Hamburg. Erstes Hamburger Stimmungsbild seit drei Jahren zeigt große Verschiebungen. Zustimmung zur AfD steigt, aber auch die CDU überrascht.

Wenn man etwas nennen sollte, auf das Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nichts gibt, dann sind das Wahlprognosen – zumindest offiziell. Im Interview mit dem Abendblatt mahnte der Bürgermeister erst kürzlich, es solle „weniger Sorgen über Umfragen“ geben und mehr Problembewältigung. Ganz wie sein Amtsvorgänger, der heutige Kanzler Olaf Scholz, es auch bei der vergangenen Bundestagswahl hielt.

Und läuft man mit dem Bürgermeister, so wie am Montagmorgen bei der Eröffnung des Bürgerfestes zum Tag der Deutschen Einheit, eine gute Stunde durch die Stadt, bekäme man auch nicht den Eindruck, dass dieser sich Sorgen machen müsste: Kaum ist er ein paar Schritte gegangen, da sprechen ihn Besucher bereits an und bitten um ein Selfie. Alle fünf Meter geht das so. „Schau mal, da ist Peter Tschentscher“, hört man die Menschen auf der Straße tuscheln, während sie ihren Bürgermeister dabei neugierig anblicken.

AfD legt auch in Hamburg deutlich zu

Doch dieser Eindruck ist nur die halbe Wahrheit. Denn, und das gab der Bürgermeister im Interview auch zu, auch Hamburg ist offenbar vor dem bundesweiten politischen Stimmungs- und Meinungstrend mit einem Erstarken der AfD nicht gefeit. Und das eben auch auf Kosten der SPD. Zumindest wenn man einem neuen Online-Stimmungsbild des Berliner Wahlforschungsinstituts Wahlkreisprognose glaubt. Dieses hat 1000 Hamburger ab 16 Jahren zwischen dem 24. September und 2. Oktober online befragt, welche Partei sie bei der kommenden Bürgerschaftswahl 2025 wählen würden.

Demnach muss die SPD herbe Verluste hinnehmen und kommt nur noch auf 24,5 Prozent der Stimmen. Im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 2020 (39,2 Prozent) bedeutete dies einen Verlust von 14,7 Prozentpunkten und damit mehr als einem Drittel der Stimmen.

Möglicher Dreikampf zwischen SPD, Grüne und CDU

Auch die Grünen, derzeitiger Koalitionspartner der SPD in der Landesregierung, müssen mit 2,7 Prozentpunkten weniger zwar einen Verlust hinnehmen. Sie kommen jedoch noch auf 21,5 Prozent (2020: 24,2 Prozent). Dicht dahinter folgen mit gerade einmal einem halben Prozentpunkt weniger aber dann bereits die Christdemokraten mit satten 21 Prozent – ein Erfolg für die CDU im Hinblick auf das historisch schlechte Ergebnis von 2020 (11,2 Prozent).

Sollte es tatsächlich so kommen, könnte der Kampf um den Posten des Bürgermeisters in einem Dreikampf enden. Zwar würde es den aktuellen Zahlen zufolge knapp für eine rot-grüne Mehrheit reichen. Ebenso wäre aber auch eine Koalition aus CDU und SPD möglich.

In Hamburg eine Koaltion mit der AfD denkbar?

Die AfD, die 2020 nur knapp den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffte, kommt laut Umfrage mit 13 Prozent auf über doppelt so viele Stimmen. Die Linke landet immerhin bei 8,5 Prozent und fährt nur leichte Verluste ein (2020: 9,1 Prozent). Die FDP bleibt mit drei Prozent abermals unter der magischen Marke und verliert ebenfalls (2020: 4,9 Prozent). Ginge es allein nach den Mehrheitsverhältnissen, wären ebenfalls Koalitionen aus SPD, AfD und Linke sowie Grüne, CDU und AfD oder Grüne, CDU und Linke möglich.

Interessant ist dabei auch der Blick auf die Direktmandate der 17 Wahlkreisgebiete: Laut Wahlkreisprognose würden die meisten dabei an die CDU gehen – mit insgesamt 20 drei mehr als vor einem Jahr. Die SPD verliert hingegen neun und die Grünen verlieren fünf. Für die AfD steigt der Anteil allerdings auf 13 an. Sie erhielte lediglich in vier Wahlkreisgebieten, darunter Altona, Eppendorf-Winterhude, Rotherbaum-Harvestehude-Eimsbüttel und Stellingen-Eimsbüttel-West, keines.

Die Wahlkreisprognose für Hamburg
Die Wahlkreisprognose für Hamburg

AfD macht Sprünge in Hamburg – das sagt ein Politik-Professor

Einen Blick wert sind die Daten deshalb, weil sich kaum ein Auftraggeber oder Umfrageinstitut für die politische Lage in Hamburg interessiert und es deshalb auch kaum Prognosen gibt. Bei einer Umfrage aus dem Juni 2020, die die Körber-Stiftung in Auftrag gab, kam das Institut Policy Matters damals jedoch zu Ergebnissen, die sich fast mit der Bürgerschaftswahl vom Februar 2020 deckten: Die SPD lag weit vorn bei 39 Prozent, dahinter die Grünen mit 23 Prozent und die CDU abgeschlagen auf Rang 3 mit 13 Prozent.

Kai-Uwe Schnapp, Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Methoden, mahnt aber: „Eine Online-Umfrage sollte man immer mit Vorsicht genießen. Wirklich repräsentativ sind immer noch Telefonumfragen.“ Zu groß seien die Verzerrungen bei der Methodik: Man wisse etwa nicht, wie Teilnehmer überhaupt auf die Internetseite zur Befragung geleitet würden. Daher könne man auch nicht sicherstellen, dass auch ein Querschnitt der Bevölkerung abgebildet werde.

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Zwar gibt der Auftraggeber und gleichzeitig durchführende Dienstleister Wahlkreisprognose an, „Rohdaten dort, wo nötig, nach Kriterium der Bevölkerungsfortschreibung gewichtet“ zu haben. Doch auch diese Angabe sei Schnapp zufolge nur mit Vorsicht zu genießen. Im Hinblick auf die Historie aller durchgeführten Onlinebefragungen seit der vergangenen Bürgerschaftswahl könne man Schnapp zufolge jedoch davon ausgehen, dass zumindest Verluste der SPD ziemlich wahrscheinlich sind. Die Umfrage kann also Orientierung geben, wenn auch nur begrenzt.

Politikwissenschaftler: Bundestrend nicht auf Hamburg übertragbar

Was genau die Gründe für das abweichende Wahlverhalten der Hamburgerinnen und Hamburger sind, darüber lässt sich nur mutmaßen. Dass es der Bundestrend und die Unzufriedenheit der Bürger mit der Ampel-Regierung sind, die sich in den Ergebnissen widerspiegeln, bezweifelt Schnapp jedoch. „Schaut man sich die vergangenen Bundestags- und Bürgerschaftswahlen an, kann man sehen, dass sich der Bundestrend nie eins zu eins auf Hamburg übertragen lässt.“

Mit einem Ergebnis von 39,2 Prozent lag die Hamburger SPD beispielsweise deutlich über dem Ergebnis der Bundestagswahl von 2017 (20,5 Prozent). Auch die Grünen lagen bei der Bundestagswahl 2017 mit 8,9 Prozent deutlich unter ihrem Hamburger Ergebnis (24,2 Prozent). Zwar könne sich die Grundstimmung auch auf Hamburg übertragen haben, doch selbst wenn, so geht Schnapp dabei von einem im Vergleich zum Bund deutlich kleineren Effekt aus.