Hamburg. Auf dem Konzert in der Inselpark Arena ist „minimal“ Stimmung und doch wird viel getanzt. Wie der Berliner Musiker diesen Gegensatz auflöst.

  • Ben Böhmer wechselt in der Inselpark Arena zwischen Mischpult und Synthesizer.
  • Das Publikum scheint von seiner Musik kaum tangiert.
  • Die große Masse bewegt sich wenig - doch auch in den letzten Reihen wird gewippt.

Deep House, Minimal House oder Progressive House: die ohnehin schwer definierbare Grenze der elektronischen House-Musik verschwimmt am Dienstagabend in der Inselpark Arena. Als Ben Böhmer die Bühne betritt, gehen Tausende Hände nach oben, lautes Gejohle wirkt wie ein sektenartig anmutendes Willkommensritual. Elektro-Experten und Techno-Mäuse – das ist sofort merklich, wie ein Ruck geht es durch die Menge – begeben sich in einen mentalen Tunnel.

Der Berliner Musiker beginnt sein Set am Synthesizer und spielt melancholisch-minimalistische Melodien ein. Auf dem großen Bildschirm hinter dem Mischpult fließen träge Visualisierungen in warmem Orange über die Fläche, ergänzt durch massenweise pulsierende Scheinwerfer. Als Ben Böhmer sich an das Mischpult begibt und den Beat vorgibt, werden unzählige weiße Sneaker im gleichmäßigen Takt auf den Boden getippt, viele Bauchtaschen schlackern auf vielen Oversized-Shirts.

Minimal House in Hamburg: Das Konzert von Ben Böhmer wird zum elektronischen Subkosmos

Die Location ist zwar nicht ausverkauft, aber dennoch sehr gut gefüllt. Rempler lassen sich nicht vermeiden, doch statt der üblichen Legitimation des ausgelassenen Alkoholkonsums entschuldigt sich der etwas ältere Herr unkonventionell: „Sorry, ich bin grad ein bisschen drauf.“ Soll natürlich nicht heißen, dass alle Besucherinnen und Besucher der pillenförmigen Spaßtabletten frönen, aber eine gewisse Überschneidung zwischen Elektro-Szene und Drogenkonsum ist sicherlich auch hier keine allzu steile These. Hauptsache, es bleibt freundlich.

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Schaut man sich das Spektakel von der Tribüne aus an, möchte man meinen, dass während des Konzerts nur wenig Stimmung aufkommt. Nach den anfänglichen Jubelbekundungen scheint das Wippen des Kopfes und das gleichmäßige Tippen der Beine das höchste der Gefühle. Eine riesige Menschenmasse bewegt sich scheinbar nur minimal im vorgegebenen Takt.

Ein elektronischer Sog: Die ganze Inselpark Arena wird zur Tanzfläche

Zurück auf dem Dancefloor – in der Inselpark Arena wird am Dienstag nämlich auf der gesamten Fläche gewippt und getippt, auch in den letzten Reihen – taucht man ein in diese Masse der Einzeltänzerinnen und Einzeltänzer, jeder und jede in ihrer eigenen elektronischen Welt gebannt, höchstens als Pärchen noch eng umschlungen tanzend.

Musik, Visualisierungen, Menschen: das alles bildet an diesem Abend eine untrennbare Einheit. Auf dem Bildschirm stürzen gleichgültige Sandmassen in unendliche Strudel hinein, jedes Sandkorn für sich in seiner eigenen Welt, angezogen von den Tiefen des hypnotisierenden Klangteppichs, den Ben Böhmer erschafft. Exakt so geht es auch den Besucherinnen und Besuchern: unwissentlich bilden sie eine Einheit, im Tanz jeder für sich und doch gemeinsam im Sog der Musik.

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