Hamburg. Gerade wurde Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister wiedergewählt. Eigentlich wollte er in Berlin Karriere machen. Porträt eines Machtmenschen.

52,6 Prozent.Selten war eine Mehrheit eine so brutale Niederlage. Sein persönliches Waterloo erlebte Olaf Scholz am 17. November 2003 in der RuhrCongress-Halle. Ein Jahr zuvor hatten ihn seine Parteifreunde noch mit 92 Prozent in das Amt des Generalsekretärs der deutschen Sozialdemokratie getragen, nun war er der Watschenmann. Scholz wurde an diesem Abend in Bochum zum Sündenbock aller Widerständler gegen den Wandel, der Haderer mit den Hartz-Reformen, der Abweichler von der Agenda 2010. 52,6 Prozent ohne Gegenkandidaten, das ist wie ein 0:6 in Paderborn, Schneeschauer im Sommerurlaub oder Frank Castorf als Chefdramaturg am Ohnsorg Theater. 52,6 Prozent sind weniger eine Wahl als vielmehr eine Abwahl mit anderen Mitteln. Innerhalb weniger Monate war ein Hoffnungsträger der SPD zum Sorgenkind abgestiegen. Wie konnte das passieren?

Ganz überraschend kam diese Demütigung nicht, in der SPD des Jahres 2003 gärte es. Kanzler Gerhard Schröder hatte das Land und die Partei auf einen radikalen wie überraschenden Reformkurs gebracht. Statt eines Weiter-so-Gewurstels setzte Rot-Grün nun seine Agenda 2010 um. Deutschland war damals Weltmeister der schlechten Laune, die Wirtschaft schwächelte seit der Jahrtausendwende, die Arbeitslosigkeit und das Defizit stiegen um die Wette, eine geradezu hysterische Reform-Debatte tobte durch die Talkshows. Europaweit spotteten Politiker und Medien über den „kranken Mann“ im Herzen des Kontinents.

Verantwortlich für die Krankheit machten die Deutschen ihre Regierung, doch die Medizin dagegen nahmen sie Rot-Grün auch übel: Eine Wahl nach der nächsten ging verloren, Mitglieder schickten dutzendfach ihre Parteibücher zurück, die Kritik an den Reformen wuchs von Tag zu Tag. Ein zentraler Verkäufer der Agenda 2010 war Generalsekretär Olaf Scholz, ein Ritter von der traurigen Gestalt, von den Medien wegen seiner Stanzen als „Scholzomat“ verspottet, von den Parteifreunden verachtet. Und als ob das alles nicht genug wäre, standen vor der RuhrCongress-Halle nun 6000 Gewerkschafter, pfiffen, buhten und skandierten „Räuber, Räuber“.

Vor dem Parteitag in Bochum hatte der Politiker aus Altona einen seltenen Einblick in seine Seele gewährt, in einem Interview eingestanden, dass die beißende Kritik der zurückliegenden Wochen Spuren hinterlassen habe: „Jeder, den das unberührt ließe, bedürfte einer eingehenden Behandlung“, sagte Scholz. Und drohte: Er werde nicht jedes Ergebnis mit Demut hinnehmen.

Wegbegleiter erinnern sich, wie ein konsternierter Olaf Scholz am Abend mit Gerhard Schröder zusammensaß, an ihrer Seite die Ehefrauen.

Olaf Scholz mit Gerhard Schröder im Jahre 2011
Olaf Scholz mit Gerhard Schröder im Jahre 2011 © dpa | Maurizio Gambarini

Vier Personen in der großen, fast menschenleeren Halle, ein Bild der politischen Einsamkeit. „So geknickt habe ich ihn nie gesehen“, sagt ein Vertrauter. Kurz darauf tauchte der gedemütigte General ab, und der Kanzler drehte auf. Er bezog Scholz’ Ergebnis auf sich. Niedersächsische Spitzensozis, die Scholz an diesem Abend kollektiv die Gefolgschaft verweigert haben sollen, blaffte Schröder in der Hotelbar an: „Gerade von euch hätte ich das nicht erwartet“, das sei eine „Sauerei“. „Euch mache ich fertig!“ – Szenen einer zerrütteten Partei.

Und auch nach dem Parteitag von Bochum wurde es nicht besser. Die „Rache der Ohnmächtigen“ pflanzte sich fort. Im März 2004 trat Gerhard Schröder als Parteichef zurück, mit ihm musste auch Scholz seinen Platz räumen. Olaf Scholz, als großes Polittalent gestartet, trat von der großen Berliner Bühne ab.

DER AUFSTIEG

Dabei hatte sechs Jahre zuvor alles so gut angefangen. 1998 wählten die Hamburger den damals 40-Jährigen zum ersten Mal in den Bundestag. Hinter ihm lag schon eine beachtliche Parteikarriere. 1975 war er als Gymnasiast in die SPD eingetreten – „wegen Helmut Schmidt“, wie er später einmal sagte. Politisch allerdings war der junge Scholz auf einem anderen Flügel unterwegs: Als Jungsozialist gab er den überzeugten Kapitalismuskritiker und glaubte an den Sozialismus. „Er war ein Apparatschik, der wie versteinert zuhörte und uns dann in langatmigen Reden die wahre Lehre eintrichtern wollte – ohne ein Lächeln“, erinnerte sich später ein Juso.

