Hamburg. Der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof ist mit „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ein Oscar-Anwärter. Wann das Drama in Hamburg läuft.

Und nun hat er es sogar auf die Oscar-Shortlist für den besten internationalen Film geschafft. Ein riesiger Erfolg für den inzwischen in Hamburg lebenden iranischen Regisseur Mohammad Rasoulof, der den Verfolgern in seiner Heimat vor einigen Monaten entkommen ist und seinen neuen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ (startet am 26.12. bundesweit) erst beim Filmfestival in Cannes (wo er fünf Preise gewann) und dann auch beim Filmfest Hamburg vorstellen konnte.

Der Reisepass des Regimekritikers, der all seine Filme heimlich drehen und aus dem Land schmuggeln musste, war schon 2017 eingezogen worden, von Juli 2022 bis Februar 2023 saß Mohammad Rasoulof im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis ein – weil er eine Petition gegen Polizeigewalt unterzeichnet hatte. Für seine Kritik an den herrschenden Zuständen im Iran drohten ihm weitere acht Jahre Haft, dazu die Auspeitschung wegen einiger Flaschen Wein, die während einer Razzia bei ihm gefunden worden waren. Rasoulof entschloss sich zur Flucht.

Mohammad Rasoulof: „Filmemachen ist Freiheit!“ Und wird jetzt mit einem Oscar geehrt?

„Als ich die Nachricht bekam, dass meine Verurteilung rechtskräftig ist, bin ich innerhalb von zwei Stunden aufgebrochen und habe sowohl Handy als auch Laptop zurückgelassen, um nicht getrackt werden zu können“, berichtet er beim Interview auf Farsi, von seiner 24 Jahre alten Tochter Baran ins Deutsche übersetzt. Die beiden haben schon zusammen einen Film gedreht („Doch das Böse gibt es nicht“), auch beim Interview herrscht zwischen ihnen eine große Vertrautheit. „Für die Kommunikation hatte ich mir ein Handy ohne SIM-Karte besorgt, das ich aber ausgeschaltet ließ. Im Gefängnis hatte ich zuvor einige Menschen kennengelernt, von denen ich wusste, dass sie mir helfen könnten, die iranische Grenze heimlich zu überqueren.“ Einen von ihnen habe er kontaktiert, der ihn dann als Führer durch das Gebirge brachte. „Ein langer und schwerer Weg, aber nach drei Tagen Fußmarsch war es geschafft.“

Im „Nachbarland“, das Rasoulof nicht konkret benennt, habe er sich dann in einer Art Safe House versteckt. „Meine Familie in Hamburg hat unterdessen Kontakt mit dem deutschen Konsulat in meinem Fluchtland aufgenommen, und dort hat man zunächst geholfen, meine Identität zu bestätigen und mich dann nach Deutschland ausgeflogen.“ 28 Tage habe die Flucht insgesamt gedauert. Dann war Mohammad Rasoulof in Hamburg, dem Ort, an dem seine Filme bei den Hamburger Filmfesten immer wieder gezeigt worden sind. Dem Ort, an dem seine Frau und Tochter schon lange leben.

Familienkonflikt in der religösen Diktatur: Mutter Najmeh (Soheila Golestani, l.) mit ihren Töchtern Sana (Setareh Maleki, r.) und Rezvan (Mahsa Rostami) in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“.
Familienkonflikt in der religösen Diktatur: Mutter Najmeh (Soheila Golestani, l.) mit ihren Töchtern Sana (Setareh Maleki, r.) und Rezvan (Mahsa Rostami) in „Die Saat des heiligen Feigenbaums“. © dpa | -

Mit „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ stellt er hier einen beinahe dreistündigen Film vor, der Familiendrama, Politthriller und Dokumentation zugleich ist. Ein Meisterwerk, das als deutsch-französisch-iranische Koproduktion für Deutschland ins Rennen um den Oscar für den besten internationalen Film gehen soll. Im Mittelpunkt steht die Familie des Richters Iman, der an das Revolutionsgericht in Teheran befördert wird. Ein enormer Karrieresprung, der neben finanziellen Vorteilen und gesellschaftlichem Aufstieg aber auch eine Schattenseite hat – vor allem für die Töchter Rezvan und Sana, die nun mehr als zuvor auf den „Ruf der Familie“ achten müssen.

