Hamburg. Ambitionierte Fotoausstellung zeigt zehn Perspektiven auf Deutschland um 1980. Warum das aktuell ist, was Gen Z sich dabei abgucken kann.

Nachtleben, Verbrechen und Prostitution auf St. Pauli sowie post-industrieller Strukturwandel in Ottensen: Hamburg erlebte zwischen 1975 und 1985 eine turbulente Zeit. Aber nicht nur die Hansestadt war um 1980 vom gesellschaftspolitischen Wandel betroffen, ganz Deutschland war geprägt von der Teilung zwischen DDR und BRD, von Protesten gegen Gewalt und Umweltzerstörung, von globaler Wettrüstung.

„Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fernen Land“ zeigt im Altonaer Museum eben dieses Deutschland in zehn Perspektiven von zehn Fotografinnen und Fotografen mit verschiedenen Hintergründen. Dabei fokussiert sich die Ausstellung nicht nur auf den großen politischen Diskurs, sondern legt auch ein Augenmerk auf alltägliches Provinzleben und pop- sowie subkulturelle Bewegungen wie die Neue Deutsche Welle oder den Punk.

Altonaer Museum: Ausstellung zeigt zehn Perspektiven auf Deutschland um 1980

Aber wessen Perspektiven sind das? Die Fotografen und Fotografinnen bewegen sich thematisch zwischen Zeitungs- und Reportage-Fotografen, Fotokünstlern und marginalisierter Migrationsperspektive. Da wäre etwa Barbara Klemm, Pressefotografin für die „FAZ“, die symbolträchtige und ikonische Momente wie den Bruderkuss zwischen Breschnew und Honecker mit einer einzigen Aufnahme szenisch festzuhalten wusste.

Der Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew (UdSSR) und Erich Honecker beim 30. Jahrestag der DDR, 1979, fotografiert von Barbara Klemm.
Der Bruderkuss zwischen Leonid Breschnew (UdSSR) und Erich Honecker beim 30. Jahrestag der DDR, 1979, fotografiert von Barbara Klemm. © Barbara Klemm / F. C. Grundlach | Barbara Klemm / F. C. Grundlach

Der libanesisch-deutsche Fotograf Mahmoud Dabdoub dokumentiert gleich daneben das migrantische Alltagsleben und die subkulturellen Kulturszenen in der DDR. Solche scheinbaren Widersprüche zwischen politischen Krisen und kultureller Wandlung versucht die Ausstellung aufzulösen, spielt mit kurativen Gegenüberstellungen und gibt dabei didaktisch nur wenig vor.

Mahmoud Dabdoub, Karl-Marx-Platz, Leipzig, 1985, Deutsche Fotothek Dresden
Punks auf dem Karl-Marx-Platz in Leipzig, 1985, fotografiert von Mahmoud Dabdoub. © Deutsche Fotothek Dresden | Deutsche Fotothek Dresden

Für die Gen-Z lohnt sich der Gang in die Ausstellung auch aus modischen Gründen

Dabei fragen die Kuratoren: Ist die Zeit um 1980 tatsächlich ein fernes Land? Ja und nein. „Man betritt tatsächlich ein fernes Land, aber es ist ein Land, das uns trotzdem irgendwie bekannt vorkommt“, sagt Museumsdirektorin Anja Dauschek. Babyboomer werden sich an viele der abgelichteten Ereignisse erinnern, Millennials und Gen Z müssen eher auf das kollektive Gedächtnis zurückgreifen. Für Letztere dürfte sich der Gang in die Ausstellung allein schon wegen der Kleiderinspiration lohnen. Schlaghosen, Punker-Kutten, experimentelle Stil-Kombinationen – für den nächsten Rave ist gewiss etwas dabei.

Ausstellung Altonaer Museum - Deutschland um 1980Fotografien aus einem fernen Land
Peter Schilling, 1983, fotografiert von Christian Alvensleben. © Christian von Alvensleben/Stiftung F.C. Gundlach Hamburg | Christian von Alvensleben/Stiftung F.C. Gundlach Hamburg

Die Weiterentwicklung der Ausstellung in Altona, die ursprünglich 2021 in Bonn präsentiert wurde, umfasst zusätzlich drei Hamburger Perspektiven auf die zehn Jahre zwischen 1975 und 1985. „Es ist keine didaktische Ausstellung, es soll das Lebensgefühl der Zeit vermittelt werden“, erläutert Sebastian Lux von der Stiftung F. C. Grundlach. Gleich zu Beginn der Schau werden wir schon musikalisch von Peter Schilling und „Major Tom“ begrüßt, passend dazu folgt eine Auswahl der Fotos von Christian und Helga von Alvensleben. Neben stilistischen und musikalischen Vertretern der Neuen Deutsche Welle zeigen ihre Werke das Kiez- und Nachtleben auf St. Pauli sowie die Hochzeit der Hells Angels in Hamburg.

Wie fern ist das Deutschland um 1980 eigentlich von der heutigen Zeit?

Asmus Henkel wiederum dokumentiert auf seinen Fotos die Transformation des Stadtteils Ottensen vom Industrie- zum Ausgehviertel. Im Fokus: die niedrigschwellige und basisdemokratische Beteiligung der Stadtteilbewohner, die die Umwandlung des Stadtteils in eine Büro-dominierte City West abwendeten und den Bau eines Schneisen schlagenden Autobahnzubringers verhinderten.

Ausstellung Altonaer Museum - Deutschland um 1980Fotografien aus einem fernen Land
Die Ausstellung im Altonaer Museum behandelt auch die Entwicklung Ottensens vom Industrie- zum Ausgehviertel. Hier der Ottenser Torbogen im Jahr 1983, fotografiert von Asmus Henkel. © Stadtteilarchiv Ottensen | Stadtteilarchiv Ottensen

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Es zeigt sich: Die Ausstellung mag sich zeithistorisch 40 bis 50 Jahre in der Vergangenheit befinden, viele der Fotos und ihre Geschichten sind jedoch weiterhin hochaktuell. „Es war eine Zeit, in der erstaunlich viele Themen verhandelt wurden, die auch heute noch oder wieder verhandelt werden“, sagt Anja Dauschek. Ob es um Demo- und Protestkultur, Umweltkatastrophen, Kleidungsstile, Wohnraummangel oder Rassismus geht: So fern ist dieses Deutschland um 1980 nicht.

„Deutschland um 1980. Fotografien aus einem fernen Land“ 9.10.-3.3.25, Mo/Mi/Do/Fr 10.00–17.00, Sa/So 10.00–18.00, Altonaer Museum (S Altona), Museumsstraße 23, Eintritt 8,50/5,- (erm.), Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei, www.shmh.de