Scholz wird in den 70ern politisiert, in denen es schon an Schulen um die Weltrevolution geht und Demonstrationen Teil der Jugendkultur sind. Er ist ein Kind seiner Zeit und Profiteur der sozialliberalen Bildungsoffensive, die erstmals vielen den Zugang an Gymnasien und Universitäten ermöglicht. „Ich zähle zu denen, die die Chance genutzt haben, das erste Mal in der Geschichte ihrer Familie Abitur zu machen und zu studieren“, sagt er in seiner Bochumer Rede. „Das habe ich wie viele andere dem Engagement der eigenen Eltern, aber auch dem Engagement sozialdemokratischer Bildungspolitiker zu verdanken.“ Sein Elternhaus in Rahlstedt ist linksliberal, die Großeltern waren Eisenbahnbeamte, seine Eltern sind in der Textilwirtschaft beschäftigt. Der Vater beginnt als Handelsvertreter und arbeitet sich zum Geschäftsführer mehrerer Textilunternehmen hoch.

Sohn Olaf arbeitet früh an seiner politischen Karriere. Nach dem Abitur am Gymnasium Heegen und dem Zivildienst studiert er in Hamburg Rechtswissenschaften im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung. Schon 1985 macht er sich als Anwalt, Partner von Zimmermann, Scholz und Partner, in Altona selbstständig. Neben dem Beruf ist er von 1982 bis 1988 stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, von 1987 bis 1989 auch Vizepräsident der International Union of Socialist Youth. 1994 wird er Chef der SPD Altona und gilt in der Partei schnell als Talent. Bürgermeister Henning Voscherau bringt den jungen Kreisvorsitzenden mit in eine Runde von Journalisten. Die kennen ihn kaum, bekommen aber zu hören: Olaf werde der kommende Mann der Hamburger SPD, so Voscherau.

Sogar Scholz’ Ehe mit Britta Ernst hat eine politische Dimension: Die heutige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein war immer auch seine Beraterin, sein Sparringspartner, sein Resonanzboden. Nicht zuletzt ihretwegen strebte er früh nach Berlin, damit sie in Hamburg als anerkannte Bildungspolitikerin Karriere machen kann. Es sollte anders kommen.

Die frühen Erfahrungen prägen den Politiker Scholz. Bei den Jungsozialisten lernt er das Einmaleins der Machtstrategie, in der Stamokap-Fraktion das analytische Denken und die Ausdauer, als Arbeitsrechtler, sich rasch in komplexe Fragen hineinzuarbeiten. „Als Anwalt hat er gelernt, dass 100 Wege zum Ziel führen“, sagt Staatsrat Wolfgang Schmidt, der Scholz seit Jahrzehnten kennt. „Er ist ein sehr guter Verhandler, auch weil er sich in die Rollen der anderen hineinzudenken vermag.“ Diese Kenntnisse und Fähigkeiten sichern seinen ersten großen Auftritt als junger Abgeordneter in Berlin.

Im Ausschuss für Arbeit und Soziales überrascht er Freund und Feind mit seinen Kompetenzen, die selbst manchen Ministerialreferenten blass aussehen lassen. Er belehrt sogar den Kanzler mit den Worten: „Gerd, das ist ein sehr kompliziertes Thema, bei dem sich nicht alle auskennen.“ Der nassforsche Auftritt des Hamburgers gefällt dem Kanzler. Mehrfach streut er, dass er den jungen Mann für ministrabel hält, er für Höheres geeignet sei. Sozis konstatieren erstaunt, Schröder habe „einen Narren an ihm gefressen“. Die beiden verbindet mehr als der gemeinsame Anwaltsberuf – sie begannen als Jusos ganz links, marschierten durch die Mitte und behielten die Macht stets im Blick.

DER INNENSENATOR

Doch die Berliner Karriere wird ausgerechnet in Hamburg jäh ausgebremst. 2000 wird Scholz SPD-Landesvorsitzender an der Elbe, machtstrategisch eher ein Amt, das den Aufstieg in Berlin beschleunigen soll. Doch dann geht in der Heimat einiges schief: Der rot-grüne Senat gerät durch massive Fehler im Bereich der Inneren Sicherheit unter Druck. Spektakuläre Kriminalfälle erschüttern die Hansestadt, die offene Drogenszene am Hauptbahnhof empört die Bürger, Medien schüren ein Gefühl der inneren Unsicherheit. Vier Monate vor der Bürgerschaftswahl wächst der Druck auf die SPD täglich – auch durch das Erstarken des Populisten Ronald Barnabas Schill und seiner neu gegründeten Partei Rechtsstaatlicher Offensive.

