Hamburg. Das Café Paris ist ein beliebter Treffpunkt in Hamburg. Zwei Modedesigner gucken den Gästen auf die Kleidung.
Schon am Vormittag geht es turbulent in Hamburgs französischster Bar zu: Sich einfach einen Tisch ergattern – c’est impossible! Hier wartet jeder schön, bis er dran ist, egal ob Banker, Hipster oder Tourist. Das Café Paris ist ein beliebter Treffpunkt und „melting pot“, die Auswahl an Lektüre und Kaffeespezialitäten ebenso beeindruckend wie die Mischung der Gäste. „Eine Stunde in diesem Café, und ich vergesse, dass ich in Hamburg bin“, sagt Tobias Jopp. Weil die Atmosphäre so kosmopolitisch ist, kommt der Modedesigner gern hierher. Zusammen mit seinem Kompagnon Stefan Harm hat er sich ein paar Stunden Zeit für eine Stilkritik genommen.
Am Nebentisch der beiden: Mutter und Tochter, die sich während ihrer Shopping-Tour einen Café au lait gönnen. „Interessant zu beobachten: Der Stil von Müttern und Töchtern gleicht sich an. Beide tragen schwarze Röhrenjeans (wobei die Mutter es nicht so toll findet, dass ihre Tochter Löcher an den Knien hat) und haben das Haar eher lässig gestylt, beide schauen auf ihre Smartphones, wahrscheinlich, um den nächsten Laden in der Nähe zu orten“, sagt Tobias Jopp. „Der Jugendkult dringt durch alle Gesellschaftsschichten. Auch in fortgeschrittenem Alter will man mit dem Tragen von Jeans, Sneakern und angesagtem Trenchcoat ausdrücken, dass man alles im Griff hat“, ergänzt Stefan Harm.
„Ein perfektes Beispiel für das Angleichen des Kleidungsstils der Generationen“, sagt Stefan Harm. „Die Mutter bedient sich aus dem Stilfundus der Tochter – das jugendliche Schönheitsideal hat alle Generationengrenzen gesprengt. Dafür ist die Röhrenjeans ein schönes, alltägliches Beispiel. In diesem Fall trägt die Mama einen Mantel in weiter Eggshape-Silhouette – das gibt ihr zusätzlich einen intellektuellen Touch.“
Strahlende Augen bekommen die Designer bei einem großen, schlanken Mann um die 60, der bei einem stillen Wasser Zeitung liest und immer wieder den Blick über die Gästeschar schweifen lässt: „Ein Grandseigneur im hellen Anzug, darunter trägt er einen Pullover aus edlem Ziegenhaar. Er hat einen Handgepäckkoffer direkt am Tisch, Strümpfe in der Trendfarbe Weinrot und eine jugendliche Frisur“, sagt Stefan Harm. „Der Mann ist weltoffen und legt Wert auf hohe Qualität. Ein stilvoller, konservativer Hanseat, der sich gerne am britischen Gentleman-Style und seinen Kleidungsmerkmalen bedient.“
Nostalgiesehnsucht bei den Damen
Uneinigkeit herrscht bei den Kreativen über ein Pärchen, das sich einen der raren Fensterplätze erkämpft hat und sich kurz vor 12 Uhr schon den ersten Rotwein bestellt. Der Herr trägt einen geringelten Picasso-Pullover über einem blütenweißen Hemd, ist stark gebräunt. Die Dame fällt durch ein Oberteil im Leopardenmuster auf. „Das war einmal ein Muster, das vor vielen Generationen mal für schrille Rebellion stand.“
Die Zeiten sind lange vorbei, die Sehnsucht danach ist bei vielen geblieben. Manche Damen kombinieren aus Nostalgiesehnsucht ihr Leo-Shirt zur Lieblingsjeans.“ Für Tobias Jopp ist der Fall klar: „Das Kreuzfahrtschiff hat angelegt. Dass die beiden Touristen sind, erkennt man schon daran, dass sie sich als Erstes die Kacheln an der Decke angesehen haben. Wer hier öfter ist, bemerkt die gar nicht mehr.“
„Ich glaube, da liegst du falsch“, sagt Stefan Harm. „Sie arbeitet bei einem Verlag, und er will in Hamburg Kunst kaufen. Die Frau müsste allerdings dringend mal zum Friseur.“ Den blondierten Hochzopf einer jungen Frau im apricotfarbenen Kaschmirpulli findet Harm dafür „ganz süß: Mit ihrem College-Stil und dem starken Make-up sticht sie aus der Menge positiv heraus.
Klare und teilweise kräftige Farben
Diese Art, mit Kleidung aufzufallen, findet man sonst eher im Schanzenviertel oder ganz extrem in Berlin.“ Jopp: „Wir arbeiten in unseren Kollektionen auch immer mit klaren und teilweise kräftigen Farben. Im Umgang mit diesen Farben zeigt die modisch-progressive Hanseatin ihr Stil- und Kombinations-Können. Es sollten sich mehr Hamburgerinnen zur Farbe bekennen.“
Ihr Pendant, ein Mann Ende 30 mit Vollbart, betritt das Café: „Endlich haben wir auch ein paar Hipster hier“, jubelt Jopp. Besonders markant bei Männern: Sie lassen ihre Mützen und Caps auch im Café auf. „Vollbart, Cap und robuste Mode, die nach Arbeitermilieu aussieht, wie derbe Boots und grober Strick, sind Codes, die auf der ganzen Welt funktionieren“, so Jopp. „Damit beweisen die Träger ihre Zugehörigkeit zu einer Szene von coolen und trendbewussten Männern, die auf solides Handwerk und Qualität achten.“
Fazit der Designer: Die Gäste im Café Paris sind geschmackvoll gekleidet, ohne zu sehr aufzufallen, was typisch für die Hamburger ist. Man kann sehr gut die Vorliebe für ausgewählte Lieblingsstücke wie den Kaschmirpullover oder den hellen Anzug ablesen. Kleidung ist in Hamburg kein Statement wie etwa in Berlin, wo man auf die Straße geht und mit seinen Klamotten „Hey, guckt mal alle her“ sagen will.
Die neue Reihe „Hamburger Stilkritik“ erscheint in loser Folge im Abendblatt