Hamburg. Heimatroman aus den Elbvororten: Karin Baron mixt in ihrem Roman die Hamburger Gegenwart mit der Geschichte der englischen Besatzung.
Wenn in den Angaben zur Autorin im Einband von der „Lieblings- und Lebensstadt Hamburg“ gesprochen wird, ist einerseits Vorsicht geboten. Zu viel Lokalpatriotismus für die, Hilfe, „schönste Stadt der Welt“ ist ein Rausschmeißer. Andererseits, wer hat ihn nicht, diesen soft spot für zum Beispiel die Beschreibungen Hamburger Quartiere am Fluss? Dafür muss man die Reichengettogegend gut kennen. Karin Baron, bislang vor allem mit Kinderbüchern in Erscheinung getreten, spricht ganz gut Blankenesisch. Sie weiß, dass Elbvorortler „ins Dorf“ fahren, wenn sie die Ortsmitte Blankeneses meinen.
Und in „Villa Flora: Das Geheimnis vom Elbhang“, ihrem ersten Buch für Erwachsene, spendiert Baron schon früh eine geballte Portion Blankenese-Romantik. Die Innenarchitektin Alex, eine der Heldinnen in diesem fast ausschließlich aus Heldinnen bestehenden Buch, ist auf dem Weg zu einer Kundin, durch enge Gassen geht es hinunter an die Elbe: „Im Treppenviertel war immer schon 14 Tage früher Frühling als anderswo im Dorf, denn die Sonne hielt sich gern dort auf, und die vielen Mauern entlang der Treppen speicherten ihre warmen Strahlen. Sogar Feigenbäume wuchsen in kleinen Gärten, als stünden sie in Patras oder Bergamo und nicht in Blankenese.“ Hübsch!
Blankenese: Ein Heimatroman aus den Elbvororten – mit Erbschleicher
Derlei lokale Koloraturen finden sich in diesem Heimatroman aus den Elbvororten zuhauf. Blankenese-Herrlichkeit wird, kein Wunder, mit Klischees angereichert. Für Alex, die Zugezogene, ist Blankenese als vermeintliche Bonzenhölle, in der „die Leute sonnabends angeblich im Daimler mit Chauffeur zum Markt fuhren, um ein Sträußchen Petersilie zu erwerben“, anfänglich ein Schrecknis gewesen. Nun lebt sie satt und zufrieden in den Straßen mit den großen Häusern. Ihr Interesse gilt vor allem der alten, etwas verwunschenen Edelhütte nebenan. Dort lebt die wunderliche alte Dame Flora Perleberg mit ihrem Mops Schmeling.
Als Alex mit ihrer Freundin Grit beobachtet, wie ein aufgebrezeltes Pärchen Flora regelmäßig seine Aufwartung macht, ahnen die beiden: Es sind Erbschleicher in Blankenese unterwegs! Flugs – praktischerweise ist die geschiedene, alleinerziehende Grit gerade auf der Suche nach einer neuen Behausung – wird eine WG in der Villa Floras organisiert, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Die exzentrische Flora wird hinfällig und trinkt gerne Sekt, gänzlich unbeaufsichtigt kann man sie nicht mehr lassen. Als eine Art Haushälterin ist Grit nun also engagiert, ihre Tochter Mira zieht mit ein und wenig später auch die junge französische Historikerin Claire, auf die Flora in einer Tierhandlung aufmerksam wurde. Dieser WG wird später Floras ganzer Dank gebühren.
Blankenese: Neues Buch „Villa Flora“ spielt in Hamburger Nobelgegend
Geistig ist Flora noch ganz gut beieinander: Neben dem Erbschleicher-Plot – die alleinstehende Villenbesitzerin hat tatsächlich ihre durchtriebene Steuerberaterin Barbara, die ständig mit ihrem Lebensgefährten bei ihr auftaucht, als Alleinerbin bestimmt – sind ihre Lebenserinnerungen die zweite Erzählebene dieses unterhaltsamen und nicht selten amüsanten Romans. Die Harvestehudererin Flora wurde angesichts der englischen Luftangriffe nach Nienstedten zu einer Tante geschickt und kam später als junge Frau unter kuriosen Umständen in den Besitz des hochherrschaftlichen Hauses an der Elbe.
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Die Autorin Baron verknüpft geschickt die beiden Erzählstränge und hat, wie sie im Nachwort kundtut, gewissenhaft recherchiert. Die Geschichte ihrer einzigen Liebe mit Charles, dem französisch-britischen Captain der Royal Air Force, ist eingebettet in das Kriegsgeschehen in Hamburg und die Nachkriegsjahre unter englischer Besatzung. Dass Charles beim auf dem Grundstück befindlichen Tennisplatz begraben ist, erfährt man recht früh.
Wie alles miteinander zusammenhängt und welche Rolle Claire in dem geschichtlich weit zurückreichenden Drama spielt, wie es sich so ähnlich im blutigen 20. Jahrhundert nicht nur einmal abspielte, enthüllt sich in „Villa Flora“ nach und nach. Am Ende stirbt eine Person den Romantod. Nicht irgendwo, sondern am Anleger Op‘n Bulln. Darunter macht es die Autorin nicht.
Karin Baron hat ein Gespür für Dialoge, für von starken Frauen bevölkerte Szenen und, natürlich, den Ort des Geschehens. Hamburg-Historikern wird in „Villa Flora“ manches geboten. Und die am Erbe interessierten („Wie die Geier über dem Aas kreisten sie über meinem Grundstück“) entfernt und gar nicht Verwandten haben auch ihre komischen Auftritte. Zusammen ergibt das eine ordentliche literarische Hamburgensie.
Karin Baron stellt „Villa Flora“ am 14. November in der Buchhandlung Wassermann vor, Beginn der Veranstaltung ist 19 Uhr.
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