Nachdem der glücklose Innensenator Hartmut Wrocklage hinwirft, kommt die Stunde von Olaf Scholz. Der 42-Jährige, der als Parteichef die Politik Wrocklages mitgetragen und ihn bis zuletzt verteidigt hat, wechselt zurück nach Hamburg und beginnt aufzuräumen. „Scholz hat die Lage anders als einige andere im Senat realistisch eingeschätzt“, sagt Ludwig Rademacher, damals Senatssprecher. „Die SPD lief Gefahr, die Macht zu verlieren und musste den Kurs korrigieren.“ Zum Entsetzen der linken Szene, aber auch einiger Parteifreunde macht Scholz den Schill. „Ich bin liberal, aber nicht doof“, lautet die Überschrift eines radikalen Kurswechsels: Der vermeintliche Exponent des linken SPD-Flügels sagt Rauschgifthändlern den Kampf an und schreckt vor dem Einsatz von Brechmitteln nicht zurück. Auch der Herztod eines Dealers nach seiner Amtszeit ändert nichts an seiner grundsätzlichen Haltung, der Brechmitteleinsatz bleibt wie die geschlossene Unterbringung für jugendliche Intensivtäter Teil sozialdemokratischer Innenpolitik.

Die linke Szene schäumt, Schill und Scholz werden zu Scholl und Schilz verspottet, zu Brüdern im Geiste; die Partei Regenbogen, ein Vorläufer der Linken, verteilt sogar Streichholzschachteln mit der Aufschrift Hamburger Brechmittel – innen ist ein Bild von Olaf Scholz zu sehen.

Diese Kampagne half Scholz damals nicht
Diese Kampagne half Scholz damals nicht © AndrŽ Zand-Vakili | AndrŽ Zand-Vakili

„Das hat ihn nicht tangiert. Er ist souverän, das wirkt schon mal als dickfellig gegenüber Kritikern und Gegnern“, sagt Rademacher. „Als Scholz in den Senat kam, galt er sofort als Schwergewicht, und unübersehbar war der Wille, alles 150-prozentig zu machen, in der Situation sicherlich auch machen zu müssen.“ Innerhalb kürzester Zeit verbessert er die Situation am Hauptbahnhof und drängt die Dealer zurück. Johannes Kahrs, mächtiger Netzwerker der SPD und Sprecher des rechten Seeheimer Kreises, der Scholz seit einem Vierteljahrhundert kennt, betont: „Olaf hat sich immer als Linker verortet, er war es aber eigentlich nie.“

Er rettet, was zu retten ist: Das SPD-Ergebnis verbessert sich bei der Bürgerschaftswahl 2001 sogar leicht; die rot-grüne Regierung aber ist wegen der hohen Verluste der GAL nicht zu retten. Wenige Tage vor der Wahl nimmt die Weltgeschichte einen neuen Lauf. Am 11. September 2001 steuern Al-Qaida-Terroristen zwei gekaperte Flugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Center in New York. „Das waren die dramatischsten Tage meines Lebens“, sagt Scholz später. „Die Erinnerungen daran werden mich bis an mein Lebensende nicht verlassen.“

Schnell wird klar: Einige der Terroristen lebten als Studenten in Harburg, der Hamburger Innensenator Olaf Scholz rückt plötzlich in den Mittelpunkt des weltweiten Interesses. In einer dramatischen Nacht müssen die Hamburger alle Spuren sichern: Der Führungsstab der Innenbehörde aktiviert nach Feierabend das Einwohnerzentralamt, Bezirksämter, den Verfassungsschutz, den Staatsschutz. „Wir haben die Apparate unglaublich schnell hochgefahren – da habe ich gespürt, dass wir in einem gut regierten Land leben“, so Scholz. „In diesen Stunden habe ich nur ordentliche Leute getroffen.“

Es ist eine der Nächte, die große Politiker gebiert – wie einst die Sturmflutnacht, die einen Innensenator namens Helmut Schmidt republikweit bekannt machte. Scholz bleibt die ganze Nacht im Polizeipräsidium, erst am nächsten Morgen fährt er kurz nach Hause, um zu duschen, den Anzug zu wechseln. Danach geht es zurück nach Alsterdorf ins Polizeipräsidium, wo 15 Kamerateams und 80 Journalisten warten. „Da war die ganze Weltpresse.“ Scholz’ größter Auftritt ist einer, auf den er gut hätte verzichten können. Aber es ist eine Feuertaufe. Scholz macht in diesen vier Monaten mit, was andere in vier Jahrzehnten nicht erleben – einen Crashkurs in Realpolitik.

Wenige Tage später ist er seinen Job los. Beim Auszug aus der Innenbehörde am Johanniswall, erinnern sich Parteifreunde, habe Scholz einen aufgeräumten Eindruck gemacht. „Es ist schön, abgewählt zu sein“, sagt der 43-Jährige. Ein Satz, typisch für Scholz und seine Lust auf Ironie – bei der man aber nie weiß, wie viel Ernst darin steckt. Immerhin ahnt Scholz, dass der Machtverlust der SPD in Hamburg für ihn ein Gewinn werden kann. Ende September 2002 ist er wieder da, wo er sich zu dieser Zeit am wohlsten fühlte – im Deutschen Bundestag, im Zentrum der Macht.

