Hamburg. Im Cinemaxx stellte der Filmstar seinen neuen Film vor, Fatih Akin kam auch. Im Grand Elysée gab Kruger vor der Premiere fröhlich Auskunft.
Mit einem fröhlichen „Hallo“ betritt Diane Kruger das Gesprächszimmer im Grand Elysée Hamburg. Mit ihrer schwarzen Lederweste, Jeans und Stiefeln würde sie perfekt in viele Filme des Regisseurs David Cronenberg passen. Um das aktuelle Werk, Cronenbergs neuen, ziemlich finsteren Film „The Shrouds“ („Die Leichentücher“), soll es gehen – mit ihm ist Diane Kruger in diesem Jahr Stargast beim Filmfest Hamburg. Sie sorgt, als Re-Import aus Hollywood gewissermaßen, für den Glamour.
„The Shrouds“ ist ein Science-Fiction-Film des 81-jährigen kanadischen Altmeisters. Ein trauernder Witwer, gespielt von Vincent Cassel, gibt darin Hinterbliebenen die Möglichkeit, in einem neuartigen Friedhof den Körpern ihrer Liebsten in Echtzeit beim Verfall zuzusehen. Klingt düster? „Wie dunkel wollen Sie es haben?“, fragt Cassels Figur Karsh eine irritierte Besucherin beim Essen. Diane Kruger spielt seine verstorbene Frau Becca, die ihm in Träumen erscheint, aber auch deren Schwester Terry, eine patente Hundefrisörin – und eine KI-Assistentin mit Namen Hunny. Und im Gespräch darüber bleibt die Schauspielerin so heiter und zugewandt wie bei der Begrüßung.
Diane Kruger beim Filmfest Hamburg: „Man fühlt sich nackt in jeder Hinsicht“
Der Besuch in Hamburg – am Abend folgt die Premiere im Cinemaxx Dammtor – ist eine Art Heimspiel für die 48-Jährige. Sie wuchs im Norden, bei Hildesheim in Niedersachsen, auf, ging mit 15 Jahren nach Paris, um eine Weltkarriere zunächst als Model und später als anerkannte Filmschauspielerin zu starten. Unvergessen ist ihre mit dem Darstellerpreis der 70. Filmfestspiele von Cannes gekrönte Rolle als Kiez-Mutter in Fatih Akins – in Hamburg gedrehtem – Film „Aus dem Nichts“ (2017).
In „The Shrouds“ verarbeitet David Cronenberg den Krebstod seiner Frau. Auch die Schwester hat ein reales Vorbild. Keine leichte Rolle für Diane Kruger. „Für mich ist es interessant, aber auch sehr emotional, dass er mich dazu eingeladen hat, praktisch ein Teil seiner Familie zu werden“, sagt sie. Der Film beginnt sehr real, arbeitet mit Traumsequenzen und erlaubt sich kurze Ausflüge ins Body-Horror-Genre, das Cronenberg für einige Jahre hinter sich gelassen hatte. Für Kruger setzt er die Linie von Filmen wie „Crash“ fort.
Diane Kruger über „The Shrouds“: „Es war eine Erleichterung, jemanden zu spielen, der crazy ist“
Er beginne in der Realität und versuche dann, erzählerisch den Tod zu bewältigen, beschreibt die Schauspielerin seinen Zugang. Dafür ist sie selbst als Becca langsam verwesend in der Grabkammer zu sehen. „Ich bin schon ein paarmal im Film gestorben, aber ich war sehr neugierig“, erzählt sie. Vor dem Dreh wurde ein Ganzkörperscan angefertigt. Am Drehort selbst bekam sie ihre nach diesem Vorbild modellierte Wachsfigur nicht zu Gesicht. „Ich fand‘s trotzdem ganz cool“, sagt sie und lacht. „Ist mal was anderes.“
Je weiter sich das Drama nach der Verwüstung einiger Gräber durch Unbekannte zum Thriller auswächst, desto mehr driftet der Film in die Beschäftigung mit dem Körperlichen und der Versehrtheit – seit jeher eine Obsession Cronenbergs. „Man erwartet den Tod und weiß, dass er kommt, aber in dem Moment, wo der Körper übergeben wird für immer, das war für Cronenberg und dann auch für sein Alter Ego Vincent Cassel in der Rolle des Karsh das Schlimmste“, erzählt Diane Kruger. „Dieses Gefühl, dass Becca allein in ihrem Grab lag, allein im Tod war, das war für ihn unerträglich.“ In all dieser – allerdings nüchtern und unsentimental erzählten – Düsternis sei die Rolle der lebhaften Schwester Terry für sie ein Segen gewesen. „Es war eine Erleichterung, jemanden zu spielen, der ein bisschen crazy ist. Bei Becca spielt man die Krankheit und die liebevollen Szenen. Terry ist das Gegenteil.“
Diane Kruger über ihre neue Rolle: „Am Anfang meiner Karriere wäre ich dazu nicht bereit gewesen“
Die Dreharbeiten in Toronto seien ungewöhnlich gewesen, da sie ohne Proben stattfanden. „Ich hatte echt Angst, weil ich das nicht gewohnt bin. Ich dachte, dass wir gerade diesen Film wochenlang proben würden“, gibt Diane Kruger zu. „Am Anfang meiner Karriere wäre ich dazu nicht bereit gewesen. Mit der Erfahrung von heute habe ich mehr Vertrauen in meine Instinkte. Nicht zu blockieren oder in Panik zu verfallen.“
Es gibt einige Nacktszenen, die der Schauspielerin heute schwerer fallen als früher. „Ich habe inzwischen so viele Filme gedreht, dass ich das Gefühl habe, man sieht mir sofort in die Seele. Man sieht sofort, was ich bin und wo die Rolle anfängt. Man fühlt sich nackt in jeder Hinsicht.“
Der Film startet stark, die Idee des KI-Friedhofs fasziniert, doch dann verlässt er seine Spur, driftet in immer neue, manchmal paranoide Wendungen ab, auch die Beziehungen der Figuren wandeln sich sehr plötzlich. Sind die Polypen, die auf Beccas Knochen wachsen, eine Art Totenkrankheit oder dienen sie gar der Spionage? Wenn man träumt, hält man das Erlebte für real, das allerdings erscheint hier immer abwegiger und abstruser.
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Höchste Zeit, im Gespräch auf dem Filmfest Hamburg noch einmal zum Dreh von Fatih Akins „Aus dem Nichts“ (2017) zurückzukehren, Krugers tatsächlich erstem deutschsprachigen Film. Durch den Weggang nach Paris hatte sie keine deutsche Agentur und folglich auch keine deutschen Angebote. Aber: „Meine Zukunft liegt auf jeden Fall in Europa. Ich würde gerne noch einmal in Deutschland drehen.“ An die drei Monate in Hamburg hat sie noch heute die allerbesten Erinnerungen. „Es war eine Erleichterung, mich ausruhen zu können in der Sprache und in der Kultur.“ Fatih Akin zeigte ihr viele Ecken der Stadt. „Wir hatten sehr viel Spaß. Ich mag die Hamburger, dieses Spröde. Wo ich herkomme, ist es ähnlich.“
Heute ist sie mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in Paris, in New York und Drehorten auf der ganzen Welt zu Hause. Ihre Lust auf weitere Film-Experimente wie „The Shrouds“ ist eher noch gestiegen. „Ich bin neugierig, ich möchte immer neue Sachen ausprobieren“, sagt sie. „Je älter ich werde, desto neugieriger werde ich.“
Filmfest Hamburg bis 5.10.; www.filmfesthamburg.de