Hamburg. In „Hyper Hyper“ geht es um das Heiraten. Der „schönste Tag im Leben“ hat dunkle Seiten, aber für das Publikum auch sehr unterhaltsame.
„Heut ist die Heirat“, jubiliert der Chor ohne Angst vor vereinzelten Misstönen, „das Ende naht.“ Der „schönste Tag im Leben“ hat eine dunkle Seite, und diese dunkle Seite ist immer präsent bei „Hyper Hyper – Ein Lucky Loop“ des inklusiven Theaterensembles Meine Damen und Herren, das aktuell auf Kampnagel zu sehen ist. Also: fröhlicher Chorjubel hier, schräges Tonverfehlen dort. Immer unter der Voraussetzung: Was ist die Ehe eigentlich? Und was erwarten wir von ihr?
Vor fünf Jahren haben Meine Damen und Herren begonnen, die Arbeitsprozesse des inklusiven Theaters zu hinterfragen. Es sollte nicht mehr so sein, dass Schauspieler mit Behinderung zwar auf der Bühne präsent sind, hinter den Kulissen aber Künstler ohne Behinderung die Fäden in der Hand halten. Arbeitspraktisch hatte das zur Folge, dass die Form bei den jüngsten Stücken des Ensembles in den Vordergrund rückte, immer lautstarker wurde die Frage gestellt, was das eigentlich für ein Theater ist, was hier gemacht wird. Und bei „Hyper Hyper“ ist diese Frage schließlich ganz zentral: Was tun wir hier? Machen wir Performance? Sprechtheater? Musical?
Hochzeit auf Kampnagel – und hinterher gehts den Bach runter
Es wird also eine Szene gezeigt, immer wieder dieselbe: Ein Paar steht vor dem Standesbeamten. Viel mehr passiert nicht, aber weil die Szene in wechselnden Besetzungen durchgespielt wird, vor allem aber in unterschiedlichen Theaterformen, ist das Bühnengeschehen jedesmal neu. Also: Hochzeit als naturalistisches Theater, Hochzeit in einfacher Sprache, Hochzeit als absurdes Theater. Man könnte „Hyper Hyper“ als Lehrmaterial im Seminar „Theaterwissenschaft für Einsteiger“ zeigen, dann wären schon mal die Grundlagen des Faches klar.
Das stellt klar, auf welch hohem diskursiven Niveau Meine Damen und Herren mittlerweile arbeiten. Was dabei aber ein bisschen unter den Tisch fällt: Der Abend macht grundsätzlich großen Spaß, auch jenseits des intellektuellen Vergnügens, das entsteht, wenn man die einzelnen Formen abstrahiert.
„Hyper Hyper“ auf Kampnagel: Der Abend macht grundsätzlich großen Spaß
Weil sich hier nämlich ein Ensemble mit Lust und Spielfreude auf eine Aufgabe einlässt. Die gar nicht mal ohne ist: Unter der Überschrift „Biografisches Theater“ wird verhandelt, dass es Menschen mit Behinderung viele Jahre untersagt war, sich eigenständig für die Ehe zu entscheiden, eine Ungleichbehandlung, die den Beteiligten persönlich nahegeht. Und als „Performance“ wird in Form eines Sprachspiels durchdekliniert, wie eine Beziehung „Nach der Hochzeit“ den Bach runtergehen kann.
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„Hyper Hyper“ erweist sich so als Versuchsanordnung, die dem Ensemble einen nächsten Schritt in Richtung inhaltlicher Schärfe ermöglichen könnte. Das theoretische Rüstzeug für eine ganz eigene Theaterästhetik haben Meine Damen und Herren mittlerweile, jetzt geht es darum, sich klarzumachen, was man damit anfangen will.
Hyper Hyper – Ein Lucky Loop Wieder am 11. und 12.10., 19.30 Uhr, 13.10., 18 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter www.kampnagel.de
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