Seine Karriere stürmt voran. Die Koffer sind noch nicht ausgepackt, da zählt er zu den mächtigsten Männern im Land. Schröder macht ihn am 30. September 2002 zu seinem Generalsekretär. Typisch unprätentiös beschreibt er die Kür kurze Zeit später: „Der Kanzler hat mich am Dienstag während der Fraktionssitzung gefragt, ob ich Generalsekretär werden wollte, und ich habe das mit Ja beantwortet. Ganz ehrlich: Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nichts von solchen Plänen.“

DER GENERAL

Seine Mission ist fast unmöglich und erinnert an die Operation Innere Sicherheit. Nun muss er das Land neu gestalten. Und noch schwieriger: die eigene Partei von der Sinnhaftigkeit dieser schmerzhaften Reformen überzeugen. „Er ist energisch, hochintelligent, fleißig bis zum Erbrechen – ein richtiges politisches Tier“, beschrieb ihn Johannes Kahrs einmal. Aber ob das für diese Aufgabe reicht?

Scholz stößt in seiner neuen Aufgabe rasch an seine Grenzen, seine limitierte Rhetorik steht ihm im Weg. Er spricht in den Parteigremien genauso wie auf Pressekonferenzen: technokratisch, dröge wie Knäckebrot. Seine Sprache ist mitunter verquast, seine Stimme moduliert wenig. Er ist kein Mann für die Bierzelte, sondern für Ausschüsse, er erzählt wenig, er referiert zu viel. Er erreicht die Hirne, aber kaum die Herzen – doch auf die kommt es in dieser Situation an, gerade in seiner verstörten Partei, in der vieles, was ewig galt, plötzlich falsch sein soll. Er dringt bei den Genossen kaum durch: „Wir erneuern den Sozialstaat mit Herz und Verstand“, sagt er. Doch die Genossen verlangen Leidenschaft. „Wir sind die Partei des Fortschritts“, sagt er.

Doch der macht vielen Sozialdemokraten Angst. „Wir haben Perspektiven für die Zukunft; für Themen wie Bildung, Forschung, Innovation oder Kinderbetreuung lassen sich Sozialdemokraten begeistern“, betont er. Es klingt wie das Pfeifen im Walde. Seine kühle, nüchterne Art macht die Sache nicht leichter. Die Medien schießen sich auf ihn ein, die „Zeit“ erfindet das böse Wort vom „Scholzomat“. Über seinen Satz von der „Lufthoheit über den Kinderbetten“ empört sich die halbe Republik. Scholz kommt die undankbare Aufgabe zu, das Unkommentierbare zu kommentieren. Als Schröder im Parteipräsidium tobt, wenn einer meine, es besser zu können, solle er sich melden, sagt Scholz der Presse: „Zu der gegenwärtigen Situation hat es eine konstruktive Diskussion gegeben, die mit dem Ergebnis endete, dass der Kurs der Regierungspolitik nicht geändert werden muss“. Sollte Scholz eines Tages aus der Politik aussteigen, einen Job als Unternehmenssprecher fände er überall.

Auch aus der Partei weht ihm der Wind ins Gesicht. Die Linken sind entsetzt, allein seinen Versuch, den Begriff „demokratischer Sozialismus“ im Grundsatzprogramm infrage zu stellen, verstehen sie als Frontalangriff. Den Rechten gehen die Reformen nicht weit genug. Die einen schimpfen ihn einen „Opportunisten“ oder „des Kanzlers Papagei“, die anderen verspotten ihn als „Beton-Olaf“ und Technokraten.

Heute fallen die Urteile deutlich versöhnlicher aus. Johannes Kahrs, nicht unbedingt ein Scholzianer, lobt ihn jetzt: „Schon als Generalsekretär hat er immer gestanden, ist nicht geeiert, nicht gekippt. Er hat Haltung.“

Nach nicht einmal 18 Monaten hat das Elend für Scholz ein Ende – am 21. März 2004 tritt er als Generalsekretär ab. Drei Wochen zuvor musste er noch eine krachende Niederlage kommentieren: In Hamburg, der durch und durch roten Stadt, hatte die CDU die absolute Mehrheit erobert.

Kurz darauf wird es still um Scholz. Der Mann, bis dahin gefragter Interviewpartner zur Agenda 2010, muss zurück in die zweite Reihe. Statt Perspektiven fürs Land darzulegen, begrüßt er plötzlich in Presseerklärungen die „Sonderabgabe auf alkoholhaltige Limonade“. Willkommen auf der Hinterbank.

Er hat nie schmutzige Wäsche gewaschen, sich nie öffentlich ausgeheult. Über die Verletzungen sagt er stets nur „Don’t complain, don’t explain“, beschwere dich nicht, rede nicht drüber.

