Hamburg. Constantin Urmersbach stammt aus einer Gastronomenfamilie und arbeitet dort, wo sein Vater Holger einst den Ratsweinkeller führte.

Ob der Vater die getrüffelte Kartoffelsuppe auf die Speisekarte gesetzt hätte? Eher nicht. Das frische Nordsee-Krabbenschwarzbrot hingegen schon. Auch Klassiker der heimischen Hausmannskost wie Labskaus, Scholle oder Sauerfleisch standen schon zur Auswahl, als der bekannte Hamburger Gastronom Holger Urmersbach das Traditions-Restaurant im Gewölbe unter dem Hamburger Rathaus führte und hier 16 Jahre lang – bis zum Jahr 2006 – Gäste bewirtete.

Seit 2013 führt Holgers Sohn Con­stantin die Geschäfte im ehemaligen Ratsweinkeller, der sich heute – etwas zeitgemäßer – Parlament nennt und seitdem Speisen wie den Vegi-Burger mit Süßkartoffel-Fritten im Angebot hat. Ein Restaurant, in dessen Keller sich der Grundstein des von 1886 bis 1897 erbauten Hamburger Rathauses befindet, das heute für seinen aufgeschlossenen Service und die frische Küche bekannt ist. Dass es zuweilen recht laut ist und der Geräuschpegel dann tatsächlich an hitzige Debatten eines Rates erinnert, ist dem Umstand geschuldet, dass die riesigen Räume mit Deckengewölben und kleinen Fenstern nicht oder nur minimal verändert werden dürfen. Denkmalschutz. Dafür gibt es die geschichtsträchtige Atmosphäre als Amuse gueule.

Und auch die Familiengeschichte der Hamburger Gastronomenfamilie Urmersbach ist eng mit dem Ort verknüpft – und hat mittlerweile mindestens den Stellenwert eines nahen Verwandten. „Ich bin im Grunde hier aufgewachsen“, sagt Constantin Urmersbach und lässt seinen Blick derweil über die noch leeren Tische des Restaurants gleiten, vorbei an der langen Bar mit vielen polierten Flaschen, dem dunkelbraunen Holzboden. Noch herrscht hier kein Stimmgewirr, noch sind die Mittagesgäste unterwegs in der Stadt. Doch in einer knappen Stunde sollen die ersten Touristen hineingeführt werden, dann kommen Hamburger Kaufleute, Politiker von „oben“, Stammgäste zum Mittagstisch.

Im ehemaligen Ratsweinkeller speist Politiker neben Tourist

Ab 12 Uhr brummt der Laden, die 180 Plätze werden meist zwei- bis dreifach belegt. „Es macht einen guten Teil des Umsatzes aus“, sagt Urmersbach, dessen andere Räume oft für Firmenfeiern, Bälle oder Motto-Partys gebucht werden. Glücklicherweise wird er mittlerweile in der Führung von seiner Frau Saskia unterstützt – was nicht selbstverständlich war: Die Juristin ist erst seit Beginn vergangenen Jahres im Gastronomiegeschäft und verantwortet Personal, Buchhaltung und Öffentlichkeitsarbeit. Während ihr Mann hier in jungen Jahren Teller wusch, als Küchenhilfe sein Taschengeld aufbesserte und auf der Terrasse im Innenhof des Rathauses kellnerte und ihm deshalb kein Ablauf fremd, keine Ecke des Betriebs unbekannt ist, war ihr Einstieg definitiv plötzlicher: „Ich hätte mir erst nie vorstellen können, hier mit meinem Mann zusammenzuarbeiten, ich habe die Gastronomie immer nur aus Gast-Sicht genossen“, sagt die 32-Jährige.“ Aber dann klappte es auf Anhieb so gut. „Heute kann ich natürlich vieles besser verstehen und weiß, dass man in der Gastronomie manchmal nicht planen kann – wenn die Eismaschine abends plötzlich kaputtgeht, dann muss man sich natürlich sofort darum kümmern“, sagt sie. Für beide sei es ein schönes Gefühl, für „sich selbst“ zu arbeiten. „Auch, wenn klar ist, dass wir in unserer Position eben nicht vier Wochen am Stück durch Amerika reisen können“, sagt sie. Abwechslung hätten sie im Parlament sowieso genug, meint Constantin Urmersbach: „Gastronomie ist eben keine Schraubenfabrik, sondern total vielseitig, kein Tag gleicht dem anderen.“ So erlebte er es als jüngster Spross einer Patchworkfamilie, in welcher der Vater Holger als Vollblut-Gastwirt 52 Jahre lang für seine unterschiedlichen Betriebe – darunter auch das jüngst geschlossene Traditionslokal „Cölln’s“ – alles gab. Hat Constantin Urmersbach zwischen neuer Menüfolge, Akquise von Abibällen, Firmenfeiern und Gästegesprächen eigentlich je Zeit gehabt, sich mit den „Fußstapfen“ des Vaters aus­einanderzusetzen? „Sicher, das ist ein Thema. Mein Vater und ich haben auch im ,Cölln’s‘ vier Jahre lang zusammengearbeitet – jedoch war er da klar derjenige, der das letzte Wort hatte. Hier treffe ich die Entscheidungen“, sagt er.

Aktuell kommt Vater Urmersbach, der auch 77-jährig noch als Gastronomieberater arbeitet, oft zum Mittagessen mit Sohn und Schwiegertochter im Parlament vorbei. „Für ihn war es anfangs sehr schwierig, er wollte mir natürlich nur helfen und Tipps geben, aber er musste akzeptieren, dass ich das hier nach meiner Art mache“, sagt der 35-jährige Geschäftsführer. „Ich habe auch einen etwas anderen Führungsstil, denke lieber zweimal über etwas nach. Mein Vater entscheidet eher aus dem Bauch heraus.“

Und wie so oft, wenn in der Familie der gleiche Beruf ausgeübt wird – hier noch potenziert durch die gleiche Wirkungsstätte – müssen beide Seiten die Entscheidungen des anderen respektieren lernen. Oder anerkennen? Mittlerweile fände Urmersbach senior die hellere Atmosphäre beispielsweise vorteilhaft – und er probiere aufgeschlossen neue Gerichte der Karte aus.

Mittagstisch von 11.30 Uhr bis 17 Uhr mit Gerichten wie Kalbsleber, Kabeljaufilet oder Gemüse-Cous-Cous ab 8,90 Euro.Die Abendkarte bietet Klassiker wie Kalbsschnitzel mit einem lauwarmen Kartoffel-Gurken Salat (22,90 Euro) oder süß-sauer eingelegte Bratheringe mit Bratkartoffeln (15,90 Euro) und moderne Gerichte wie Flammkuchen-Variationen ab 10,50 Euro.