Hamburg. Tänzer Harald Beharie tritt beim Nordwind-Festival nackt auf, flirtet mit den Zuschauern, präsentiert sein Geschlechtsteil.
Ein Striptease ist das schonmal nicht, was Harald Beharie da macht. Der jamaikanisch-norwegische Tänzer ist von der ersten Minute an nackt, bekleidet einzig mit schwarzen Sneakers, Socken und Knieschonern. Also: kein Strip. Beharie bewegt die Hüften mit sinnlicher Qualität, er kreist den Kopf, seine langen Cornrows fliegen, immer wieder trinkt er Wasser und spuckt die Flüssigkeit wieder aus.
Dann wird der erotisch aufgeladene Körper zum Leib, zum Fleisch, das Öffnungen und Ausgänge hat, zu etwas, das mit Flüssigkeiten und Verflüssigungen zu tun hat. Und irgendwann reißt er sich die Perücke vom Kopf, um fortan kahl und aggressiv ins Publikum zu agieren. Beharies Solo „Batty Bwoy“, zu sehen beim Nordwind-Festival auf Kampnagel, ist immer ein bisschen anders als man zunächst dachte.
Harald Beharie flirtet mit den Zuschauern, präsentiert sein Geschlechtsteil
„Batty Bwoy“, das ist auf Jamaika und in der Dancehall-Musik eine abwertende Bezeichnung für queere Personen. Und Beharie ermächtigt sich dieser homophoben Beleidigung. Er flirtet mit den Zuschauern, er twerkt, er präsentiert sein Geschlechtsteil. Und dann weist er einen rüde zurück. Nennt ihr mich „Batty Bwoy“, dann gebe ich euch den „Batty Bwoy“, und das wird nicht angenehm.
Immer wieder tanzt er durch die Zuschauerreihen, schweißtreibend, aggressiv. Und tänzerisch überaus beeindruckend – das sind nicht nur unkoordinierte Bewegungen, das sind auch perfekt gesetzte Pirouetten, mit denen sich Beharie den Raum erobert. Andererseits, eine Pirouette in direkter Tuchfühlung ist eben auch eine Grenzüberschreitung, da kann sie noch so ansprechend getanzt sein. Und dazu dröhnt – nein, kein Dancehall, sondern ohrenzerrender Progrock. Immer ein bisschen anders als gedacht, leicht macht es einem Beharie nicht.
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Der Tanz ist aggressiv, er ist ironisch, er ist anstrengend, auch fürs Publikum. Und er ist auf eine hochkreative Weise radikal. Am Ende jedenfalls hat der Künstler sich den „Batty Bwoy“ als stolze Selbstbezeichnung zurückgeholt. Glückwunsch.
Batty Bwoy noch bis 15.12., 20.30, beim „Nordwind“-Festival, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de
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