Olaf Scholz beim Neujahrsempfang
Olaf Scholz beim Neujahrsempfang © HA / A.Laible | Andreas Laible

Er hat einen Schutzpanzer um sich gebaut, auch alles Private schirmt er konsequent ab. Scholz lebt bis heute in derselben Vierzimmerwohnung in Altona, in die er schon in den 90er-Jahren – damals in einer Wohngemeinschaft mit dem heutigen Staatsrat Andreas Rieckhof – gezogen war. Er mag Kochen, Wandern, Literatur, Jazz, als Kind hat er Oboe gespielt – derlei Bekenntnisse sind das Höchste der Gefühle. Selbst wenn die Grenzen zwischen Privatem und Politischem zu verschwimmen drohen: Im kleinen Kreis, wenn alle Kameras und Mikrofone aus sind, bleibt Scholz spröde. Er ironisiert hier und da, manchmal lacht er etwas zu laut kieksend über den eigenen Witz, ins Plaudern kommt er selten, ins Lästern nie.

Kahrs konstatiert: „Aus seinen Niederlagen 2001 und 2004 hat er richtig viel gelernt.“ Er hat hart an sich gearbeitet – und auch äußerlich wirkt er heute anders als vor einem Jahrzehnt. War er früher etwas dicklich und trug das lichte Haar unvorteilhaft auf der durchschimmernden Kopfhaut, wirkt er seit Jahren sportlich und dynamisch. Er macht Sport – läuft schon frühmorgens an der Elbe entlang oder setzt sich ins Ruderboot.

Die Zeit in der zweiten Reihe nutzt er zu einer persönlichen Bestandsaufnahme. „Er hat für sich die Probleme und Herausforderungen für Deutschland niedergeschrieben – und seine eigenen Positionen dazu“, sagt Wolfgang Schmidt. „Damit hat er ein Gesamtbild seiner Politik entworfen. Ich glaube, davon zehrt er bis heute.“

Schon nach der nächsten Wahl ist Scholz wieder da. „Er scheitert nie ganz, er scheitert als Scholz“, formulierte es die „taz“ einmal sehr treffend.

Im Oktober 2005 wird er Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD – eine Art zweiter Mann in der Fraktion. „Das ist eine der spannendsten Aufgaben, die die Politik zu vergeben hat“, sagt Scholz, er ist einer der zentralen Verhandler des Koalitionsvertrags. Das Amt ist für ihn maßgeschneidert – er steht weniger im Rampenlicht, kann mehr im Hintergrund arbeiten. „Der Job als Parlamentarischer Geschäftsführer war das Ticket in sein nächstes Leben“, sagt Kahrs.

Doch Anfang 2007 droht ihm seine Hamburger Heimat erneut, seine Karrierepläne zu durchkreuzen. Die Hamburger SPD zerlegt sich selbst, Intrigen und Grabenkämpfe erschüttern die Partei, die Urwahl des Spitzenkandidaten zwischen Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt endet in einem Fiasko. Ein Genosse stiehlt fast 1000 Stimmzettel, die Wahl muss annulliert werden, die stolze Hamburger Sozialdemokratie steht vor einem Scherbenhaufen. Quertreiber hatten die Spitzenkandidatur von Mathias Petersen kriminell verhindert – kopflos stand die SPD da. „Menschlich unanständig, politisch unzulässig und verfahrensmäßig undemokratisch“, konstatiert später ein parteiinterner Untersuchungsbericht.

Ein Himmelfahrtskommando war damals ein Sonntagsspaziergang gegen die Spitzenkandidatur in der Hamburger SPD. Auch Henning Voscherau winkt ab – „aus Rücksicht auf meine Familie“. Als alle schon mit dem bundespolitischen Spitzenpolitiker Olaf Scholz rechnen, zieht dieser einen Überraschungskandidaten aus dem Hut: den ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann, der sich 2008 Respekt verdient und relativ knapp verliert. Seine größte Tat für die Sozialdemokraten aber ist: Er hält Scholz im entscheidenden Moment den Rücken frei.

DER BUNDESARBEITSMINISTER

Im November 2007 kommt Scholz’ große Stunde – nach dem Rücktritt von Franz Müntefering wird er Arbeitsminister. „Ich habe das Gefühl, ich bin jetzt an der richtigen Stelle“, sagt er. Er kann gestalten, führen – und das auf einem Gebiet, das er anders als in der Politik üblich als Experte durchdringt. Schon 2001 hat er öffentlich von der Work-Life-Balance gesprochen, als viele Journalisten den Begriff noch im Duden nachschlagen mussten; 2004 prognostizierte er, dass es in ein paar Jahren auch in Deutschland Mindestlöhne geben wird.

Nun kann er es allen zeigen, den Medien, den Bürgern, seiner Partei. Und er schafft es – durch die schwerste Rezession nach dem Krieg infolge der Finanzkrise steuert er besonnen und überlegt. Helmut Schmidt, der sonst wenig Sonne neben sich duldet, adelt Scholz später mit der Aussage, zwei Politiker hätten dafür gesorgt, dass Deutschland gut durch die Krise gekommen sei: Finanzminister Peer Steinbrück und Arbeitsminister Olaf Scholz.

