Hamburg. Regisseurin Katie Mitchell inszeniert ein Drama von Federico García Lorca. Ein Stück von beklemmender Aktualität, ein bemerkenswerter Abend.

Dunkel erhebt sich das Haus. Die sieben kleinen Räume im ersten Stock werden von funzeligen Nachttischlampen erhellt, die Stimmung ist von Anfang an gespenstisch, düster. Wie Gefängniszellen sehen die winzigen, bis auf die Randzimmer fensterlosen Kammern aus. Freudlos. Für Freude besteht auch wenig Anlass in Federico García Lorcas Klassiker „Bernarda Albas Haus“.

Der Hausherr – und zweite Ehemann der Matriarchin – ist gestorben. Die Mutter und die fünf Töchter kehren nach der Beerdigung in den Familiensitz mit seiner bleiernen Stimmung zurück. „Schau den Pastor an, wenn du schon einen Mann anschauen musst, und ihn auch nur, weil er einen Rock trägt“, faucht Julia Wieningers Witwe Bernarda. Wenn sie bei ihren Töchtern mit Befehlen nicht weiterkommt, schlägt sie auch mal zu.

Deutsches Schauspielhaus: „Bernarda Albas Haus“ verlangt dem Publikum viel ab

Die Themen in „Bernarda Albas Haus“, das der spanische Dichter 1936 kurz vor seiner Ermordung durch die Faschisten der spanischen Militärdiktatur verfasste, haben eine beklemmende Aktualität: Unterdrückung der Frau und ihres Begehrens, Generationenkonflikte, aber auch systematisierte Gewalt, Freiheitsentzug – und die Weitergabe von Traumata über Generationen hinweg. Am Schauspielhaus hat die britische Regisseurin Katie Mitchell eine aktuelle Überschreibung der Autorin Alice Birch, übersetzt von Ulrike Syha, in deutschsprachiger Erstaufführung als Dystopie inszeniert. Und da blitzt kein Hoffnungsschimmer auf, nirgends.

Der Abend bietet schwer verdauliche Kost. Acht Jahre Trauerzeit liegen vor den jungen Mädchen, die gerade erst beginnen, Sehnsüchte für ihr Leben zu entwickeln. Kurze Momente mit Popmusik am Smartphone sind der einzige Lichtblick. Stattdessen warten 20 Leinentücher darauf, in gleichförmigen Tagen von ihnen bestickt zu werden.

Pressefoto Schauspielhaus Bernarda Albas Haus
Keine Hoffnung, nirgendwo. Julia Wieninger in „Bernarda Albas Haus“. © Thomas Aurin | Thomas Aurin

Die Gespräche drehen sich um Männer, die Frauen entführen, vergewaltigen – und damit davonkommen. „Warum ist er nicht im Gefängnis?“, fragt Amanda. „Weil er ein Mann ist, Amanda. Weil Männer sich gegenseitig decken“, erklärt ihr Maria. Die verbittert-verhärtete Bernarda hat das patriarchale System derart verinnerlicht, dass sie es mit doppeltem Schrecken um jeden Preis aufrechterhalten will. Und bedingungslosen Gehorsam verlangt. „Eine Tochter, die nicht mehr gehorcht, ist nicht länger eine Tochter. Sie wird zu deinem Feind, und das ist allein ihre Entscheidung“, sagt sie und meint es auch. Sie schlägt die eine, verbrüht der anderen die Hand, ihre Worte verletzen wie Messerstiche.

Und es droht weiteres Unheil. Angustias (Eva Maria Nikolaus), die älteste und dank eines Erbes wohlhabende Tochter aus erster Ehe, darf als Einzige heiraten. Doch ihr Verlobter scheint vor allem an der Mitgift interessiert zu sein. Am vergitterten Tor, das in eine ungewisse Freiheit führt, trifft er sich neben ihr auch mit der jüngsten, gegen das System rebellierenden Tochter Adele (Linn Reusse). Er bleibt stumm, wie alle Männer schemenhafte Wesen sind, Statisten in diesem Frauenstück, doch das Geschehen, die Gesetze, die Moral bestimmen sie dennoch.

„Bernarda Albas Haus“ im Deutschen Schauspielhaus basiert auf einem musikalischen Prinzip

Katie Mitchells Augenmerk in der Regie liegt seit Jahren auf feministischen Perspektiven. Und auf starken Formexperimenten. Schon die Inszenierung von Alice Birch’s „Anatomie eines Suizids“ vor einigen Jahren hatte sie wie eine Fuge komponiert. Auch „Bernarda Albas Haus“ basiert auf einem musikalischen Prinzip. Häufig werden zwei Szenen parallel gesprochen. Die Sätze überlappen einander, wie eine wohlgesetzte Partitur, die einem festen Rhythmus folgt.

Dabei blickt das Publikum, in das von Alex Eales kunstvoll errichtete, unheilvolle Puppenhaus. Mit der Zeit lernt man, die Töchter auseinanderzuhalten. Die um Selbstbestimmtheit ringende Angustias der Eva Maria Nikolaus. Linn Reusses Adele, die einen Plan entwickelt, dem Gefängnis zu entfliehen. Josefine Israel als herbe, innerlich implodierende Magda. Henni Jörissen als verkrampft-gehemmte, von Eifersucht getriebene Mariche. Und Mayla Häuser als duldsame Amanda.

Schauspielhaus: Gelegentlich droht das Geschehen auf Telenovela-Niveau zu sacken

Dann ist da noch die von Demenz geplagte Großmutter Maria. Die wundervolle Bettina Stucky gibt sie mit einem anrührenden Wahn, der auch mal in Heftigkeit ausbricht. Meistens eingesperrt und am Ende mit allerlei Bandagen versehen, entkommt auch Maria der Gewalt im Hause nicht.

Gelegentlich droht das Geschehen auf Telenovela-Niveau zu sacken, wenn etwa die Hausangestellte Poncia (Luisa Taraz) versucht, als Stimme des Gewissens Bernarda zu Vernunft und Maß anzuhalten, doch stets bewahrt sich der Text seine Ernsthaftigkeit. Die Anspannung steigert sich, verstärkt durch die bedrohliche, auch auf Stimmen basierende, elektronische Tonspur von Melanie Wilson, bis zur unausweichlichen Katastrophe.

Die ineinander geschnittenen Dialoge verlangen ihm einiges an Konzentration ab

Technisch ist der Abend hochvirtuos inszeniert. Mit viel Gespür für Präzision meistert das Ensemble die Herausforderung der exakten Choreografie. Für das Publikum ist die nicht ohne Anstrengung. Die ineinander geschnittenen Dialoge verlangen einiges an Konzentration ab. Sie eröffnet aber auch starke Momente der Poesie – vor allem, wenn Maria von den Geistern ihrer Vorstellungskraft heimgesucht wird und dabei der Welt erstaunlich stärker zugewandt und innerlich freier wirkt, als alle anderen.

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Der Text verweigert den Frauen bis auf Angustias letztlich eine weibliche Selbstbehauptung und verweist damit auch auf die bereits bei Lorca eingeschriebene politische – nicht nur mit dem Katholizismus abrechnende – Lesart: Die Verteidigung der individuellen Freiheit gegenüber starren Autoritäten und einem System der Unfreiheit, das in die Selbstzerstörung mündet. Gemeinsam mit dem überzeugend sanft modernisierten Text entsteht ein zum Nachdenken anregender, bemerkenswerter Abend.

„Bernarda Albas Haus“ weitere Vorstellungen 14.11., 7.12., 26.12., 3.1., 8.1., 26.1. (16 Uhr), 3.2., 8.5., jew. 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de

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