Hamburg. Hamburgs Bürgermeister über Medienschelte und wie er AfD-Wähler zurückgewinnen will. Der SPD-Mann überrascht mit einer Ankündigung.

Sichtlich erholt empfängt der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher die zwei Abendblatt-Reporter im Bürgermeisteramtszimmer des Rathauses. Neben Sprudelwasser und Limonade gibt es Kaffee aus weißen Porzellantassen mit dem Hamburger Staatswappen – dem Staatsgeschirr. Der SPD-Politiker spricht über den Aufschwung der AfD, die Haltung der CDU zu seinen Reisen als Bundesratspräsident und der Bürgermeister überrascht mit einer Ankündigung.

Das Jahr Ihrer Bundesratspräsidentschaft geht mit einem großen Fest am 3. Oktober hier in Hamburg offiziell zu Ende. Was hat Ihre Präsidentschaft Hamburg gebracht?

Tschentscher: Eine Wahrnehmung über Hamburgs Grenzen hinaus, die außerordentlich ist. Wir waren in der Welt präsent, in den Vereinigten Staaten, in Israel, in europäischen Ländern, und werden deshalb stärker wahrgenommen. Wir sind ein Stadtstaat, der ein interessanter Investitionsstandort für Unternehmen ist. Ein amerikanisches Unternehmen, mit dem ich mich während meiner USA-Reise getroffen habe, wird hier im Hamburger Hafen das erste Importterminal für grünen Wasserstoff aufbauen. Das ist bemerkenswert, weil es ja auch viele Möglichkeiten gäbe, woanders zu investieren. Ich denke – ohne dass man es auf einzelne Gespräche oder Reisen zurückführen kann – dass die Auslandsaktivität Hamburgs als Senat, als Handelskammer, als Wirtschaft, wichtig ist, um unsere Stadt im internationalen Wettbewerb um Zukunftsinvestitionen zu stärken.

Sie haben Ihre vielen Reisen bereits angesprochen. Daran übte insbesondere die CDU Kritik. Sie betitelte ihre USA-Reise als „Spaßreise“, weil sie keine konkreten Ergebnisse mitgebracht und keine Hamburger Start-ups oder innovative Mittelständler mitgenommen hätten. Können sie diesen Vorwurf nachvollziehen?

Tschentscher: Beides ist unzutreffend. Wir hatten eine rund 20-köpfige Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation dabei, darunter zum Beispiel auch ein zukunftsgewandtes Unternehmen der Mobilitätsbranche, das sich im autonomen Fahren engagiert. Aber natürlich sind solche Delegationsreisen nicht daran orientiert, dass Politiker wie Kaufleute mit unterschriebenen Verträgen nach Hause fahren. Es ging unter anderem darum, ein Signal zu setzen. Seit fast 20 Jahren ist kein Bundesratspräsident mehr in die Vereinigten Staaten gereist – zu unserem wichtigsten Verbündeten! Und das in einer Zeit, in der die geopolitische Konfrontation ernster wird. Dieses politische Zeichen ist dort sehr wohl von unseren Gesprächspartnern wahrgenommen worden, bis hin zu Nancy Pelosi, einer der profiliertesten und beeindruckendsten Persönlichkeiten der USA. Das in der kleinkarierten Art und Weise der CDU einzuordnen, ist keine hanseatische Haltung.

Kennen Sie die Instagramposts der CDU-Fraktion über Sie und auf denen Ihnen beispielsweise die genannte „Spaßreise“ vorgeworfen wird?

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Tschentscher: Nein, ich kenne diese Bilder nicht, aber es ist auch nicht mein Niveau, auf diese Art und Weise Diskussionen zu führen. Es ist ein schlechtes Zeichen, so mit den repräsentativen Aufgaben des Bundesratspräsidenten umzugehen. Kein anderes Bundesland hat eine Opposition, die sich derartig zu den repräsentativen Pflichten des Bundesratspräsidenten äußert.