Der einst so umstrittene SPD-General Scholz wird plötzlich für höchste Parteiämter gehandelt. Kurt Beck will ihn 2008 gern zu seinem Nachfolger als Parteichef machen, einige sehen ihn 2009 sogar schon als SPD-Fraktionschef. „Die Kurzarbeiterregelung war ein Meilenstein – da hat er sich die Sympathien zurückerobert, die er als Generalsekretär verloren hatte“, lobt Kahrs.

Zuhause aber hilft das wenig, die Partei kommt nicht aus der Krise: Bei der Bundestagswahl 2009 stürzt die Hamburger SPD auf 27,4 Prozent und verliert die Hälfte der Direktmandate. Im November schließlich muss Olaf Scholz wieder Landesvorsitzender werden. Das Hamburger Abendblatt kommentierte damals: „Wer jetzt bereit ist, Landesvorsitzender der daniederliegenden Hamburger SPD zu werden, muss über eine unendliche Leidensfähigkeit verfügen ... oder aber er ist von tiefem Pflichtgefühl für die Sozialdemokratie geprägt.“ Und eine dritte Erklärung mag gelten: Scholz wollte das Unmögliche möglich machen und so seinen Kurswert in der SPD erhöhen. Er beginnt mit einer Kampfansage: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Und hält Wort: Er eint die Partei, gibt ihr Schlagkraft zurück.

Sein Amt als Bundesarbeitsminister hatte ihm der Wähler ja genommen. Kanzlerin Angela Merkel hätte ihn sicher im Amt belassen. Sie, die ihm im Wesen nicht unähnlich ist, lobt ihn in Hintergrundgesprächen auffällig, hält ihn für einen „hervorragenden Politiker“.

DER BÜRGERMEISTER

Für einen solchen gibt es immer Verwendung. Und manchmal geht es schneller als gedacht. Schwarz-Grün dilettiert in Hamburg vor sich hin, erstmals liegt die SPD in Umfragen wieder vor der Union – und Scholz sogar vor Ole von Beust. Und so dauert es am Sonntag, dem 28. November 2010, nach dem spektakulären Platzen des schwarz-grünen Bündnisses keine drei Stunden, bevor der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion erklärt: „Ich will Hamburger Bürgermeister werden.“ Plötzlich strebt Scholz nach einem Amt, das ihn nie sonderlich interessiert hat – und das ihm viele auch gar nicht zutrauen. „Das Beschaulich-Repräsentative des Bürgermeisteramtes liegt ihm nicht“, werten damals Kommentatoren.

Dabei hat sich die Republik verändert – und der Anspruch an Politik. Die Machos, die Basta-Typen sind weder in der Politik noch in den Führungsetagen der Unternehmen noch sonderlich gefragt, die Zeit verlangt nach Zuverlässigkeit und Sachlichkeit, ja Pflichtbewusstsein. Spätestens mit dem unrühmlichen Abgang des Ministers Karl-Theodor zu Guttenberg fallen Blender und Charmeure im Kurs. Gerade in Hamburg ändern sich die Geschmäcker: Da wird die Elbphilharmonie, eine Vision aus Stein und Glas, im Hafen immer teurer, während schon das Räumen der Straßen von Eis die Politik überfordert. Scholz setzt nicht auf Visionen, sondern auf das Naheliegende.

Er ist kein Landesvater, sondern erster Angestellter, kein König Olaf, sondern Ingenieur der Macht. Er münzt seine Schwäche in eine Stärke um – seine Rhetorikschwäche ist jetzt Sachlichkeit. Talkshows meidet er mit der Begründung, es könne doch nicht sein, dass Politik sich darauf beschränkt, eine Meinung zu haben. Scholz ist der Anti-Guttenberg.

Und wieder nützt ihm, dass er ein akribischer Arbeiter ist, sich schnell und nachhaltig in neue Themen einarbeiten kann. Als scheidender Landesvorsitzender hatte er 2004 einen Satz gesagt, an den er sich später erinnert. „Um zu erfahren, was die Menschen in der Stadt bewegt, muss die SPD den Menschen mehr als bisher zuhören.“

Dabei helfen ihm auch seine Bürgersprechstunden, die er schon seit mehr als einem Jahrzehnt unter dem Namen „Scholz im Gespräch“ abhält. Ruhig und geduldig beantwortet er alle Fragen, bis auch der Letzte zufrieden ist. Und die Bürger, sie können für einen Berufspolitiker schon einmal anstrengend sein. Sie fragen nach Öffnungszeiten der Bücherhallen, dem Straßenbegleitgrün, den Flüchtlingen oder der Politik von Wladimir Putin. „Er hat Wissen, das sonst kaum ein Politiker hat, und kann zu jedem Thema etwas sagen“, sagt Schmidt. „Er ist Generalist und Spezialist in einem.“