Es geht auch um den Tod der jungen Mahsa Amini, der die Protestwelle im Iran auslöste

Und während Iman nach anfänglichem moralischen Zögern Schnellurteile gegen (oft nur vermeintliche) Regimegegner unterschreibt, erfasst eine riesige Protestwelle nach dem Tod der jungen Mahsa Amini – hier vermischen sich Spielfilmszenen und Dokumentaraufnahmen – das Land. Die 22-Jährige starb in Polizeigewahrsam, nachdem sie von Revolutionswächtern wegen eines nicht korrekt sitzenden Kopftuchs verhaftet worden war. Rezvan und Sana verfolgen an ihren Handys das Geschehen und werden bald ganz konkret in die brutal niedergeschlagenen Proteste hineingezogen. Irgendwann kann auch ihre Mutter Najmeh, die eigentlich loyal zum Regime und ihrem Mann steht, nicht mehr tatenlos bleiben.

Kaum zu glauben, dass ein solcher Film heimlich im Iran gedreht werden konnte, doch Mohammad Rasoulof hat einen Weg gefunden. Es gehe bei Dreharbeiten darum, nie den Eindruck zu erwecken, man tue etwas Verbotenes, sagt er. „Es gibt immer ein zweites Drehbuch mit regimetreuem Inhalt, das man für den Fall dabeihat, dass jemand Fragen stellt. Außerdem steht im Film ja eine religiös-konservative Familie im Zentrum, deren Mitglieder in der Öffentlichkeit entsprechend auftreten – die Frauen tragen zum Beispiel alle ein Kopftuch.“ Das sei so glaubwürdig gewesen, dass Passanten tatsächlich dachten, das Team würde für das iranische Fernsehen drehen. „Wir wurden deshalb auf der Straße sogar von Gegnern des Regimes beschimpft.“ Dass ein großer Teil der Szenen in nicht einsehbaren Innenräumen spielt, half natürlich auch.

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Mohammad Rasoulof mit seiner Tochter Baran im Mai 2024 bei den Filmfestspielen in Cannes. © picture alliance / abaca | Genin Nicolas/ABACA

Aber wie findet man Schauspielerinnen und Schauspieler, denen man bei einem solchen Geheimprojekt vertrauen kann? Droht da nicht immer Verrat? „Es ist ein langer und komplizierter Weg“, erklärt Rasoulof und beugt sich auf dem Sofa nach vorn. „Man kann natürlich nicht einfach zu jemandem gehen und fragen, ob er oder sie bei einem Film mitmachen würde. Vielmehr ist es notwendig, etwas über die Person, ihre Haltung, ihren Mut in Erfahrung zu bringen, ihren Lebenslauf zu kennen.“ Nach den Protesten sei es leichter geworden, vertrauenswürdige Mitstreiter zu finden: „Bei allen, die daran teilgenommen hatten, gab es ja keinen Zweifel mehr.“

Mohammad Rasoulof: Das iranische Regime versuchte das Filmteam unter Druck zu setzen

Als klar war, dass „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ beim Filmfestival in Cannes eine große internationale Öffentlichkeit bekommen würde, verstärkte das Regime den Druck. Mitglieder der technischen Crew wurden verhört, sie sollten Rasoulof dazu bringen, seinen Film zurückzuziehen, doch diese weigerten sich. In Gefahr gerieten auch die Schauspielerinnen und Schauspieler: Mahsa Rostami, Setareh Maleki und Niousha Akhshi (im Film die beiden Schwestern und ihre Freundin) sind ebenso wie Mohammad Rasolouf inzwischen aus dem Iran geflüchtet. Aus dem Machtbereich eines Regimes, dessen Zeit, so Rasoloufs feste Überzeugung, abläuft. Angst, dass ihn der lange Arm der Mullahs in Deutschland erreichen könnte, zeigt er nicht – auch wenn er klarstellt: „Dieses Regime ist skrupellos.“

„Die Revolution im Iran befindet sich gerade in einer Phase, in der man nur auf den richtigen Moment warten muss“, sagt er. „Die Frauen im Iran sind immer noch aktiv, wenn man dort auf die Straße geht, sieht man viele, die keine Kopftücher tragen und sich auch sonst nicht so kleiden, wie die Regierenden es verlangen.“ Früher sei bei Protesten einfach der Zugang zum Internet unterbunden worden, aber durch die inzwischen aktiven Starlink-Satelliten gehe das jetzt nicht mehr. „Die Menschen, vor allem gilt das für die junge Generation in meinem Land, können also in Kontakt bleiben, Informationen austauschen und sich organisieren.“

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Aufgeben ist für ihn jedenfalls keine Option. Und das Hamburger Exil, so dankbar er dafür ist, keine wirkliche Heimat. Mit dem Herzen ist er in Teheran. „Das Regime möchte Menschen wie mich einfach im Gefängnis verschwinden und in Vergessenheit geraten lassen. Aber meine Verantwortung als Filmemacher ist es, weiterhin zu erzählen, was in meinem Land geschieht“ sagt er. Und fügt mit fester Stimme hinzu: „Filmemachen ist Freiheit!“

„Die Saat des heiligen Feigenbaums“ Kinostart: 26. Dezember