Apropos Opposition: Die AfD steht bundesweit bei etwa 20 Prozent in den Umfragen. Die rechtsextremen Tendenzen treten in der Partei immer deutlicher zutage. Was bedeutet das für die Demokratie?

Tschentscher: Das ist eine ernste Entwicklung. Die Politik darf nicht dem Populismus verfallen. Wir haben wichtige Themen, die wir angehen müssen. Dazu bedarf es politischer Konzepte, neuer Ideen und nicht des Verbreitens schlechter Stimmung. Denn darauf beschränkt sich die AfD, was typisch ist für populistische Parteien. Dass sie sich Probleme greifen, diese instrumentalisieren und umdeuten, um daraus politische Reichweite und Kapital zu schlagen. Diese Art, demokratiezerstörend Politik zu betreiben, ist eine Gefahr, und insofern kann man nur sagen: Vorsicht an der Bahnsteigkante! Alle, die extreme AfD-Forderungen verfolgen, müssen wissen, dass sie an den Grundfesten unserer Demokratie, unseres Wohlstands und unseres guten Lebens in Deutschland rütteln.

Wie wollen Sie die Menschen, die scheinbar bereit sind, die AfD zu wählen, zurückgewinnen?

Tschentscher: Indem wir die die Themen präzise und wahrheitsgemäß ansprechen. In den letzten Wochen gab es eine Diskussion darüber, wie es um die innere Sicherheit in Hamburg bestellt ist. Ich habe entschieden zurückgewiesen, dass Hamburg die Kriminalitäts-Hauptstadt Deutschlands ist. Das ist eine grob falsche Darstellung, weil die Kriminalitätszahlen zeigen, dass wir unter den Großstädten eine der sichersten in Deutschland sind. Das heißt aber andererseits nicht, dass wir gar keine Probleme haben, die wir klar und deutlich ansprechen müssen. Im Umfeld des Hauptbahnhofs zum Beispiel gibt es eine Entwicklung, die wir bekämpfen müssen. Deswegen haben wir seit Jahren die Polizei personell verstärkt und technisch besser ausgestattet, um auf solche Lagen wirksam reagieren zu können.

Noch einmal zur AfD. Hat es Ihre differenzierte Betrachtungsweise von Problemen nicht immer schwierig gegenüber vereinfachten oder, wie Sie sagen, populistischen Darstellungen?

Tschentscher: Das ist so. Das ist ja das Erfolgskonzept populistischer Parteien. Die moderne Welt ist kompliziert. Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten ist anstrengend, und deswegen haben es populistische Parteien in ihrer Vereinfachung leichter als diejenigen, die regieren und in Verantwortung stehen.

Im nächsten Jahr werden die Bezirksversammlungen und das Europaparlament neu gewählt. Im darauffolgenden Jahr dann die Bürgerschaft. Wie stark sehen Sie die AfD in Hamburg?

Tschentscher: Das kann man nicht vorhersagen. Derzeit gibt es in ganz Deutschland ein Stimmungsbild, das der AfD Rückenwind gibt. Aber ein Rückblick auf die Wahlen in Deutschland zeigt, dass solche Stimmungen sich sehr kurzfristig ändern können. In Hamburg habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass Umfragen und Stimmungen selbst kurz vor einer Wahl am Wahltermin nicht mehr relevant waren.

Die letzten Umfragen für Hamburg liegen ja jetzt ein bisschen zurück. Aber was sagt denn Ihr Gefühl, herrscht auch hier in Hamburg jene Stimmung?

Tschentscher: Ja, wir sind vom bundesweiten Stimmungs- und Meinungstrend erfasst. Im Hinblick auf die AfD zwar auf einem anderen Niveau, denn wir sind eine offene, liberale, internationale Stadtgesellschaft. Aber auch bei uns gibt es Stimmen, die sagen: Wie soll das alles weitergehen? Meine Aufgabe als Bürgermeister ist es deshalb zu zeigen, wie es weitergeht, und dass wir keinen Grund haben, mutlos zu sein. Wir sollten uns weniger Sorgen über Umfragen machen und uns den Problemen widmen. Das empfehle ich der Bundespolitik und uns in Hamburg.

