge. Einerseits. Und sie reden über die aktuelle Flüchtlingskrise. Andererseits. Seit Wochen ist es nicht nur in Poppenbüttel das Thema schlechthin: Deutschlands mutmaßliche Fehler in der Migrationspolitik, überfüllte Unterkünfte, steigende Flüchtlingszahlen. Und die große Merkel-Frage, die es vor zwei Wochen sogar auf den „Spiegel“-Titel geschafft hat: „Schaffen wir das noch mal?“
Die Antwort kommt ohne viel Nachdenken: „Und wir schaffen es eben doch.“ Sagen Monira und Roz. Und sagen auch Norbert Proske und Martin Lindt. Die beiden „alten, weißen Männer“ sitzen ebenfalls am Kaffeetisch in dem lichtdurchfluteten Begegnungshaus und strahlen, als sie hören, was Monira und Roz so berichten. Proske, ein echter Poppenbüttler, ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Rosi. Er redet wenig, hört aber aufmerksam zu. Und liest auch aufmerksam. Als er einen Artikel im Abendblatt Anfang September über die angespannte Flüchtlingssituation und die Proteste im gerade einmal fünf Kilometer entfernten Duvenstedt gegen eine geplante Unterkunft liest, reicht es ihm. Er schreibt einen Leserbrief.
Flüchtlingskrise: Duvenstedt und Poppenbüttel sind nur fünf Kilometer voneinander entfernt
„Ich glaube, die Flüchtlingsdebatte hat viele Facetten“, schreibt Proske. Und weiter: „Wenn Sie zum Beispiel auf dem Weg nach Duvenstedt gefahren sind, hätte Ihnen auf Höhe des Poppenbütteler Berges ein Hinweisschild auf das Ohle-Begegnungshaus auffallen müssen. Dort leistet der Verein seit 2015 erfolgreiche Integrationsarbeit, die ebenfalls in der Flüchtlingsdebatte wahrgenommen werden sollte.“ Sein Schlusssatz: „Wir laden Sie herzlich ein, sich einmal in persönlichen Gesprächen mit Aktiven im Ohle-Begegnungshaus Ohlendiekshöhe ein eigenes Bild zu verschaffen.“
Das eigene Bild beeindruckt. Wegen Monira und Roz. Wegen Proske und Lindt, des Vorstandsvorsitzenden des Vereins Poppenbüttel hilft e .V.. Aber auch wegen der anderen Poppenbüttler, die am Kaffeetisch sitzen. Anna Jürgensen zum Beispiel, die Deutsch-Lesekurse für Flüchtlinge anbietet. Natürlich ehrenamtlich. Oder Elena Wischhöfer, die das Begegnungshaus seit Kurzem leitet. Oder die Schulrätin Gabriela Gnauk-Kruse, die zu den Erstunterzeichnern der Flüchtlingsinitiative „Poppenbüttel hilft“ gehört.
2015 gab es auch in Poppenbüttel sehr harte Debatten
Sie alle können sich noch gut daran erinnern, wie 2015 in Poppenbüttel die gleichen Diskussionen geführt wurden, wie sie in Duvenstedt gerade jetzt stattfinden. „Überall hörte man Kritik und Bedenken“, sagt Gnauk-Kruse, die sich auch an sehr feindliche Gemeindetreffen erinnert, wo eine sachliche Diskussion über mögliche Probleme, aber auch mögliche Chancen einer neuen Flüchtlingsunterkunft eigentlich gar nicht mehr möglich war. „Der Ton war feindselig“, sagt auch Martin Lindt.