Und er hat Glück. In einer Zeit, in der die SPD bundesweit leidet, erobert er im Februar 2011 aus dem Stand die absolute Mehrheit der Sitze. Die Ausgangssituation war günstig, weil Amtsinhaber Christoph Ahlhaus zu viele Fehler macht. Aber Scholz macht auch vieles richtig. Er verspricht wenig, aber das hält er. Und er macht eine überraschende Erfahrung: Er, der spröde Politikarbeiter, wird von den Hamburgern nicht nur geachtet, sie beginnen, ihn zu mögen. Für Scholz etwas Neues, das ihn selbstsicherer und weicher macht. „Er hat sich seit 2011 mehr verändert als in der Zeit bis 2011“, sagt ein enger Wegbegleiter. „Er geht mehr aus sich heraus.“ Das Amt, es verändert den Menschen. Eine Einschätzung, die auch andere in seinem Umfeld bestätigen: „Das Amt formt den Mann“, sagt Schmidt. Ein anderer betont: „Er ist bei sich angekommen, ist viel ausgeglichener als früher. Ich habe ihn selten so entspannt gesehen.“

Kritiker merken allerdings an, dass seine Selbstsicherheit mitunter in Überheblichkeit umschlägt. Das „Ich“ dominiert das „Wir“, manchmal grätscht er seinen Senatoren in ihre Alltagspolitik hinein. Wie heißt es bei Schiller: Der Starke ist am mächtigsten allein. „Sein Führungsstil wird bewundert, weil er ein Macher ist – und gehasst, weil er als undemokratisch gilt.“ Scholz provoziert, doch so lange die Zahlen stimmen, halten alle still.

Anders als seine Vorgänger versteht er sein Amt als Bürgermeister immer auch bundespolitisch. Er weiß um die Chance des Modellhaften, versucht, Hamburg zum Labor für den Bund zu machen. Er verordnet eine strikte Finanzpolitik, legt ein großes Wohnungsbauprogramm auf, baut die Kinderbetreuung aus und macht sie kostenfrei; alle einbürgerungsfähigen Ausländer schreibt er persönlich an, wirbt darum, dass sie Deutsche werden. Scholz will Hamburg zur „skandinavischsten Stadt Deutschlands“ machen. Der Bundesrat wird zum politischen Instrument, die Ideen der SPD auf Bundesebene durchzudrücken. Ob die Mietpreisbremse, das Makler-Bestellerprinzip oder die Frauenquote, sie nehmen in Hamburg Fahrt auf. 2011 drückt er es bescheiden aus: „Ich möchte gut regieren und arbeiten, sodass ich in vier Jahren wiedergewählt werde.“

Diesen Gefallen tun ihm die Hamburger. Am 15. Februar dieses Jahres gewinnt die SPD 45,7 Prozent – fast 30 Prozentpunkte mehr als die CDU. „Sein Meisterstück war die absolute Mehrheit in einem Fünf-Parteien-Parlament. Geradezu ein Kunststück, dies in einem Sechs-Parteien-Parlament noch einmal zu wiederholen“, sagt Kahrs. Geräuscharm drückt Scholz einen Koalitionsvertrag durch, der seine Handschrift trägt.

„Unglaublich, wie gut der vorbereitet ist“, schütteln grüne Verhandlungsführer den Kopf. „Unglaublich, wie schlecht die vorbereitet sind“, soll der Bürgermeister mitunter gedacht haben.

Solche Erfolge strahlen bis Berlin.

Olaf Scholz wiedergewählt

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    DER KANZLERKANDIDAT?

    „Scholz passt zu Hamburg. Ob das in Bayern und Thüringen auch so ist, wage ich zu bezweifeln“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Diese Argumentationslinie verfolgt auch SPD-Parteichef Sigmar Gabriel, dem in dem erfolgreichen Hamburger ein Konkurrent erwachsen ist. Noch am Abend der Hamburg-Wahl betont der Niedersachse, die SPD müsse Wahlen im „Süden und Südosten“ gewinnen, nicht nur im Norden. Schließlich lebten im Süden viele Menschen. Die Anhänger von Scholz hingegen verweisen auf Helmut Schmidt – der habe auch mit einem bürgerlichen Programm und einem unverkennbar norddeutschen Auftreten die SPD weit über 40 Prozent geführt. Ob Brandt, Schröder, Merkel oder Schmidt: Es ist auffällig, dass die Wähler zwischen Flensburg und Garmisch tendenziell Norddeutsche bevorzugen – ein Süddeutscher hat es im Norden viel schwerer als umgekehrt.

    Aber die Parteilinke hadert noch immer mit dem Agenda-2010-Verkäufer. Zwar loben auch Gegner seine Loyalität: „Olaf legt großen Wert darauf, dass er nicht schlecht über andere in der Partei redet, er wird übergreifend geschätzt.“ Aber seine Vergangenheit ist eben nicht vergessen. „Gerade vielen Linken auf den Bundesparteitagen ist er schwer vermittelbar“, sagt ein Sozialdemokrat. Und seine Herkunft auch nicht: „Hamburg gilt seit Helmut Schmidts Zeiten als rechtester Landesverband Deutschlands, als CSU der SPD.“ Scholz versteht sich als „Zen­trist“, Ralf Stegner, SPD-Landeschef in Schleswig-Holstein, nennt ihn halb bewundernd, halb ablehnend „Exponent des Flügels Scholz“.