Uns fällt auf, dass Sie bisweilen ganz gern Medienkritik üben. „Glaubt nicht, was in den Medien steht“, sagten Sie auf dem jüngsten SPD-Landesparteitag mit Blick auf Berichterstattung über den Hamburger Wohnungsbau. Ist das nicht etwas pauschal?

Tschentscher: Parteitagsreden sind keine politischen Seminare. Ich wende mich aber ausdrücklich gegen Vereinfachungen, die in den Medien oft zu finden sind. So zum Beispiel die These, dass der soziale Wohnungsbau oder der Wohnungsbau insgesamt in Hamburg gescheitert seien. Das ist eine absurde Behauptung. Wir sind in diesem Bereich Vorbild in ganz Deutschland. Oft werden aber einzelne Zahlen in eine falsche Interpretation gebracht. Beispiel: Die Fertigstellungszahlen im Wohnungsbau gehen in einem Jahr zurück, sind aber immer noch auf einem hohen Niveau. Dann kann man nicht sagen, dass der Wohnungsbau zum Stillstand gekommen ist. Dagegen wende ich mich, gegen undifferenzierte Botschaften.

Trotzdem noch einmal nachgefragt: Was sagen sie zu dem Vorwurf, dass Sie mit der sehr pauschalen Medienkritik auch ein AfD-Narrativ bedienen?

Tschentscher: Ich betreibe keine pauschale Medienkritik. Es ist ja auch schwer, jeden Tag bei der Fülle an Informationen und Daten die Darstellung so zu wählen, dass Informationen richtig ankommen. Das ist aber nun mal der Anspruch und der Auftrag, den redaktioneller Journalismus hat und der die Sache schwierig macht. Jeden Tag ungeprüfte Zahlen und Botschaften zu verbreiten, können andere über die sozialen Medien auch. Der Anspruch der redaktionellen Berichterstattung besteht darin, Informationen wahrheitsgemäß einzuordnen. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Bestimmte Botschaften muss ich korrigieren, weil sonst für wichtige politische Maßnahmen wie die Förderung des Wohnungsbaus die Akzeptanz verloren geht. Das hätte dann fatale Folgen.

Werden Sie 2025 erneut als Spitzenkandidat für die SPD antreten?

Tschentscher: Das wird meine Partei, die Hamburger SPD, zu gegebener Zeit entscheiden. Ich bin jedenfalls tatkräftig und mit großer Freude im Amt und würde das gerne noch viele weitere Jahre sein.

Trotz aller Auseinandersetzungen: Wird es noch einmal eine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen geben?

Tschentscher: Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir eine Fortführung von Rot-Grün in Hamburg als eine gute Perspektive darstellen werden, denn wir haben seit 2015 gute Arbeit gemacht. Ich will keine Medienschelte betreiben, aber in der medialen Darstellung sieht es auch in diesem Punkt manchmal anders aus, als es tatsächlich im Senat ist – konstruktiv und harmonisch.

Stört es Sie, dass die Grünen wahrscheinlich ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen werden?

Tschentscher: Wir werden auch keine festen Koalitionszusagen machen können. Die Entscheidung darüber, welche politischen Konstellationen möglich sind, treffen ohnehin die Wählerinnen und Wähler. Die SPD will wieder stärkste politische Kraft in Hamburg werden. Im Hinblick darauf, dass SPD und Grüne dann fast zehn Jahre gemeinsam erfolgreich regieren, liegt es nahe, dieses Modell fortzuführen. Und es gibt ja auch Erfahrungen mit anderen politischen Konstellationen. Ich empfehle dabei, die Vergangenheit in Betracht zu ziehen. Die Zusammenarbeit von CDU und Grünen gehört zu den schlimmsten politischen Phasen in Hamburg und hat die Stadt in eine schwere Krise geführt. Ich wünsche Hamburg nicht, jemals wieder in eine solche Lage zu kommen.