Gemeinsam mit Leserbriefschreiber Proske war der gebürtige Schweizer („Ich bin auch nur ein Zugezogener“) Anfang September bei einer Gemeindeversammlung in Duvenstedt, als Anwohner mit Politikern über eine geplante Unterkunft auf der Festwiese mitten in Duvenstedt für 320 Bewohner diskutierten. Der Verein, der an dem Abend den Ton bestimmte, hieß aber nicht „Duvenstedt hilft“, sondern „Dorfgemeinschaft Duvenstedt e. V.“. Und diese Dorfgemeinschaft hatte vor allem eine Frage, die die Duvenstedterin Angela Lautenschläger auch im Abendblatt formulierte: „Wie viele Menschen sollen noch aufgenommen werden?“
- Flüchtlinge Hamburg: „Lage ist sehr angespannt“ - wo Geflüchtete leben
- Flüchtlinge: Welche Fehler Deutschland in der Migrationspolitik macht
- Olaf Scholz nimmt Flüchtlinge in die Pflicht: „Wer hier ist, sollte etwas tun“
Monira und Roz waren nicht bei der hitzigen Debatte im Max-Kramp-Haus. Aber sie können die kritischen Duvenstedter und Duvenstedterinnen verstehen. „Ich finde es normal, wenn man Angst davor hat, wer in die eigene Nachbarschaft zieht“, sagt Monira. Die Mutter von vier Kindern wohnt seit 2017 in Poppenbüttel. Ihre älteste Tochter geht auf das Heinreich-Heine-Gymnasium, ihr Sohn in die benachbarte Grundschule. Sie und ihre Familie sind in Poppenbüttel integriert. „Aber zur Integration gehören immer beide Seiten“, sagt sie.
Das findet auch Roz, die sogar sechs Kinder hat. In Syrien hat sie als Mathelehrerin gearbeitet – und mittlerweile arbeitet sie auch hier in Hamburg an der Stadtteilschule Poppenbüttel als Lehrerin. „Die Menschen, die hierherkommen, brauchen eine faire Chance“, sagt sie. „Und diese Chance müssen sie dann aber auch nutzen.“
Doch von Chancen ist in diesen Tagen nur wenig die Rede. Eher sind es die Risiken und die Probleme. Nicht nur in Duvenstedt. Sondern in Hamburg. Und in ganz Deutschland. „Die sogenannte illegale Migration müssen wir eindämmen“, sagte nun sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den ARD-„Tagesthemen“. Und weiter: „Wir brauchen eine Begrenzung der Zugänge, das ist keine Frage.“
In Poppenbüttel sieht man das anders. Hier will man nicht nur Fragen stellen, sondern vor allem Antworten geben. „2015 war die Stimmung hier genauso kritisch, wie sie jetzt gerade zum Beispiel in Duvenstedt ist“, sagt Martin Lindt – und erinnert daran, dass sich auch in Poppenbüttel die Gegner einer neuen Unterkunft schnell formiert hatten. „Natürlich sind auch heute nicht alle überzeugt, aber der eine oder andere kommt mittlerweile gerne zu gemeinsamen Festen und hat seine Position komplett geändert.“
Flüchtlingskrise: Fast alle 244 Unterkünfte in Hamburg sind belegt
Dass aber auch in Hamburg die Lage angespannter wird, haben natürlich auch die Poppenbüttler registriert. Mehr als 45.000 Flüchtlinge sind in 244 Unterkünften in der ganzen Hansestadt untergebracht – Tendenz stark steigend. „Die Lage ist sehr angespannt“, sagte bereits vor ein paar Wochen eine Sprecherin der Sozialbehörde, als es um die geplante Unterkunft in Duvenstedt ging. 96,1 Prozent aller Betten seien belegt. „Die aktuelle Unterbringung der Geflüchteten stellt eine sehr große Herausforderung für die Stadt Hamburg dar.“
Monira lächelt. „Wir haben ein Sprichwort in Syrien“, sagt die Frau aus Damaskus. „Wenn man keine Heimat mehr hat, dann muss man sich eine Heimat kaufen.“ Gemeint ist: An einer neuen Heimat muss man hart arbeiten. Als Flüchtling erst recht, aber wahrscheinlich auch als Duvenstedter oder als Poppenbüttler.
„Und ich bin sehr, sehr dankbar für meine neue Heimat“, sagt Monira.