Hamburg. Das Ensemble Resonanz präsentierte Kit Armstrong und Musik von Prokofiew, Mendelssohn und Mozart im Großen Saal.

Für die eher zeitgenössisch ausgerichtete Stammkundschaft war die Ansage, die Tobias Rempe als Geschäftsführer des Ensemble Resonanz vor Konzertbeginn machte, nicht ganz unwichtig. Das hier sei eine „klassische Ü-100-Veranstaltung“, witzelte er und meinte damit nicht das Klischee vom angeblich schon mehr als scheintoten Klassik-Publikum; selbst das „jüngste“ Stück, die Erste von Prokofiew, habe immerhin 114 Jahre auf der Uhr.

Nichts Nagelneues also, wie sonst eine der Normen bei den Resonanzler-Konzepten, sondern ein Programm, dass sich auf ganz große Klassiker ausrichtet. Allerdings, und da steckte die zweite Pointe, auf nie ganz regelkonform „klassische“ Klassiker.

Konzertkritik: Etikettenflunkern in der Elbphiharmonie

Cleveres Etikettenflunkern war das Leitmotiv für den Abend im Großen Saal der Elbphilharmonie. Obwohl Prokofiews Erstling „Symphonie Classique“ genannt wurde, um sie altklüger zu machen, als sie ist, ist sie dieser Vergangenheit voraus; sie tat im frühen 20. Jahrhundert nur noch so, als wäre sie eine originale Antiquität aus der Epoche Haydns und Mozarts. Das aber sehr originell, mit kleinen, feinen Regelbrüchen und Ausreißern ins Vokabular späterer Stile.

Riccardo Minasi ist noch nicht damit aktenkundig geworden, dass er als Dirigent im Zweifelsfall lieber einen Gang zurückschaltet, er sprintete geradezu in dieses Stück. Kein Akzent blieb länger als möglich präsent. Das um einen Bläsersatz und Pauke aufgestockte Streicher-Ensemble hatte Spaß daran, mit diesen nicht immer vorhandenen Möglichkeits-Anbauten unübliches Repertoire zu erleben. Die Tempi: sehr schnittig, etwas Risiko darf es ja gern schon sein.

Armstrong nahm Herausforderung spielerisch

Nicht nur der Italiener Minasi, auch der US-amerikanische Pianist Kit Armstrong ist ein Freund der Streicher-Großfamilie, und ein weiteres Mal machten beide gemeinsam Bögen um Erwartbares. Das frühe 1. Klavierkonzert von Mendelssohn – nicht mehr nur „klassisch“, noch nicht durch und durch „romantisch“ – muss man in Programmen suchen, wie so vieles von ihm, das fälschlicherweise als unverbindlich harmlos abgetan wird.

Mag sein, dass es etwas einfacher zu spielen ist, als es wirkt, weil der Solist unentwegt alle Hände voll zu brillieren hat. Aber eben nur, wenn man zu dieser fröhlichen Leichtigkeit auch in der Lage ist. Armstrong nahm diese Herausforderung im direktesten Sinne des Wortes: spielerisch.

Armstrong warf sich ungebremst ins Presto

Seine Klanggestaltung hatte er konsequent darauf ausgerichtet – schlank und unmittelbar perlend, sehr nah am Puls dieser reizenden Musik. Armstrong fand trotz allen Spielens um des Spielens willen auch sehr elegant ins verträumt Lyrische des Mittelsatzes. Ins Presto warf er sich ungebremst, mit allem, was der Bechstein-Flügel an lichter Durchschlagskraft und elektrisierender Geläufigkeit zu geben in der Lage war.

Dass ein Pianist in einem Konzert vom Flügel an die Orgel wechselt, passiert praktisch nie. Armstrong, ohnehin ein Viel- und Hochbegabter, nutzte die Gelegenheit, um die letzte der sechs Mendelssohn-Orgelsonaten op. 65, allesamt Pflichtstücke für Fachpersonal, auf der Klais-Orgel vorzustellen.

Konzertkritik: Armstrong verstand Konzert als weich

Und wieder eine geschickte Lektion im Umdenken: Das Sonaten-Format an sich wird, schwer vereinfacht, gern als „klassisch“ betrachtet, Armstrong verstand Mendelssohns Meisterwerk über weite Strecken stark romantisierend, unhistorisierend und empfindsam weich, auf sanftere Klangfarben und -wirkungen ausgerichtet, nicht aufs kontrapunktische Rückgrat als Maß aller Variations-Vorgänge.

Letzter Konventions-Ausreißer war Mozarts „Prager“ Sinfonie. Ein Menuett weniger als von ihm und damals üblich, genügend Einfälle und Überrumpler für zwei Sinfonien. Spannend, wie theatral dramatisch Minasi sich temperamentvoll durch das Möglichkeits-Labyrinth der Adagio-Einleitung ins Werk vorarbeitete, von einem Charakter-Aufblitzen zum nächsten. Ab dort wurde es aber mehr und mehr überanstrengend für das heißgespielte Tutti. Die Hörner litten an und mit ihren Aufgaben, Balance und Innenspannung hielten nicht immer, was das Stück von ihnen verlangte.

Aufnahmen: Mozart Sinfonien Nr. 39 – 41. Ensemble Resonanz, Riccardo Minasi (harmonia mundi, 2 CDs, ca. 27 Euro). „William Byrd / John Bull. The Visionaries of Piano Music“ Kit Armstrong (DG, CD ca. 19 Euro). Am 12.4. wirkt das Ensemble Resonanz neben dem NDR-Orchester und dem NDR-Vokalensemble beim Benefiz-Konzert für die Ukraine in der Elbphilharmonie mit. Ausverkauft, evtl. Restkarten.