Hamburg. Die Galerie Fine Art Editions lud zur Ausstellungseröffnung des Hamburgers NEAL in die Barlach Halle K – für die Gäste gab‘s Geschenke.

Als ein ohrenbetäubendes Sägegeräusch durch den Ausstellungsraum dröhnte, zuckten einige Gäste zusammen, und man dachte: „Nein, so weit gehen die hier jetzt nicht. Das großformatige Bild, das ein Mädchen mit Trumps Kopf zeigt, das sein Gehirn wie einen Luftballon davonfliegen lässt, wird nicht vor den Augen des Publikums geschreddert.“ So wie 2018 bei der Sotheby’s Auktion, als das Kunstwerk „Girl with Balloon“ des Streetart-Künstlers Banksy kurz nach dem Verkauf durch einen im Rahmen integrierten und versteckten Schredder in Streifen geschnitten wurde und für einen riesigen Kunstskandal sorgte.

Ein bisschen hatte man mit Überraschungsmomenten gerechnet bei der Vernissage, zu der am Freitagabend in die Barlach Halle K geladen worden war: Die Galerie Fine Art Editions zeigt dort eine Woche lang Werke aus zwölf Jahren Schaffenszeit von NEAL. Der Streetart-Künstler wird häufig als der „Hamburger Banksy“ bezeichnet: Er arbeitet vorwiegend nachts, seine häufig in Schwarz und Weiß gesprühten Schablonenbilder mit gesellschaftskritischer Botschaft ähneln Banksys Stil, er engagiert sich mit seiner Kunst für soziale Zwecke und will, ebenso wie Banksy, anonym bleiben. Die große Frage an dem Abend war natürlich: Kommt NEAL, oder kommt er nicht?

Ausstellung Hamburg – Coole Streetart und die große Frage: Wo bleibt der Künstler?

„Es heißt, er soll später am Abend auftauchen“, wusste Maya Riesebell, die den Künstler seit Langem kennt, schon ein Bild von ihm verschenkt hat und auch an dem Abend mehrere Werke im Blick hatte, etwa die Porträts von Kate Moss, die der Künstler im Stil von Andy Warhols Siebdrucken gestaltet hat. „Ich mag das Witzige und Subversive seiner Kunst.“

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Das ironische Trump-Bild von NEAL, das sich an Banksys „Girl with Balloon“ anlehnt, wurde zum Glück nicht geschreddert. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Umso größer war die Aufregung, als sich ein Mann im dunklen Anzug und einer Maske mit Gänseblümchen drauf auf ein Podest in die Mitte des Raumes setzte und an die Gäste kleinformatige Bilder verteilte, sich mit ihnen unterhielt und scherzte. Sofort machte die Runde, dass das ja doch der Künstler höchstpersönlich sein müsste. Fotografen, die sich auf ihn stürzten, teilte der Mann dann auch mit, sie sollten in der Bildunterschrift ruhig NEAL angeben. Und auch die Galeristen Peter Kohl und Felix Schwotzer ließen sich mit ihm bereitwillig ablichten.

NEALs Graffito an der Kunsthalle: „Muss man sich erst mal trauen!“

„Ich bin noch nie so gut in einer Ausstellung abgeholt worden“, schwärmte Fotograf Thies Ibold, der wie einige andere eins der begehrten Bilder ergattern konnte. „Ich war kaum vom Rad abgestiegen, und schon war ich mit dem Künstler im Gespräch. Es ist mir eigentlich auch egal, ob es nun NEAL oder jemand aus seinem Umfeld ist.“ Für seine Begleiterin Petra Bassen, Produktionsmanagerin in der Hamburger Kunsthalle, war die Ausstellung Pflichttermin, konnte sie sich doch noch allzu gut an die Aktion 2020 erinnern, als das Graffito eines vermummten Mannes in einem Bilderrahmen an der Südfassade des Museums prangte – und später als eine Arbeit von NEAL identifiziert wurde. „Das muss man sich erst mal trauen!“

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Die Arbeit „The Great Escape“ prangte 2020 an der Fassade der Kunsthalle und ist Titelgeber der Ausstellung, organisiert von Felix Schwotzer (l.) und Peter Kohl von der Galerie Fine Art Editions. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

„The Great Escape“ war als Statement während der Corona-Pandemie gedacht: Wenn das Publikum nicht in die Museen darf, muss die Kunst eben raus. Das Werk ist auch Titelgeber der Ausstellung und schmückt riesengroß den Eingang zur Barlach Halle K. „Ich finde einfach, dass NEAL ein guter Typ ist“, sagt Galerist Peter Kohl. „Bei jedem Bild denkt er sich etwas und hat etwas dazu zu erzählen.“ Natürlich kenne er den Künstler persönlich. „Es wäre ja auch komisch, mit einem Phantom Geschäfte zu machen. Er hat auch tatkräftig beim Auswählen und Hängen der Bilder mitgewirkt.“

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Gelungene Ausstellung: Dass NEAL nicht nur an öffentlichen Plätzen und Gebäuden sprüht, zeigt „The Great Escape“. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Dass NEAL unerkannt bleiben will, begründet sein Sohn Felix Schwotzer auch mit einer Vorsichtsmaßnahme: „Immerhin bewegt er sich mit dem Sprayen an öffentlichen Plätzen und Gebäuden am Rande der Illegalität.“

Kreativität auf Leinwänden: NEAL sprüht nicht nur auf der Straße

Dabei sind NEALs Motive nicht nur überall in Hamburg und sogar europaweit auf den Straßen zu finden; wie vielfältig und kreativ der Künstler ist, zeigen seine zahlreichen auf Leinwand gebrachten Bilder in der sehr gelungenen Ausstellung, bei denen er die Sprühtechnik mit Acrylmalerei verbindet. Von seinen populären Peacekeeper- und Comic-Motiven über eigens für die Ausstellung konzipierten Installationen wie der „Friedhof der Kuscheltiere“ oder der Altar mit Ehrungen an den Film „Der Pate“ bis zu zahlreichen Zitaten aus der Kunstgeschichte (Friedrichs „Eismeer“, van Goghs Blumenvase oder Dalis Stelzen-Elefant).

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Im Juni veranstalteten die Hamburger Galeristen bereits eine auch kommerziell sehr erfolgreiche Streetart-Show mit NEAL in Wien, von Hamburg erhoffen sie sich eine ähnlich positive Resonanz. Vollends salonfähig wird die Straßenkunst, wenn Anfang Dezember in der Kunsthalle die Ausstellung „Illusion. Traum – Identität – Wirklichkeit“ eröffnet: Dann nämlich wird ein Werk von NEAL in einem Raum mit Piet Mondrian und Gerhard Richter hängen.

„The Great Escape. 12 Jahre Streetart“ bis 1.11., Barlach Halle K (U Steinstraße), Klosterwall 13, täglich 11.00–20.00, Eintritt frei, www.barlach-halle-k.de

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