Hamburg. Der britische Tenor Ian Bostridge sang die Titelrolle von Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ aus dem Jahre 1607.

In einer gewundenen Melodie, mit Seufzern und Ausrufen beklagt ein Mann den Tod der Geliebten, begleitet nur von einer Laute und einer Harfe. Die Intimität und herzergreifende Unmittelbarkeit der Szene wirken auch nach mehr als 400 Jahren noch frisch. Der britische Tenor Ian Bostridge, Ausdruckskünstler par excellence, singt an einem Abend im Februar 2022 in der Elbphilharmonie die Titelrolle von Claudio Monteverdis „L’Orfeo“ aus dem Jahre 1607.

„Favola in musica“ nannte der Komponist seine Vertonung des Orpheus-Mythos, der Gattungsbegriff Oper war noch nicht erfunden. Eine Aufführung des „Orfeo“ ist ein Ausflug zu den Anfängen des Genres in eine für heutige Ohren ungewohnte Klangwelt. Akrobatische Arien und Renommierstückchen sind dem Werk völlig fremd. Nie geht es in den Gesangspartien um die Ausstellung rein vokaler Fertigkeiten, vielmehr gelten Konzentration und Ausdruck der traurigen Geschichte selbst: Orfeo erfährt, dass seine Gattin Euridice an einem Schlangenbiss gestorben ist. Er aber, dessen Gesang sogar wilde Tiere besänftigt, erweicht auch die Götter der Unterwelt und darf Euridice wieder auf die Erde zurückbringen. Allerdings unter der Bedingung, sie erst anzusehen, wenn sie das Totenreich verlassen haben. Was ihm nicht gelingen wird. Ein Menschheitsdrama.

Elbphilharmonie: Ian Bostridge und eine hervorragende Sängerriege

Zehn Gesangssolisten bietet der Abend auf, viele von ihnen singen zwei Rollen – Monteverdi hat, für damalige Verhältnisse, mit seinem Personal nicht gespart. Stellvertretend für die durchwegs hervorragende Sängerriege um Bostridge sei hier die Sopranistin Monica Piccinini als Euridice und Musica genannt. Selbst wenn sie ihre erlesenen Verzierungen bis ins Pianissimo herunterdimmt, ist ihr warm strömender Stimmklang noch zu hören. Das kann sie einfach, die Akustik des Großen Saals. Gerade das Zarte, Leise macht sie plastisch erlebbar.

Was in dem nicht einmal zwei Dutzend Köpfe starken Ensemble Europa Galante unter der Leitung ihres Konzertmeisters Fabio Biondi für ein Farbenreichtum steckt, darüber kann man nur staunen. Zwei Bratschen, Gambe, Cello und Bass klingen zusammen wie eine Orgel, so innig verschmelzen die Obertöne. Da erklingen Krummhörner, die optisch Tierhörnern ähneln, im Verbund mit vier wunderbar rau timbrierten Posaunen. Und die Barockharfe macht keine Zuckerguss-Arpeggi, sondern setzt strenge Kontrapunkte in der Basslage.

Und der wendige, vorbildlich textverständlich singende RIAS Kammerchor Berlin verleiht all den Geistern, Nymphen und Hirten Gestalt. Wie es sich gehört für eine antike Tragödie.