Hamburg. Christine Rösinger versucht sich mit Stefanie Sargnagel an der Analyse der Klassenverhältnisse. Was macht eigentlich die Mittelschicht?

Seit einiger Zeit geistern neue Schlagworte durch die Diskussion sozialer Ungleichheit. Von „Klassismus“, der „linken Erbscham“ und dem „Mythos Mittelschicht“ ist die Rede. Ein Anlass für die Berliner Musikerin und Autorin Christiane Rösinger, in „Die große Klassenrevue“ auf Kampnagel zur beschwingt-bissigen Analyse der gegenwärtigen Klassenverhältnisse zu laden – ganz im Geiste der Agitprop-Kunst eines Erwin Piscator vor 100 Jahren. In der Regie von Meike Schmitz und Christiane Rösinger selbst werden aktuelle Begrifflichkeiten nun eloquent von acht Performenden und einer Live-Band in einer erstaunlich heiter-bunten Revue zerlegt. 

Beim Spiel der Privilegiendichte bleiben Bürgerkinder mit Urlauben und Musikunterricht zurück. Diejenigen, deren Eltern Land- oder Gastarbeiter waren und die die Klamotten anderer auftragen mussten, dürfen auf dem Feld vorrücken. Die Lüge von der gesellschaftlichen Durchlässigkeit wird entlarvt, wenn die Performenden versuchen, eine Doppelleiter zu erklimmen und doch von den herrschenden Verhältnissen – mit Gewalt – immer weiter am Boden gehalten werden. Und die Mittelschicht? Will sich vor allem nach unten abgrenzen.

Theater Hamburg: Linke Erbscham auch mit Stefanie Sargnagel

Die Kompositionen stammen von Rösinger selbst und von dem Theatermusiker Paul Pötsch („Trümmer“), der mit vierköpfiger Band aparte Cover-Arrangements unter anderem von Paul Young zum Besten gibt. 

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Für den Höhepunkt sorgt am Ende jedoch die österreichische Autorin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel. Erst irrlichtert sie als „Neiddebatte“ in zerfleddertem gelbem Kostüm über die Bühne, um dann im Dialog mit Rösinger als „Psychotherapeutin“ davon zu berichten, wie es ist, linke Erbscham zu behandeln, also Menschen, die sich ihren Befindlichkeiten widmen können, da sie als Privatiers im Stadium des Postmateriellen angekommen sind. 

Es stecken viele unangenehme Wahrheiten in diesem Abend, der sich erstaunlich lässig und souverän seiner Theatermittel bedient und ganz im Sinne Brechts Schweres bewältigt, indem er Leichtigkeit und Zugänglichkeit wahrt.

Christiane Rösinger: „Die große Klassenrevue“ 6.10., 19 Uhr, Karten an der Abendkasse und unter www.kampnagel.de