Hamburg. Gisbert zu Knyphausen spielte groß auf Kampnagel auf. Im Programm hatte er auch alte Songs mit Nils Koppruch.

Die romantischste Hervorbringung des Pop ist vermutlich (männlich gedacht) immer noch der von Trauer und Alleinsein umrankte Folksänger. Der braucht nur eine Gitarre, ein paar melancholische Weisen und ein für derlei empfängliches Publikum, fertig ist das Idealbild. Man könnte es auch als Klischee bezeichnen.

Als Gisbert zu Knyphausen am Freitagabend auf Kampnagel die Saiten seiner Gitarren streichelte und hieb, dachte man aber kaum je an Stereotype. Es war ein intimer Abend, wie man so schön sagt, also eine Gelegenheit, einen Musiker beinah ohne jegliche Effekte und technisches Brimborium (obwohl: schönes Licht) zu erleben. Vielleicht hat sich manch eine oder manch einer hier und da vorgestellt, den 45-Jährigen in noch kleinerem Rahmen zu erleben als in der Kulturfabrik. Lagerfeuer und so.

Gisbert zu Knyphausen auf Kampnagel: Berliner kehrt zurück nach Hamburg

In der großen Kampnagel-Halle loderte die Prä-Weihnachtsstimmung auf gar nicht so kleiner Flamme, ist alles immer eine Homecoming-Sache so kurz vorm Fest. Knyphausen, seit Langem Berliner, war ja selbst mal Hamburger; in dieser Phase entstanden seine besten Songs übrigens. Mit einem von ihnen, dem fürchterlich tollen „Kräne“, begann das Solokonzert: „Und ich warte auf den Abend/Und seine kühlende Hand/Unten am Fluss/Mit den Füßen im Sand und den Blick/Auf die gewaltigen Tiere/Mit metallenen Krallen/Mit Neonlicht-Augen/Und die Container, die fallen/Unter grandiosem Gepolter/In den hungrigen Bauch/Eines uralten Frachters/Und mein Herz, es poltert auch“.

Ach, diese Verse. Sie bringen selbst den stärksten Mann zum Weinen. „Kräne“ ist auch ein Hamburg-Lied, vielleicht das tollste. Gisbert zu Knyphausen veröffentlicht eher selten neue Stücke und Alben, sein letztes reguläres Soloalbum „Das Licht dieser Welt“ 2017. Danach gab es noch ein paar Schubert-Cover und ein Album mit der Band Husten. Von Letzterem spielte Knyphausen ein paar Nummern.

Statt langer Gespräche – Gisbert zu Knyphausen konzentriert sich auf Musik

Aber die lyrisch stets überzeugenden Weltschmerz-Variationen Knyphausens sind eh immer unverkennbar, egal, ob sie solo oder im Bandformat wie einst mit dem Hamburger Liedermacher Nils Koppruch (1965-2012) entstanden sind. An diesem Akustikabend kamen alle Epochen im Werk Gisbert zu Knyphausens zu ihrem Recht, aber am intensivsten doch die frühe Phase. Mit Songs wie „Erwischt“ und „Neues Jahr“ (will man jetzt nur noch unplugged hören!), die aufgrund der Nachdrücklichkeit des Vortrags kein Bandvolumen brauchten, um Power zu entfalten.

Als sich auf Schüchternheit verstehender Künstler sprach Gisbert zu Knyphausen nur das Nötigste zwischen den Stücken. Die konzentrierte Essenz des Abends war: die zauberhaft windschiefe Musik dieses zarten und harten Musikers. So viel Kummer mit dem Selbst und der Welt! „Ihr wisst ja, wie es ist bei meinen Konzerten, fröhlicher wird’s nur mal zwischendurch“, sagte er einmal. Gelächter. Applaus. Niemand wollte es anders. Knyphausens versiertes Gitarrenspiel war übrigens so engagiert, dass ihm eine Saite riss. Er hatte Ersatz dabei.

„Zaubertrick“ war der neue Song, auf den man unbedingt gehofft hatte, und „Das Leichteste der Welt“ erschien einem immer noch als der Hit, der es unbedingt ins Radio schaffen sollte. Aber was das angeht, hat man immer schon vergeblich gehofft.

Liedermacher der Herzen: Gisbert zu Knyphausen nimmt Kampnagel ein

Liebeslieder, Alltagslieder, Ich-Lieder: Der Liedermacher der Herzen nahm die Halle mit seinen Geschichten und Melodien im Sturm ein. Ein poetischer Eroberer mit Hang zum Understatement. „So viel Liebe, damit kann ich nicht umgehen“, sagte er nach dem Schlussapplaus und vor den Zugaben. Gerade in Hamburg lieben die Leute ihn, das wurde an diesem erhabenen Konzertabend sehr deutlich.

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Gisbert zu Knyphausen, der Mann, der will, dass sich die Melancholie „ins Knie“ fickt, aber ihr treu ergeben ist, verbreitete auf Kampnagel die richtigen Vibes fürs Jahresendgemüt. Wohlige Müdigkeit im aufgekratzten Modus, mit Blick darauf, dass da noch etwas kommt, und sei es der Kater nach Heiligabend.

Er wolle jetzt erst mal eine Konzertpause einlegen, teilte Gisbert zu Knyphausen am Ende mit. Neue Lieder will er schreiben. Und dann wiederkommen. Gut.