    Beim Bundesparteitag 2013 bekam er für das Amt des Vizeparteichefs das schlechteste Ergebnis von 67,3 Prozent – Hannelore Kraft, SPD-Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, bekam 85,6 Prozent. Die SPD schätzt Scholz, sie liebt ihn aber nicht.

    Dafür haben viele Medien ihn in ihr Herz geschlossen. Der Publizist Wolfram Weimer nennt Scholz den „besseren Gabriel“, „Cicero“-Chefredakteur Christoph Schwennicke hält ihn zumindest für „die inoffizielle Nummer zwei in der SPD“, der „Spiegel“ sieht ihn als „eine Art männlicher Angela Merkel“. Die Wähler allerdings favorisieren nach einer aktuellen Umfrage Gabriel. Er kommt auf 33 Prozent, Scholz nur auf 27 Prozent. Auch die eigenen Leute sehen Gabriel mit 41 Prozent sechs Punkte vor Scholz. „Er drängt nicht“, sagen Scholz-Mitarbeiter. Aber zutrauen würde sich Scholz das Amt. „Wie alle guten Politiker glaubt er, er könnte es.“

    Fraglich bleibt, wie man Angela Merkel schlagen kann. Die Umfragedaten bewegen sich kaum, die SPD ist im 25-Prozent-Getto einbetoniert. Obwohl die Sozialdemokraten in den vergangenen eineinhalb Jahren die Richtlinien der Berliner Politik bestimmt haben und mit Mindestlohn, Frauenquote oder Rente nach 45 Beitragsjahren mehrere rote Herzensprojekte durchgesetzt haben, steigen die Werte nicht. Kürzlich bei der Vorstandsklausur Anfang Februar soll Gabriel die düstere Prognose abgegeben haben: „Zwischen Union, Grünen und Linkspartei bleibt uns nur ein Potenzial von 27 Prozent.“ Die Wahl scheint schon zweieinhalb Jahre vor dem Wahltag verloren.

    In der SPD gilt als ausgemacht, dass Sigmar Gabriel an der Spitzenkandidatur nicht vorbeikommen wird. „Das wird er dieses Mal machen müssen“, heißt es bei den Sozialdemokraten unisono. Diese Niederlage will ihm keiner abnehmen, Scholz sowieso nicht. Denn er könnte sogar als Sieger aus der Niederlage hervorgehen: Scheitert Gabriel, würde nach der Wahl der Posten des Parteichefs neu vergeben – hier gilt Scholz als ein Favorit. Und wäre damit möglicher Kanzlerkandidat für 2021. Er wird seiner Devise nicht untreu werden: Karrieren kann man nicht machen, sie müssen sich entwickeln. Eines hat Scholz seit Juso-Zeiten konsequent vermieden: Kampfkandidaturen. Die schaffen Feinde und bergen erhebliche Risiken. Er setzt auf Loyalität, er ist selbst loyal bis zum schütteren Haaransatz. Ihm fielen die Ämter irgendwann zu.

    Politik ist unberechenbar – und lässt sich auch nicht über mehrere Jahre im Voraus planen, Karrieren können schnell kippen, Koalitionen platzen, Ereignisse die Welt von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Sollte Gabriel wider Erwarten 2017 nicht antreten wollen, könnte eine Dynamik entstehen, in der Scholz die Kanzlerkandidatur gar nicht ablehnen kann. Es würde auch nicht zu ihm passen – er hat sich stets auch als Arbeiter im Weinberg der SPD verstanden. In der Partei hat er die wichtige Funktion des Vorsitzenden der Antragskommission inne, ein prägendes Amt, das einstmals Herbert Wehner und Hans-Jochen Vogel ausübten.

    Vorsorge für den Fall der Fälle betreibt er auch; selbst die internationale Bühne bespielt er. Angela Merkel nahm ihn mit zum Staatsbesuch in die Vereinigten Staaten. Auf der Frühjahrstagung der Evangelischen Akademie Tutzing, einer wichtigen Denkfabrik, referierte er über die deutsch-amerikanische Freundschaft, seit Kurzem ist er deutsch-französischer Kulturbeauftragter. Auch wenn man im Rathaus stöhnt, „wir haben ja sonst nichts zu tun“, wird es gemacht – wer weiß, wozu es nützt.

    Auch mit der Olympia-Bewerbung positioniert sich Hamburg neu auf der Weltkarte – und damit der Bürgermeister. „Mein größter Wunsch wäre es, 2024 Olympische Spiele in Hamburg als Bürgermeister zu eröffnen“, twitterte Scholz im Februar. Nur: Olympische Spiele eröffnet immer das Staatsoberhaupt ...

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